Substituierung von Kupfer in der elektrischen Verbindungstechnik

Nahaufnahme einer Kupfer- Sammelschienenverbindung in einem Schaltschrank - (Foto: stock.adobe.com/hapsuwanArt)
  • Titelbild: Nahaufnahme einer Kupfer- Sammelschienenverbindung in einem Schaltschrank - (Foto: stock.adobe.com/hapsuwanArt)

Aufgrund der Marktdynamik der elektrischen Verbindungstechnik (E-Mobilität, Automatisierung etc.) sind stark steigende Rohstoffpreise unvermeidlich. Dies führt zu einem starken Kostendruck auf Produkte der elektrischen Verbindungstechnik, die derzeit im Wesentlichen von den Rohstoffen Kupfer und seinen Legierungen abhängig sind. Um dieser Herausforderung zu begegnen, wird der Fokus zunehmend auf die Substituierbarkeit dieser kostenintensiven Grundwerkstoffe gelegt. Ziel des Artikels ist es, aufzuzeigen, inwieweit Stahlwerkstoffe als Ersatz für Bronzelegierungen in der elektrischen Verbindungstechnik eingesetzt werden können.

Von Produkten der elektrischen Verbindungstechnik wird erwartet, dass sie zuverlässig funktionieren, da sie den Transport von Energie, Signalen und Daten gewährleisten und somit als kritische Komponente sowohl für die Funktion als auch die Sicherheit von Systemen dienen. Aufgrund dieser Erwartung werden hohe Anforderungen hinsichtlich Lebensdauer und Zuverlässigkeit gestellt, um Funktion und Sicherheit zu gewährleisten. Sowohl Anbieter als auch Anwender solcher Produkte haben ein hohes Interesse daran, Ausfälle oder Defekte zu vermeiden. Normen und Zulassungen stellen eine typische Maßnahme zur Sicherstellung der korrekten Konstruktion und Funktion von Produkten im Bereich der elektrischen Verbindungstechnik dar.

Wenn man den Einsatz neuer Materialien in Erwägung zieht, muss man zunächst prüfen, ob deren Verwendung mit diesen Normen und Zulassungen konform ist. Darüber hinaus muss man sich bei der Überlegung, die gewohnten Pfade zu verlassen, der Vorbehalte, Bedenken und Skepsis des Marktes bewusst sein. Solche weichen Faktoren müssen im Rahmen des Untersuchungs- und Qualifizierungsprozesses berücksichtigt werden, um diesen weichen Bedingungen zusätzlich zu den harten Kriterien zu begegnen.

Produktspezifikationen

Neben den Anforderungen, die sich aus den Normen und Zulassungen für die verschiedenen Produkttypen ergeben, sollten insbesondere das optische Erscheinungsbild, die mechanische Festigkeit und die Beständigkeit gegen Umwelteinflüsse spezifiziert werden.

Zentral für den Einsatz von Stahl als Ersatz für Bronzewerkstoffe ist die Kombination von Korrosionsschutz (Kontaktkorrosion, korrosive Umgebungen, Porenkorrosion etc.) und elektrischer Funktion (elektrischer Widerstand, Spannungsfall etc.). Hier ist der zentrale und grundlegende Entwicklungsprozess zu leisten.

Materialeigenschaften

Ein Vergleich der mechanischen Eigenschaften, insbesondere der Dehnung über die mechanische Festigkeit, zeigt einen Überschneidungsbereich von Bronze- und Stahlwerkstoffen (Abb. 1). Prinzipiell könnte eine Erfüllung der mechanischen Anforderungen an Produkte aus Bronzewerkstoffen auch durch Stahlwerkstoffe erreicht werden.

Hinsichtlich der elektrischen Leitfähigkeit erscheint reines Eisen im Vergleich zu Messing schlechter, aber besser als Bronzewerkstoffe (Abb. 2). Aufgrund von Legierungselementen und entsprechenden Fehlstellen im Gitter ist die elektrische Leitfähigkeit von Stahl im Vergleich zu reinem Eisen drastisch reduziert. Dennoch kann eine vergleichbare elektrische Leitfähigkeit für niedrig legierte Stähle und hochlegierte Bronze-Werkstoffe wie CuSn8 beobachtet werden (Abb. 3).

gt 2025 06 79Abb. 1: Dehnung über der Zugfestigkeit für unterschiedliche Stahltypen (blaues Feld) und Bronzen (grau)

gt 2025 06 80Abb. 2: Elektrische Leitfähigkeit für unterschiedliche Materialien [5]

gt 2025 06 80Abb. 3: Elektrische Leitfähigkeit für unterschiedliche Bronzelegierungen [6] und niedriglegierten Stahl

Ausgehend von diesen Überlegungen erscheint die Substituierbarkeit von Bronzewerkstoffen durch Stahl prinzipiell möglich, wobei eine genauere Untersuchung der Kontaktphysik unumgänglich ist. Darüber hinaus muss insbesondere der Korrosionsschutz eines Stahlgrundwerkstoffes berücksichtigt werden. Da sich typische Passivierungsarten von Stahl [7] als elektrisch unzureichend oder instabil erweisen, muss der entscheidende grundlegende Entwicklungsprozess an der Oberflächenbeschichtung erfolgen, um sowohl die elektrische Funktion als auch den Korrosionsschutz zu gewährleisten.

Oberflächenbeschichtung

Da typische passivierende und korrosionsbeständige Oberflächenschichten für Stahlwerkstoffe elektrisch ungünstig erscheinen, müssen alternative Oberflächenschichtsysteme identifiziert bzw. entwickelt werden. Solche Deckschichtsysteme müssen in der Regel hinsichtlich ihrer elektrischen Eigenschaften geeignet sein - isolierende Materialien sind aufgrund der Notwendigkeit eines stabilen elektrischen Kontakts äußerst ungünstig.

Dementsprechend müssen solche Oberflächenschichtsysteme die Ausbildung eines funktionsfähigen elektrischen Kontaktes ermöglichen, d. h. die Bildung von sogenannten „a-Spots“ in ausreichender Dichte und Größe innerhalb der scheinbaren Kontaktflächen. Daraus ergeben sich verschiedene Anforderungen an die mechanischen Eigenschaften (Spannung, Härte, Duktilität etc.), die berücksichtigt werden müssen [12], damit ein Versagen sowohl der Grenzflächen als auch der Deckschicht selbst in der Anwendung ausgeschlossen ist. Die ggf. veränderten mechanischen Eigenschaften von Stahlwerkstoffen im Vergleich zu Bronzewerkstoffen müssen hier berücksichtigt werden.

Zusätzlich müssen die thermischen Eigenschaften innerhalb des Schichtsystems (CTEs) untersucht werden. Bei großen Unterschieden im CTE von Grundwerkstoff und Oberfläche erscheinen insbesondere Temperaturänderungen als kritischer Faktor für Versagen im Schichtsystem (Risse) oder an den Grenzflächen (Delamination).

gt 2025 06 100Abb. 4: Eine kathodische Oberflächenschicht fördert die Korrosion des anodischen Grundmaterials [8]

gt 2025 06 101Abb. 5: Eine anodische Oberflächenschicht schützt das kathodische Grundmaterial gegen Korrosion [9]

Elektrochemisches Potenzial

Die Bewertung der elektrochemischen Potenzialunterschiede im Deckschichtsystem ist von elementarer Bedeutung für die Auswahl und Bewertung von geeigneten Lösungen, die den Einsatz von Stahl als Grundwerkstoff ermöglichen. Nur eine adäquate Bewertung garantiert die erfolgreiche Kombination von elektrischer Funktionalität und Korrosionsschutz. Als Indikator für die Korrosionsgeschwindigkeit in einem Elektrolyten dient in der Regel die Höhe der Potenzialdifferenz zweier Werkstoffe (z. B. aus [10]), wobei der unedlere Werkstoff als Anode fungiert und sich bei diesem Prozess zersetzt. Ein typisches Beispiel ist der Verbrauch von Zn (U0= – 0,76, Anode) gegenüber Cu (U0= + 0,34, Kathode), wenn die Elektroden elektrisch kontaktiert und in einen Elektrolyten eingebracht werden.

Korrosionseffekte können auftreten, wenn

  1. die Materialien eine ausreichende Potenzialdifferenz aufweisen,
  2. eine elektronenleitende Verbindung vorhanden ist und
  3. ein Elektrolyt vorhanden ist, wobei auch Feuchtigkeit aus der Umgebungsluft ausreicht.

Diese Bedingungen machen es notwendig, nicht nur das Oberflächenschichtsystem selbst, sondern auch die möglichen Kontaktmaterialien bzw. Anwendungen zu untersuchen. Um eine hohe Korrosionsbeständigkeit zu erreichen, werden typischerweise Metalle mit edlerem Standardreduktionspotenzial im Vergleich zum Grundwerkstoff als Schichtwerkstoffe verwendet (Au, Ag, Sn, Ni, Cr auf Messing, Stahl als Grundwerkstoff).

Nichtdestotrotz sind edlere Beschichtungswerkstoffe hinsichtlich des Korrosionspotenzials bei Oberflächenbeschädigungen als kritisch zu bewerten. Dies liegt daran, dass das Oberflächenverhältnis von kathodischem zu anodischem Material, das dem Elektrolyten zugewandt ist, ein kritischer Aspekt für die Korrosionsraten ist, der zum Tragen kommt, wenn Störungen in der kathodischen Oberflächenschicht vorhanden sind. Dann wirkt die Oberfläche der kathodischen Schicht als Katalysator für die Korrosion der kleinen Anodenfläche des Grundmaterials (Abb. 4).

Umgekehrt kann eine anodische Oberflächenschicht das Basismaterial im Falle von Oberflächenfehlern schützen. Hier wirkt das anodische Material als Opferanode und kann im Falle eines anodischen Verhaltens gegenüber dem Grundmaterial Schutzschichten ausbilden (Abb. 5) und Letzteres kathodisch polarisieren und damit schützen.

Zu beachten ist, dass die Korrosionsraten und -eigenschaften außerdem stark von der Elektrolytleitfähigkeit und dem Oberflächenverhältnis von Kathode und Anode abhängen, wobei eine große Kathodenoberfläche in Kontakt mit einer kleinen Anodenoberfläche die Korrosionseffekte stark beschleunigt. Ausgehend von den vorangegangenen Überlegungen sind die Lösungen bezüglich der Oberflächenschichten entweder durch das Standardreduktionspotenzial stark eingeschränkt (ausschließlich anodische Materialien) oder es werden strenge Anforderungen an die Abwesenheit von Oberflächenschichtdefekten gestellt. Im Allgemeinen ist eine Kombination aus adäquater elektrochemischer Auslegung und Abwesenheit von Artefakten in der Oberflächenschicht vorteilhaft, was zu strengen Anforderungen an Materialien und Prozesse führt.

Alterungsmechanismen

Sind mögliche Kandidaten für die Oberflächenschichten aufgrund elektrischer, mechanischer, elektrochemischer und verfahrenstechnischer Überlegungen identifiziert, sind weitere Untersuchungen zu den Alterungsmechanismen innerhalb der Schicht selbst und ihrer Grenzfläche zu einem Stahlgrundwerkstoff unumgänglich. Hier gilt es, grundlegende Mechanismen zu identifizieren sowie deren Kinetik und Wechselwirkungen zu bewerten.

Die beschleunigte Lebensdauerprüfung erweist sich hierfür als geeignete Methodik, da Anforderungen aus der Anwendung in Prüfpläne umgesetzt werden können. Dabei können die zu erwartenden Lebensdauern mithilfe verschiedener Modellierungstechniken und Testverfahren (z. B. trockene Wärme, feuchte Wärme, Thermoschocks etc.) beschleunigt simuliert werden.

Diffusion

Konzentrationsgradienten in Materialien induzieren gerichtete Diffusionsprozesse nach dem 1. Fick'schen Gesetz. Dabei hängt der Diffusionskoeffizient neben Konzentrationsgefällen zudem stark von der Beweglichkeit der diffundierenden Teilchen ab, insbesondere in Abhängigkeit von der Temperatur. Im Allgemeinen besitzt die Volumendiffusion den niedrigsten Diffusionskoeffizienten, während für die Korngrenzendiffusion und Oberflächendiffusion höhere Werte zu beobachten sind [11].

Aufgrund der vorangegangenen elektrochemischen Überlegungen sind mehrschichtige Systeme hochinteressant, um Korrosionseffekte zu vermeiden. Abbildung 6 zeigt FIB-Aufnahmen von verschiedenen Mehrschichtsystemen auf einem Stahlsubstrat, bei denen eine starke Korngrenzendiffusion einzelner Elemente zu beobachten ist (weiße Pfeile in (a)-(c)).

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Abb. 6: REM- und FIB-Aufnahmen von gealterten Mehrschichtsystemen. (a)+(b): System I, (c)+(d): System II

Für das Oberflächensystem I (a+b) ist ein mehrschichtiger Aufbau der Zwischenschicht zu erkennen, wobei eine hohe Dichte an Leerstellen zu beobachten ist. Diese Beobachtung kann dem Kirkendall-Effekt zugeschrieben werden, der aus einer starken Diffusion der Zwischenschichtatome an die Oberfläche des Systems resultiert, während die Diffusion in die Zwischenschicht deutlich weniger ausgeprägt ist.

Im Oberflächensystem II (c+d) ist der Kirkendall-Effekt weniger stark ausgeprägt. Hier lässt sich eine Zwischenphase zwischen den Oberflächenschichten nachweisen. Eine Phase zwischen Stahl und der Zwischenschicht ist nicht sichtbar. An den Korngrenzen ist eine Diffusion von Atomen aus der Zwischenschicht an die Oberfläche zu erkennen. Dies führt zu einer Anhäufung an den Korngrenzen an der Oberfläche (d), was einen Kontrast zur Korn­struktur darstellt.

Delamination, Diffusionsprozesse, Spannungen

Für jedes Oberflächensystem, das auf ein Substrat aufgebracht wird, ist eine angemessene Haftung über die erwartete Lebensdauer erforderlich. Dies gilt nicht nur für die Haftung auf dem Substrat, sondern auch für die Haftung zwischen mehreren etwaigen Schichten. Abbildung 7 zeigt verschiedene Oberflächensysteme mit Delaminierungstendenzen, die auf unterschiedliche Ursachen zurückzuführen sind: (a) entspricht einem Oberflächensystem, bei dem die Schichten abwechselnd abgeschieden werden. Hier sind viele Zwischenflächen vorhanden, die als Ziel für Delaminierungseffekte, z. B. aufgrund von Diffusionsprozessen, dienen. (b) und (c) gehören zu einem Zweischichtsystem, bei dem eine Delamination durch Diffusionseffekte (z. B. Bildung von Hohlräumen) auftreten kann. Dies führt zu einer ausgeprägten Rissbildung und zu Fehlern in der Grenzfläche der Schichten, was eine Delamination und Rissbildung in den Schichten zur Folge hat. Solche Risse sind für die Korrosionsbeständigkeit und das Erscheinungsbild der Oberfläche im Allgemeinen höchst kritisch. (d) zeigt das optische Erscheinungsbild eines delaminierten Oberflächenschichtsystems, das aus zwei Schichten besteht. Die Zwischenschicht verbleibt auf dem Stahlsubstrat und erscheint dunkel. Solche Defekte sind bei späteren Anwendungen leicht sichtbar und werden nicht akzeptiert. Zu beachten ist, dass delaminiertes Schichtmaterial den Anwendungsbereich verschmutzen kann, im schlimmsten Fall als leitfähiges Material, das die Isolationswege verkürzt.

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Abb. 7: FIB-Aufnahmen (a-c) und lichtmikroskopische Aufnahme (d) von Schichtsystemen mit Delaminationsverhalten (a) zeigt ein Mehrschichtsystem mit abwechselnder Abscheidung (b-d) zeigt unterschiedliche Zwei-Schicht-Systemegt 2025 06 99Abb. 8: FIB-Schnitt eines zweischichtigen Systems mit Rissen in der Zwischenschicht aufgrund von Zugspannungen

(Innere) Spannungen

Durch mechanische Beanspruchung in der Anwendung, Verarbeitung, Materialeigenschaften oder Temperaturgradienten bzw. unterschiedliche CTEs innerhalb des Schichtsystems kann es zu Zug- und/oder Druckspannungen in verschiedenen Schichten kommen. Abhängig von den mechanischen Materialeigenschaften können solche Spannungen zu Rissen in den Schichten führen (Abb. 8). Darüber hinaus kann es zu Delaminierungseffekten kommen. Solche Effekte sind insbesondere im Hinblick auf die resultierenden Korrosionsbeständigkeiten zu berücksichtigen.

Whisker

Diffusionsprozesse, Spannungen durch die Materialbearbeitung oder Eigenspannungen innerhalb von Oberflächenschichtsystemen können zur Bildung von sogenannten Whiskern auf galvanischen Oberflächen führen. Ihre Bildung erfolgt im Laufe der Zeit und kann durch die Einwirkung von Temperatur und Feuchtigkeit beschleunigt werden. Je nach Anforderung können Whisker in verschiedenen Anwendungen akzeptabel sein. Dennoch sollte bei der Entwicklung und Umsetzung neuer Schichtsysteme die Neigung verschiedener Oberflächenschichtsys-teme zur Bildung von Whiskern berücksichtigt werden. Eine Verringerung der Whiskerbildungstendenz kann durch eine Reduzierung der Spannungen durch prozessuale Maßnahmen im Herstellungsprozess oder durch eine Wärmebehandlung erreicht werden. Abbildung 9 zeigt zwei charakteristische REM-Aufnahmen von Deckschichtsystemen, bei denen eine hohe Dichte an kurzen Whiskern zu beobachten ist.

gt 2025 06 96Abb. 9: Oberflächen unterschiedlicher Schichtsysteme mit Whiskerlängen von unter 20 µm

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Korrosion

Gemäß den Überlegungen in Abschnitt „Elektrochemisches Potenzial“ kann die Korrosionstendenz eines Oberflächenschichtsystems durch den elektrochemischen „Aufbau“ des Systems entweder verstärkt oder verringert werden. Im Falle großer kathodischer Oberflächenbereiche in Kontakt mit einem kleinen anodischen Material (z. B. beschädigte Cr-Schicht auf Stahlsubstrat) wird die Korrosion stark begünstigt, wie Abbildung 10 veranschaulicht:

(a) zeigt Korrosionsprodukte des Stahlsubstrats in Form von Rotrost, der die beschichtete Oberfläche bedeckt. Hier begünstigt ein Defekt innerhalb der kathodischen Deckschicht den Korrosionsprozess des anodischen Stahlsubstrats während eines Salzsprühnebeltests stark. Bei (b) und (c) können Korrosionsprozesse durch Delamination und Rissbildung an den Grenzflächen der beiden Oberflächenschichten während der Lagerung in feuchtwarmem Klima entstehen. Diffusionseffekte führen zur Bildung von Leerstellen in der Zwischenschicht (schwarze Flecken), während sich das Material entlang der Korngrenzen der oberen Schicht bewegt und in der Grenzfläche zwischen den beiden Schichten agglomeriert.

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Abb. 10: Korrosion auf beschichteten Stahlblechen (a) zeigt Rotrost in einem Biegebereich nach NSS-Prüfungen (b) und (c) zeigen ausgeprägte Oberflächenartefakte aufgrund von Diffusionsprozessen zwischen den Schichten nach Lagerung bei feuchter Wärme

Herstellprozess

Der Herstellungsprozess hat einen erheblichen Einfluss auf die Qualität des Endprodukts bzw. des Einzelteils. Hier sind sowohl die Substratbearbeitung als auch der Beschichtungsprozess von besonderem Interesse.

Grundmaterialverarbeitung

Für den Einsatz von Stahl im Bereich der elektrischen Verbindungstechnik sind Inhomogenitäten, die grundsätzliche Beschichtungsfähigkeit und der Verarbeitungseinfluss zu berücksichtigen. Bei Letzterem sind insbesondere der Einfluss der Oberflächenrauheit, die plastische Verformung in Biegebereichen sowie die Beschaffenheit der bearbeiteten Bereiche (Schneiden, Biegen, Brechen) zu untersuchen. Abbildung 11 zeigt Biegebereiche mit Schneid- und Biegeteilen, wobei Risse, wie in (b) gezeigt, unbedingt vermieden werden müssen, da sie zu Beschichtungsfehlern führen können (c), die möglicherweise Korrosionseffekte stark begünstigen. Alternative Bearbeitungsverfahren jenseits der klassischen Stanz-Biege-Verfahren können insbesondere hinsichtlich der Oberflächenqualität der Substrate in Betracht gezogen werden.

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Abb. 11: Lichtmikroskopische Aufnahmen von Biegeproben mit unterschiedlichen mechanischen Eigenschaften (a+b) und REM-Aufnahme einer beschichteten Probe mit Brüchen im Grundmaterial, welche Beschichtungsfehler nach sich ziehen (c)

Beschichtungsprozess

Sowohl bei der Identifizierung als auch bei der Qualifizierung geeigneter Beschichtungsprozesse müssen die Einflüsse und Einschränkungen berücksichtigt werden, die sich aus den verschiedenen Beschichtungsverfahren ergeben (Bewegung, Fixierung, Abschirmungseffekte usw.).

Darüber hinaus müssen Wechselwirkungen zwischen Stahlsubstraten und möglichen galvanischen Elektrolyten berücksichtigt werden (Löslichkeit, Passivierungs- und Rücklösungseffekte). Solche möglichen Wechselwirkungen führen zu strengen Anforderungen an die Prozess- und Qualitätskontrolle.gt 2025 06 78Abb. 12: FIB-Schnitt einer Pore in der Beschichtung. Die Pore und der Riss der Zwischenschicht scheinen zu korrelieren

Die Vermeidung von Oberflächenfehlern wie Poren oder Rissen ist bei Stahlsubstraten von besonderer Bedeutung (Abb. 12). Solche Artefakte sind vor allem im Hinblick auf Korrosionseffekte kritisch, da lokale Elemente entstehen können, bei denen ein erhöhter Korrosionsangriff möglich ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Grundwerkstoff elektrochemisch unedler ist als das aufgebrachte Schichtsystem. In diesem Fall ist die Fläche der als Kathode wirkenden Schicht weitaus größer als die des als Anode wirkenden freiliegenden Grundmaterials. Edlere Beschich-tungen können die Korrosion des unedleren Grundwerkstoffs (z. B. Stahl- und Aluminiumgrundwerkstoffe) also nur dann verhindern, wenn sie keine Poren oder Risse aufweisen, die bis zum Grundwerkstoff reichen. Andernfalls fördern sie sogar die Korrosion des Grundmaterials. Nur wenn es gelingt, diese Schichten porenfrei abzuscheiden, wird eine Barriere erreicht, die das Bauteil vor Korrosionsangriffen schützen kann [13].

Da nur porenfreie Oberflächenbeschichtungen Korrosionseffekte stark behindern, kann es bei mechanischer Beanspruchung in einer späteren Anwendung (z. B. bei Kontaktierungsprozessen) zu Komplikationen hinsichtlich des Korrosionsschutzes kommen. Zum einen können einzelne Risse entstehen, die sich agglomerieren können und zu einem Verlust des Korrosionsschutzes führen. Solche Effekte müssen nicht nur bei der Identifizierung von Oberflächenbeschichtungen berücksichtigt werden, sondern auch bei der Verarbeitung, welche die mechanischen Eigenschaften stark beeinflussen kann.

Qualifizierung

Sind sowohl Grundwerkstoffe als auch Beschichtungslösungen und entsprechende Verarbeitungsverfahren gefunden bzw. entwickelt, muss ein Qualifizierungsprozess für Produkte der elektrischen Verbindungstechnik durchgeführt werden.

Dabei sind Prüfungen nach Normen, Zulassungen oder anwendungstypischen Anforderungen hinsichtlich mechanischer, elektrischer und Lebensdauer-Charakteristika zu berücksichtigen. Darüber hinaus sind beschleunigte Lebensdauertests (Wärme, Feuchte, Korrosion usw.) hinsichtlich der Produktfunktionalität von besonderem Interesse, um die Lebensdauer und Zuverlässigkeit im Vergleich zu beschichteten Bronzewerkstoffen als Bench-mark-System abzuschätzen.

Es ist zu beachten, dass bei einem so einschneidenden Schritt wie der Verwendung von Stahl als Basismaterial im Bereich der elektrischen Verbindungstechnik die Implementierung entsprechender Qualitätsprüfungsmethoden hinsichtlich der Materialien, Prozesse und Oberflächenqualität unumgänglich ist.

Zusammenfassung und Ausblick

Die vorgestellten Überlegungen zeigen die prinzipielle Substituierbarkeit bestimmter Bronzelegierungen durch Stahlwerkstoffe auf, wobei umfangreiche und detaillierte Überlegungen zu Materialeigenschaften, Verarbeitungstechniken und Alterungs- sowie Wechselwirkungsmechanismen notwendig sind. Besonderes Augenmerk ist auf die Entwicklung einer geeigneten Oberflächenbeschichtung zu legen, die sowohl den Korrosionsschutz als auch die elektrische Funktion gewährleistet.

Bei den gefundenen Lösungen ist die Substituierbarkeit von Bronzelegierungen durch Stahlwerkstoffe wirtschaftlich hochinteressant. Darüber hinaus eröffnen solche Lösungen die Möglichkeit, die Werkstoffauswahl in der elektrischen Verbindungstechnik grundlegend zu verändern. Traditionelle Beschränkungen auf Bronzewerkstoffe können überwunden werden, was möglicherweise zu einem kontinuierlichen Wandel in der elektrischen Verbindungstechnik führt.

Sicherlich werden Bronzewerkstoffe und insbesondere hochleitfähige Spezialkupferlegierungen ihre Bedeutung behalten. Dennoch werden die Fortschritte in den Verarbeitungstechniken und in der Werkstoffkunde die elektrische Verbindungstechnik kontinuierlich verändern. Solche Veränderungen können schrittweise erfolgen und müssen nicht unbedingt disruptiv sein.

Es bleibt die Frage, ob wir durch Forschung und wissenschaftliche Neugier an solchen Übergängen teilhaben oder sie sogar vorantreiben.

Literatur
[1] https://www.wissen.de/bildwb/steinzeit-bronzezeit-eisenzeit-entwicklungsphasen-der-menschheit, visited on 07.01.2022
[2] https://www.finanzen.net/rohstoffe/zinnpreis/chart, visited on 07.01.2022
[3] https://www.finanzen.net/rohstoffe/kupferpreis/chart, visited on 07.01.2022
[4] https://www.finanzen.net/rohstoffe/eisenerzpreis/chart, visited on 07.01.2022
[5] https://www.bluesea.com/resources/108/Electrical_Conductivity_of_Materials, visited on 13.01.2022
[6] https://www.wieland-alloywizard.com/, visit-ed on 07.01.2021
[7] DIN EN ISO 19598:2017-04 Table 5
[8] K.-H. Tostmann, „Korrosion - Ursachen und Vermeidung“, Wiley-VCH, Weinheim 2001, p.242
[9] K.-H. Tostmann, „Korrosion - Ursachen und Vermeidung“, Wiley-VCH, Weinheim 2001, p.243
[10] David R. Lide, ed., “CRC Handbook of Chemistry and Physics”, 90th Edition (CD-ROM Version 2010), CRC Press/Taylor and Francis, Boca Raton, FL, pp 8-20 and following
[11] H.J. Bargel, G. Schulze, “Werkstoffkunde”, Springer, Berlin 2008, DOI 10.1007/978-3-540-79297-0, pp 27-28
[12] N. Kanani, „Galvanotechnik“, Hanser, Munich 2009, pp 698
[13] N. Kanani, „Galvanotechnik“, Hanser, Munich 2009, pp 738

  • Ausgabe: Juni
  • Jahr: 2025
  • Autoren: Marcel Mainka und Thomas Wielsch
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