In der diesjährigen europäischen Kulturhauptstadt Chemnitz kamen am 2. und 3. April 2025 erneut Werkstoff- und Oberflächentechniker zum Werkstofftechnischen Kolloquium zusammen. Die Beteiligung an der jährlichen Veranstaltung war größer denn je.
Veranstalter des 24. Werkstofftechnischen Kolloquiums (WTK) ist das Institut für Werkstoffwissenschaft und Werkstofftechnik (IWW) der Technischen Universität Chemnitz. Es stand unter dem Motto „Academia meets Industry“. Der Einladung waren 220 nationale und internationale Teilnehmer gefolgt; das ist die bisher höchste Beteiligung an einem WTK. Die Veranstalter sind zu Recht stolz auf dieses Ergebnis.
Prof. Dr. Thomas Lampke, Professor für Werkstoff- und Oberflächentechnik an der TU Chemnitz, verwies in seiner Eröffnungsrede auf die Entwicklung des WTK zur internationalen Konferenz, die heutzutage nahezu komplett in englischer Sprache durchgeführt wird. Weiter betonte er seine Zuversicht in die wissenschaftliche Gemeinschaft.
Professor Dr. Jonas Hensel, Dekan der Fakultät für Maschinenbau der TU Chemnitz, verlieh seiner Freude Ausdruck, am zweiten Tag seiner Amtszeit auf dem WTK ein Grußwort halten zu dürfen. Er hob insbesondere das fortwährende Engagement des IWW und die Bedeutung des WTK für die Branche als Plattform für den wissenschaftlichen Austausch hervor.
Ein weiteres Grußwort mit guten Wünschen für die Veranstaltung kam von Prof. Dr. Lech Pawlowski, Universität Limoges/Frankreich, der Ehrendoktor an der Fakultät für Maschinenbau ist und als internationaler Experte für thermisches Beschichten gilt.
Getreu dem Motto des diesjährigen WTK standen am Anfang des Vortragsprogrammes folgende Impulsvorträge von Start-Ups und Industrieunternehmen:
- Amazemet (Warschau): Entwicklung und Lieferung von Ultraschallzerstäubungsgeräten
- 3D-Micromac AG (Chemnitz): Lasermikrobearbeitung vielfältiger Materialien mittels Kurzpuls- und Ultrakurzpulslasern sowie kurzwelligen Lasern
- Polytec GmbH (Waldbronn): Laser Doppler Vibrometrie
- Chemnitzer Werkstoffmechanik GmbH (Chemnitz) gemeinsam mit Kammrath & Weiss GmbH (Schwerte): Entwicklung von optischen Messverfahren mit digitaler Bildkorrelation, für die in-situ Charakterisierung des Werkstoffverhaltens mittels Licht- bzw. Elektronenmikroskopie
- CMMC GmbH (Chemnitz): Entwicklung einer neuen Gießtechnologie zur Herstellung von AMC Verbundpulvern (Aluminium Matrix Composite)
Im Foyer der Vortragsräume präsentierten sich in der Industrieausstellung darüber hinaus auch die Unternehmen Kulzer GmbH, Netzsch Gerätebau GmbH (Thermische Analyse, Emissionsanalyse), Brenscheidt Galvanik Service GmbH (Beratung, Labordienste), Diamant Polymer GmbH (Hersteller von Polymeren, Verbundmaterialien, Imprägniermitteln), Carl Zeiss Microscopy GmbH und die Cloeren Technology GmbH (Metallographie und Probenpräparation).
Das Vortragsprogramm wurde durch 13 Poster-Beiträge ergänzt. Diese Poster wurden ebenso im Foyer präsentiert und in Kurzvorträgen vorgestellt. Eine schöne Tradition besteht darin, dass die drei besten Poster, die in einer elektronischen Abstimmung ausgewählt wurden, in der Abendveranstaltung am ersten Konferenztag prämiert werden. Der erste Platz ging an Pratidhwani Biswal (Fraunhofer IGP Rostock) zum Thema „Thermally sprayed coating for soilless cultivation“. Den zweiten Platz errang Robert Rimpel (TU Chemnitz) mit dem Thema „Evaluierung des Schaeffler-Diagramms als Vorhersagemodell für die Eigenschaftsbestimmung in der funktional gradierten Fertigung mittels Plasma-Pulver-Auftragsschweißen“ und den dritten Platz LukአVáclavek (Universität Olomouc) mit dem Thema „Charakterisierung der mechanischen Eigenschaften von CrN-TiN-Schichten, die mit fortschrittlichen Sputtering-Methoden abgeschieden wurden“.
Insgesamt enthielt das Tagungsprogramm 62 Vorträge. Nachfolgend werden einige Vorträge näher betrachtet.
Best Poster Award, mit Prof. Dr. Thomas Lampke (l.)
Verbundwerkstoffe
Prof. Dr. Bodo Fiedler, Universität Hamburg, betrachtete in seinem Übersichtsvortrag die großen Herausforderungen hinsichtlich des korrekten Bestimmens mechanischer, elektrischer und thermischer Eigenschaften von Hochleistungsverbundwerkstoffen (Faser-Kunststoff-Verbundwerkstoffen). Speziell berichtete er über die Ansätze zur Messung der elektrischen Eigenschaften sowie zur Messung der Wärmeleitfähigkeit. Diese grundlagenbasierten Untersuchungen werden durch mathematische Methoden ergänzt und fortgeführt.
Im nächsten Vortrag befasste sich Dr. Andreas Todt, Fraunhofer ISC Münchberg, mit innovativen Rohrstrukturen für Kleinsatelliten. Durch die Verwendung eines Harzinfiltrationsprozesses, gefolgt von Pyrolyse und Silizierung, wurden die textilen Preformen in den keramischen Verbundwerkstoff C/C-SiC umgewandelt. Die entstandenen rohrförmigen C/C-SiC-Demonstratoren erfüllen die strengen Anforderungen der Luft- und Raumfahrt, wie geringes Gewicht, hohe Festigkeit und eine geringe thermische Ausdehnung.
Prof. Dr. Alexander Delp, Universität Dortmund, stellte Untersuchungen zur Charakterisierung des feuchtigkeits- und temperaturabhängigen Verformungsverhaltens des Vulkanfiber-Verbundwerkstoffes vor. ACC (All-Cellulose-Verbundwerkstoff)-Vulkanfiber, ein katalytisch umgewandeltes Zellulosepapier, weist ähnliche Materialeigenschaften wie Thermoplaste auf, zeigt aber eine höhere Abrieb- und Temperaturbeständigkeit, antistatische Eigenschaften und auch eine Empfindlichkeit gegenüber Feuchtigkeit. Es konnte nachgewiesen werden, dass die Einflüsse von Papierrezepturen auf die Umformeigenschaften identifiziert werden können.
Additive Fertigung
Im Vortrag von Kai Treutler, Universität Clausthal, ging es um die Entwicklung einer Verschleißschutzbeschichtung, die keine Nickel- und Cobaltbestandteile aufweist. Untersucht wurden Eisenaluminide, die einen ausreichenden Verschleißschutz ermöglichen, und es ist möglich, eine Eisenaluminid-Verschleißbeschichtung mit dem Plasma-Pulver-Auftragsschweißen auf ein Stahlsubstrat aufzubringen. Da die Elemente Eisen und Aluminium für sich genommen nicht ausreichend sind, um eine qualitativ hochwertige Verschleißschutzbeschichtung zu erhalten, wurden zusätzliche Legierungselemente und deren Einfluss auf die Mikrostruktur untersucht.
Chemische und galvanische Oberflächentechnologien
Dr. Markus Guttmann, KIT Karlsruhe, informierte in seinem Übersichtsvortrag zur Galvanoformung über bekannte industrielle Anwendungen sowie über die Entwicklung von Fertigungsverfahren für die Herstellung von mikro- und nanostrukturierten Abformwerkzeugen (Shims) aus Nickel für das Spritzgießen von Bauteilen aus Kunststoff, Metall oder Keramik. Speziell sprach er über Anwendung für Solarzellen, auf denen eine Rosenblütenblattstruktur zur Reduzierung der Reflexion erzeugt wurde. Die Lichtausbeute der Zellen wird dadurch erheblich gesteigert. Die Reflexion lässt sich damit auf unter 1% verringern. Für den großtechnischen Einsatz lässt sich die Mikrostruktur der Natur (Rosenblatt) mittels Laserstrukturierung herstellen.
Eine der größten Herausforderungen in einem zukünftigen Fusionskraftwerk ist die Auskopplung von Wärme aus den sogenannten „Divertor Targets“, den wichtigsten Bauteilen im Brütermodul, berichtete Dr. Carsten Bonnekoh, KIT Karlsruhe, im Anschluss. Das Basiskonzept verwendet Wolfram als plasmaseitiges Material und eine Kupferlegierung für die darunter liegende Wärmesenke. Am KIT Karlsruhe wird die Verbindung durch galvanisch abgeschiedene Zwischenschichten realisiert.
Ein weiterer Vortrag in dieser Session von Dr. Mehri Hashemzadeh, Innovent Jena, beschäftigte sich mit dem Einfluss von Oxalat- und Citrat-Zusätzen auf sogenannte Soft-Sparks im PEO (Plasmaelektrolytischer Oxidationsprozess) der Legierung Al6082. Natriumoxalat verlängerte die Dauer des stromkonstanten Modus, während Natriumcitrat sie verkürzte. Beide Additive verbessern die Verschleißfestigkeit und bieten eine ausgezeichnete Korrosionsbeständigkeit nach 1.000 h Salzsprühnebelbelastung.
Igor Danilov, TU Chemnitz, stellte mit seinen Ausführungen eine 2D-Simulation der Sperrschichtbildung während der Anfangsphase von PEO vor. Um die Dynamik des PEO-Prozesses besser zu verstehen und das transiente Schichtwachstum auf der Anodenoberfläche zu bewerten, sind Multiphysik-Simulationen eine geeignete Methode. Das Hochfeldmodell wurde verwendet, um das Wachstum der Oxidschicht in Abhängigkeit von der durchgelassenen elektrischen Ladung zu berechnen.
Laborführung am IWW
Nickellegierungen
Nickel- und Nickellegierungsschäume sind hervorragende Trägermaterialien für viele verschiedene Anwendungen, so u. a. Filter, Katalysatormaterial, Batterieelektroden. Dr. Anton Salomon, Fraunhofer IFAM Dresden, referierte über Untersuchungen zu Oberflächenmodifikationen von Nickelschäumen für unterschiedliche Anwendungen. Entscheidend für die Stabilität der legierten Schäume ist eine maßgeschneiderte Wärmebehandlung als letzter Prozessschritt. Betrachtet wurden Prozesskette, Oberflächenbehandlung, Legierung und Wärmebehandlung sowie die Anwendung von Nickelschäumen in Bereichen wie der Wasseraufbereitung und der Filtration.
Wasserstofftechnologie
Galvanisch abgeschiedene, poröse Schichten zur Funktionalisierung von Elektroden für die alkalische Wasserelektrolyse zeigte Dr. Andrea Zaffora (Universität Palermo) in seinen Ausführungen. Vorgeschlagen wurden kathodische und anodische poröse Transportschichten, die durch optimierte Elektroabscheidungsprozesse funktionalisiert wurden, um in alkalischer Umgebung zu arbeiten. Platingruppenmetallfreie Nickel enthaltende katalytische Schichten wurden unter Verwendung von rostfreiem Stahlgewebe als Substrat untersucht.
Sebastian Kaiser, BAM Berlin, stellte eine Studie zur Bewertung von Schweißprozessbedingungen und von Schweißnähten für Druckwasserstoffpipelines vor. Da der Wasserstoff im Pipelinematerial absorbiert werden kann, besteht das Risiko, dass es bei erforderlichen Schweißarbeiten an unter Druck stehenden Pipelines zu einer signifikanten Erhöhung der Wasserstofflöslichkeit der Werkstoffe kommt.
Viel beachtete Plenarreden, Schichten aus recyceltem Pulverabfall
Viel Beachtung fanden am Morgen des zweiten Konferenztages die Plenarvorträge von Dr. Lukas Wojarski, Technische Universität Dortmund, zum Thema „Digitale Labore in der Hochschullehre“ und von Prof. Dr. Sebastian Härtel, BTU Cottbus, der zukunftsweisende Konzepte für das Recycling von metallischen Spanabfällen mithilfe additiver Technologien präsentierte. Dies galt ebenso für die Beiträge zur menschenzentrierten Digitalisierung, die sich mit Fragen der nachhaltigen Mensch-Technik-Beziehung, der Gewinnung und Systematisierung von Expertenwissen und der adaptiven Visualisierung von Prozesskenngrößen, bspw. zur Gestaltung von Beschichtungsprozessen, befassten. Hierdurch ist es möglich, nachvollziehbare Entscheidungen zu treffen, die zu effizienten und effektiven Prozessen führen.
Den Abschlussvortrag hielt Prof. Dr. Shrikant Joshi von der Hochschule West, Trollhättan/Schweden, der als Mitglied der Hall-of-Fame der Thermal Spray Society erneut als Gastwissenschaftler einen längeren Forschungsaufenthalt am IWW absolviert und dabei vielfältige wissenschaftliche Aktivitäten mitgestaltet. Am Beispiel des thermischen Spritzens gab er interessante Einblicke in die Entwicklung der Oberflächentechnik zur Bewältigung technologischer Herausforderungen, die einer intensiven grundlagen- und anwendungsbezogenen Forschung bedürfen. Die frappierenden Eigenschaften von Schichten aus wiederaufbereiteten Pulverabfällen ließen auch die Experten aufhorchen.
Zum Abschluss des 24. WTK dankte Prof. Dr. Guntram Wagner, TU Chemnitz, IWW, Professur Verbundwerkstoffe und Werkstoffverbunde, allen Referenten für ihre interessanten wissenschaftlichen Beiträge und lud zum 25. WTK im Jahr 2027 herzlich ein.
Die Abendveranstaltung zum Abschluss des ersten Konferenztages fand im Hotel Chemnitzer Hof statt und vereinte alle zu einem gemütlichen Get-together. Chemnitz ist im Jahr 2025 Kulturhauptstadt Europas und so schlugen die Organisatoren eine Brücke zwischen dem 24. WTK und den vielfältigen Veranstaltungen in Chemnitz in diesem Jahr. In einem informativen Vortrag zeigte Dr. Barbara Waske vom Industriemuseum Chemnitz im Rahmen der Abendveranstaltung den Strukturwandel der Industriestadt Chemnitz in der jüngeren Geschichte mit allen Höhen und Tiefen auf. Die gleichnamige Ausstellung im Industriemuseum Chemnitz „Tails of Transformation – Geschichten des Wandels“ ist Teil des Kulturhauptstadtprogrammes. Es gelang der Referentin, das Zusammenwirken von Gesellschaft, Technik und Kultur am Beispiel von Chemnitz und weiteren, ähnlich vom Wandel betroffenen Städten Europas, herzustellen. Das Kolloquium fand seinen Abschluss mit der optionalen Laborführung am IWW, von der etliche Personen Gebrauch machten, bevor auch sie sich auf die Heimreise begaben. Die rundum gelungene Veranstaltung überzeugte erneut mit einem ansprechenden Vortragsprogramm, einer informativen Industrieausstellung, kurzweiligen Pitches in der Postershow und einer gelungenen Abendveranstaltung.