Auf Kohlen geboren

Auf Kohlen geboren
  • Titelbild: Fotos: Sven Gramatke

Der Bergbau ist eines der Fundamente menschlicher Zivilisation. Diamanten, Metalle und die einstige Essenz der Industrie, Kohle, werden aus den Tiefen der Erde gehoben und nutzbar gemacht. Mittendrin, im pulsierenden Herzen des Ruhrgebiets, erhebt sich das Deutsche Bergbau-Museum Bochum als monumentales Zeugnis dieser uralten Verbundenheit.

Wenn man die Schwelle zum Ruhrgebiet überschreitet, springen einem die unzähligen Fördertürme geradezu ins Auge. Wie die alten Pyramiden in Ägypten zieren die imposanten Bauwerke die Landschaft. Zahllose Gebäude sind mit Symbolen des Bergbaus verziert, gelegentlich schallt ein „Glück auf“ aus den Gassen. Wer beispielsweise am Hauptbahnhof Gelsenkirchen aussteigt, wird mit zahlreichen Infotafeln voller Bilder und Texte über den rußigen Glanz vergangener Tage aufgeklärt. Ruhrgebiet ist Bergbau und Kohle – da gibt es zu keiner Sekunde Zweifel. Wer tiefer in den Stollen der Geschichte eintreten möchte, fährt knapp zwanzig Kilometer per Pkw oder Straßenbahn weiter nach Bochum.

Zwischen Ruhr und Emscher

Mitten im Ruhrgebiet, ziemlich im Zentrum von Bochum, ragt das Gebäude des Deutschen Bergbau-Museums gen Himmel. Es wurde 1930 gegründet und ist mittlerweile das größte Bergbaumuseum der Welt. Die für Westfalen typischen roten Klinkersteine lassen das Bauwerk mit seinen hohen Säulen im Eingangsbereich und der einladenden Treppe imposant wirken.

Rund 170 Mitarbeiter sind hier beschäftigt, da es nicht nur ein Museum, sondern ebenfalls Forschungsinstitut für Montanarchäologie und Archäometrie ist. Montanarchäologie bezeichnet die wissenschaftliche Erforschung der Bergbaugeschichte und ihrer archäologischen Überreste, während Archäometrie die Anwendung physikalischer und chemischer Analysetechniken auf archäologische Materialien wie Metalle, Keramik und Gesteine beinhaltet.

Wer bereits zur Öffnungszeit um 9:30 Uhr eintritt, wird vom freundlichen Personal in Empfang genommen. Der Besuch kostet für Erwachsene gerade einmal 10 Euro. Dafür bekommt man über 3.000 Exponate auf einer Fläche von 12.000 Quadratmetern präsentiert. Bei Nachfragen – etwa zur Beschichtung von Werkzeugen – wird einem gerne weitergeholfen.

Bereits vor dem Kassenbereich zieht ein riesiger Kohle-block den Besucher in seinen Bann. Ab dann hat man die Wahl, in verschiedene Abteilungen zu schreiten oder direkt in das Anschauungsbergwerk hinabzusteigen.

Das Ruhrgebiet am Äquator

Folgt man der Empfehlung an der Kasse, betritt man zunächst die Abteilung zur Geschichte der Steinkohle. Diese beginnt vor 300 Millionen Jahren, als sich die Steinkohlen Europas bildeten. Man erfährt, dass sich während dieser Zeit das heutige Europa in der Nähe des Äquators befand. Dies führte zu riesigen Urwäldern, die von den Exponaten belegt und von einem großen Gemälde unterstrichen werden. In Tälern und Küstengebieten entwickelten sich Sümpfe und Moore, wo sich das Material für die heutigen Kohlelagerstätten bildete. Die damaligen Bäume konnten eine Höhe von bis zu dreißig Metern erreichen und wurden bis zu zwei Meter dick. Über Millionen von Jahren entstand zuerst Braunkohle und später Steinkohle. Die einzelnen Steinkohleschichten nennt man Flöze.

Neben den beeindruckenden Versteinerungen erhält man zahlreiche Informationen, etwa eine geologische Übersichtskarte des Rheinisch-Westfälischen Steinkohlegebiets. Hierzu existiert sogar ein 3D-Modell im Maßstab 1:10.000.

Mittelalter und Proto-Industrialisierung

Ehemalige Zeche Consolidation, Schacht 9 in Gelsenkirchen  Ehemalige Zeche Consolidation, Schacht 9 in Gelsenkirchen

Bereits im Jahr 1296 wurden erste Kohlengräber in der Nähe von Dortmund dokumentiert. Kohle wurde zunächst vom Schmiedehandwerk als Brennstoff verwendet. Ab dem 15. Jahrhundert wurde der Bergbau zu einem wichtigen Gewerbezweig. Größere Gruben betrieben der märkische Adel, Klöster, Großbauern und Kaufmannsfamilien. Schon zu dieser Zeit reichten die Absatzmärkte über das Ruhrgebiet hinaus.

Im Laufe des Rundgangs erfährt man viel über bedeutende Personen der Bergbaugeschichte, etwa Friedrich Anton von Heynitz. In jungen Jahren begann er ein umfassendes Studium, das ihn mit den wissenschaftlichen und technischen Aspekten des Bergbaus vertraut machte. Als Generalbergkommissar Sachsens führte von Heynitz gewichtige Reformen im Bergwesen durch. Seine Zusammenarbeit mit Friedrich Wilhelm von Oppel führte zur Gründung der Bergakademie Freiberg, einem entscheidenden Schritt für die Bildung und Innovation im Bergbau. Von Heynitz gilt als einer der bedeutendsten preußischen Berg­­beamten.

Die Entwicklung des Bergbaus wird in zahlreichen liebevoll gestalteten 3D-Modellen plastisch dargestellt. Dabei werden die widrigen Bedingungen und Gefahren nicht verschwiegen. Nicht nur der reine Abbau, sondern auch der Transport aus dem Stollen bis zur Weiterverarbeitung findet hier Beachtung. Man erfährt, dass die Kohle zunächst von Menschen durch die engen Gruben gezogen wurde und später Pferde zum Einsatz kamen, bis diese von der Bahn abgelöst wurden. Im Anschauungsbergwerk begegnet man „Grubenpferd Tobias“ in Lebensgröße. Das Pferd arbeitete bis 1966 im Bergwerk General Blumenthal in Recklinghausen.

Industrialisierung und Galvanotechnik

Die Geschichte des Bergbaus ist auch eine Geschichte des Maschinenbaus, der Technik und Oberflächentechnik. Auf Letzteres wird im Museum leider nicht explizit eingegangen. Kennern fällt jedoch auf, dass die Werkzeuge ab Beginn des 20. Jahrhunderts entsprechende Beschichtungen aufweisen – vorwiegend Nickel und Chrom. Zuvor wurden – je nach Anwendung – bevorzugt Messing, Bronze und unbehandelter Stahl eingesetzt, deren Beschaffenheit mal mehr, mal weniger den hohen Belastungen trotzte. Im unteren Stockwerk und im Anschauungsbergwerk befinden sich mehrere, teils schwere Maschinen aus vorwiegend moderneren Zeiten des Bergbaus. Im Ausbaubock – eine tragende Konstruktion im Bergbau, die verwendet wird, um das Deckgebirge während des Abbaus zu stabilisieren – kann man sogar zahlreiche hartverchromte Zylinder bewundern. Rund 80 % der im Anschauungsbergwerk ausgestellten Maschinen sind heute noch voll funktionsfähig, aus Sicherheitsgründen wird die Funktion aber nicht mehr vorgeführt. Auch auf Sprengungen muss der neugierige Besucher verzichten. Mit der Nutzung der Dampfmaschine stieg der Bedarf an Kohle. Dadurch waren Unternehmen und Gewerken (Anteilseigner im Bergbau) zu höheren Investitionen bereit. In der Wasserhaltung und Förderung setzte man zunehmend Dampfkraft ein. Neue Techniken im Schachtbau ermöglichten den Zugang zu den zur Verkokung geeigneten Fettkohlen in großen Tiefen. Fettkohle ist eine Kohlesorte mit einem hohen Gehalt an flüchtigen Bestandteilen und geringem Aschegehalt, was sie ideal für die Verkokung, den Prozess der Umwandlung von Kohle in Koks, macht. Koks ist ein festes, poröses Material, das durch die Erhitzung von Kohle in einem speziellen Ofen, einem sogenannten Koksofen, hergestellt wird. Dabei werden flüchtige Bestandteile wie Teer und Gas abgetrennt, wodurch ein fester Rückstand entsteht, der Koks genannt wird. Koks ist ein wichtiger Brennstoff und Reduktionsmittel in der Stahlherstellung. Er zeichnet sich durch seine hohe Hitzebeständigkeit und geringe Rauchentwicklung aus, was ihn besonders geeignet für Hochtemperaturanwendungen macht. Die Verwendung von Fettkohle in Kokshochöfen beschleunigte den Übergang von der Verwendung von Holzkohle zu Koks als Brennstoff in der Eisen- und Stahlindustrie.

Selbiges führte zu einem sprunghaften Anstieg der Bevölkerung, was man exemplarisch an der Einwohnerentwicklung Bochums nachvollziehen kann. 1871 lag sie bei rund 21.000, 1913 bei 155.000 Einwohnern. Nach dem Ersten Weltkrieg stieg die Einwohnerzahl noch einmal rasant an und gipfelte 1929 bei über 321.000 Bürgern. Heute leben, Stand Dezember 2022, 365.742 Personen in Bochum.

Eingang zum Museum   Eingang zum Museum

Von Ausbeutung und Arbeiterkampf

Nicht nur die Erde, sondern auch die Arbeiter wurden unter Tage ausgebeutet. Das „neue Bergrecht“ von 1860 gab den Unternehmern umfassende Freiheiten. Für die Arbeitnehmer verschlechterte sich die Situation. Die „Knappen“ waren von der Willkür ihrer Vorgesetzten, den „Steigern“, abhängig. Diese wiederum standen unter dem Druck der Zechenleitung. Die Förderleistung stand weit über der Sicherheit. Trotz des technologischen Fortschritts hatten Bergleute mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, die durch Vibrationen, Lärm und Staubbelastung verursacht wurden.

gt 2024 07 016Der symbolische Sarg zur Stilllegung erinnert ein wenig an den Sarkophag eines Pharaos

gt 2024 07 018Bohrhammer Jubiläumsfabrikat „20000“; Flottmann-Aktiengesellschaft; Herne, 1911. Der Bohrhammer wurde nachträglich sehr schlecht verchromt. Die Beschichtung löst sich mittlerweile großflächig ab

Während einige der Manager den Sprung zum Großbürgertum und in politische Ämter schafften, verbesserte sich der Lebensstandard der Arbeiter kaum. Und dies, obwohl die Anstrengungen und Gefahren in Tiefbauzechen immer größer wurden. Streiks waren die Folge. Im verzweifelten Kampf um ihre Rechte kam es zur Anrufung des Kaisers als oberstem „Bergherrn“ und gewerkschaftlichen Zusammenschlüssen. Dieser Kampf der Arbeiter nimmt einen stattlichen Raum im Museum ein. Die Streiks der Bergleute im Ruhrgebiet 1889, 1905 und 1912 blieben aufgrund der großen Zahl der Streikenden und der Heftigkeit der Konfrontationen einzigartig im deutschen Kaiserreich. Der Aufstand von 1889 wird als Wendepunkt in der Arbeiterbewegung angesehen. Die Bergarbeiterschaft organisierte sich in Gewerkschaften, sowohl zur gegenseitigen Unterstützung als auch um Geschlossenheit und Stärke zu demonstrieren.

Weitere Konflikte entstanden nach dem Ersten Weltkrieg. Die Arbeiter forderten den Sechsstundentag im Bergbau. Wichtige Entwicklungen der Gewerkschaftsbewegung und Sozialpolitik nahmen so in den Bergbaurevieren ihren Anfang. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden die Gewerkschaften zerschlagen und die Belegschaften gleichgeschaltet.

Stammrest eines Schuppenbaumes aus dem  Karbonzeitalter. Ca. 306 Millionen Jahre alt  Stammrest eines Schuppenbaumes aus dem Karbonzeitalter. Ca. 306 Millionen Jahre alt

„Durch Arbeit zum Sieg!“ – Die dunklen Jahre

In beiden Weltkriegen mussten der Bergbau und die nachgelagerte Industrie für Propaganda herhalten. „Durch Arbeit zum Sieg! Durch Sieg zum Frieden!“ zeigt ein Plakat von 1918. Ein weiteres Poster präsentiert ein Geschütz der Firma Krupp, welches am 5. August 1914 die Stellungen in Lüttich zerstörte. Die Waffe wurde später als „Dicke Bertha“ bekannt. Auf dem Plakat prangt in großen Lettern: „Das Geheimnis von Lüttich“ und „Unser Bombenerfolg“.

Während des Zweiten Weltkriegs spielte der Bergbau im Ruhrgebiet eine entscheidende Rolle für die Kriegsführung. Insbesondere die Kohlehydrierung war eine bedeutende Technologie, die zu dieser Zeit stark genutzt wurde.

Die Kohlehydrierung war ein Verfahren zur Herstellung von synthetischem Treibstoff, das auf der Umwandlung von Kohle in flüssige Brennstoffe basierte. Angesichts der erschöpften Erdölreserven und der Blockade durch die Alliierten gewannen alternative Treibstoffquellen für das Deutsche Reich entscheidende Bedeutung. Das kohlereiche Ruhrgebiet bot sich als idealer Standort für Kohlehydrierungsanlagen an.

Diese Anlagen produzierten synthetische Treibstoffe, insbesondere Flugbenzin und Dieselkraftstoff. Die Kohlehydrierung hatte jedoch ihre Herausforderungen. Die Technologie war ressourcen- und energieintensiv und erforderte große Mengen an Kohle sowie Wasserstoff. Trotz dieser Hindernisse trug diese Technologie maßgeblich dazu bei, die Treibstoffversorgung des Deutschen Reiches aufrechtzuerhalten.

Die Kohle war ein wesentlicher Energieträger für die deutsche Industrie und wurde für die Stahlproduktion und die Versorgung von Heizungen und Kraftwerken verwendet. Darüber hinaus wurden zahlreiche Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in den Bergwerken des Ruhrgebiets eingesetzt, um die Produktion beizubehalten.

Modell einer Tauchpumpe für Grubenwasser   Modell einer Tauchpumpe für Grubenwasser

Über Tage – unter Tage

Was Touristen vom Bergbau im Ruhrgebiet wahrnehmen, sind die Fördertürme und Zechengebäude. Aber diese spielen für die Bergleute nur eine untergeordnete Rolle. Darunter verbirgt sich das gewaltige Netz von Strecken und Förderwegen unter Tage.

Im Laufe der Zeit wurden bei der Abteufung von Tiefbauschächten besondere Herausforderungen durch eindringendes Wasser bewältigt. Bei der Abteufung handelt es sich um den Prozess des Vertiefens oder Abgrabens eines Schachts oder einer Grube in den Boden, um mineralische Rohstoffe wie Kohle, Erz oder Salz zu gewinnen. Tiefbauschächte sind Schächte, die in großen Tiefen abgeteuft werden, um an die dortigen Bodenschätze zu gelangen.

Das Niederbringen des Schachts bezieht sich auf den eigentlichen Vorgang des Herablassens eines Bohrgeräts oder einer anderen Ausrüstung in den Boden, um den Schacht zu errichten. Ab 1910 wurde vor diesem Prozess das Erdreich abgekühlt, um das im umgebenden Erdboden enthaltene Wasser gefrieren zu lassen, was die Abteufung erleichterte und das Eindringen von Wasser in den Schacht verhinderte.

Wurfschaufellader im Anschauungsbergwerk   Wurfschaufellader im Anschauungsbergwerk

Der Abbau der Kohleflöze im Ruhrgebiet führte zu einer weitreichenden Senkung des Geländeniveaus, was insbesondere den Verlauf der Emscher beeinflusste. Heutzutage liegt der Hauptbahnhof von Essen sogar 15 Meter unter dem Niveau des Rheins. Während des Abbaus traten vor allem in den Bereichen der Sättel und Mulden Risse in Gebäudemauerwerken auf, die als Bergschäden bekannt sind. Zudem stellen oberflächennahe Hohlräume wie unverfüllte Schächte und Schürfe heute noch eine Gefahr dar. Erst mit dem Preußischen Berggesetz von 1865 wurden Bergwerksbetreiber verpflichtet, ihre Abbaugebiete zu kartieren und der Oberen Bergbehörde zu melden. In der Nachkriegszeit kam es stellenweise zu illegalem Abbau, in dessen Folge nicht dokumentierte Hohlräume zurückblieben.

Auch heute noch werden Grubenwässer in großem Umfang abgepumpt, was zu einer weiteren Senkung des Grundwasserspiegels führt. Diese Grubenwässer sind toxisch und müssen unterhalb des Grundwasserstands gepumpt werden, um eine Kontamination des Trinkwassers zu verhindern. Fast ein Fünftel des Ruhrgebiets liegt aufgrund des Bergbaus unter dem eigentlichen Grundwasserspiegel und erfordert kontinuierliche Entwässerungsmaßnahmen. Die Bewältigung dieser Herausforderungen ist eine langfristige Aufgabe, die von der RAG-Stiftung koordiniert wird.

Die ehemaligen Zechengelände sind oft mit verschiedenen Schadstoffen belastet, wie zum Beispiel Hydraulikölen in den Maschinenhallen oder polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) und Benzol auf den Kokereigeländen.

Technik zum Anfassen: Hier können auch modernere Geräte erforscht werden   Technik zum Anfassen: Hier können auch modernere Geräte erforscht werden

Der Niedergang

Nach dem Zweiten Weltkrieg spielte der Ruhrbergbau eine entscheidende Rolle für die wirtschaftliche und politische Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland, obwohl er zunächst mit Herausforderungen zu kämpfen hatte. Während die Zechen nur geringe Kriegsschäden erlitten hatten, war der Wohnraum im Ruhrgebiet weitgehend zerstört, und die Versorgungslage katastrophal. Arbeitskräfte anzuwerben gestaltete sich schwierig, da es nach der Befreiung der Zwangsarbeiter an Bergleuten mangelte und die Ernährungslage die Förderleistung beeinträchtigte.

Die ungeklärten Eigentumsverhältnisse verzögerten dringend benötigte Investitionen. Die Alliierten übertrugen die Organisation des Ruhrbergbaus zunächst an deutsche Institutionen. Die französische Regierung fürchtete jedoch einen Verlust der Kontrolle über das Ruhrgebiet und drängte auf eine europäische Lösung. Die Schaffung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) war schließlich die politische Antwort. Die EGKS – auch Montanunion genannt – wurde 1951 durch den Vertrag von Paris gegründet und war eine der ersten supranationalen Organisationen in Europa. Ihr Ziel war es, die Kohle- und Stahlproduktion in den Mitgliedsländern zu koordinieren und zu kontrollieren, um so einen Beitrag zur Sicherung des Friedens und der wirtschaftlichen Entwicklung in Europa zu leisten. Die EGKS umfasste zunächst sechs Mitgliedstaaten: Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande. Heute gilt die Organisation als Grundstein für die weitere Entwicklung der Europäischen Union (EU) und ihrer Institutionen, die heute eine zentrale Rolle in der europäischen Politik und Wirtschaft spielen.

In den Folgejahren erlebte der Ruhrbergbau eine Phase des Aufschwungs, wobei 1956 mit fast 125 Millionen Tonnen Steinkohle der Höchststand erreicht wurde. Trotz der hohen körperlichen Belastung waren die Löhne der Bergleute attraktiv, und der Beruf galt als begehrenswert. Die Einwanderung von Heimatvertriebenen und später Gastarbeitern prägte die Bevölkerungsstruktur.

Die steigende Nachfrage nach Energie konnte die heimische Kohleförderung nicht decken, weshalb Kohle aus den USA und anderen Ländern importiert werden musste. Gleichzeitig drängte Erdöl als neuer Energieträger auf den Markt. Die Einführung moderner Fördermethoden und die Modernisierung der Anlagen sollten die Effizienz steigern, doch die steigende Konkurrenz und die sinkende Nachfrage führten zu Absatzproblemen.

Bereits ab 1958 mussten Haldenbestände angelegt werden und die Schließung von Zechen begann. Die Bundesregierung lehnte protektionistische Maßnahmen zugunsten des Ruhrbergbaus ab. Trotz Rationalisierungsmaßnahmen konnte der Absatz nicht stabilisiert werden und die Krise verschärfte sich.

Die mechanisierte Förderung sollte die Effizienz steigern, aber die Kohlekrise führte zur Stilllegung zahlreicher Zechen. Ein Beispiel wird anhand der Eisenerzförderung im Anschauungsbergwerk erklärt. Das Erz enthält nur rund 30 % Eisen, während es andernorts bei 60 % und höher liegt. Außerdem muss es in Deutschland teuer unter Tage gefördert werden, wohingegen es in anderen Ländern wesentlich günstiger im Tagebau gewonnen werden kann. 2018 wurde die Steinkohlesubvention durch die Bundesrepublik beendet. Die letzte deutsche Steinkohle wurde am 21. Dezember im selben Jahr bei einer Abschlussveranstaltung an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier übergeben.

Ein kleiner Teil der beeindruckenden KunstausstellungEin kleiner Teil der beeindruckenden Kunstausstellung

Kunst und Tiefenwirkung

Einen beeindruckend großen Raum im Museum nimmt die Kunst rund um den Bergbau ein. Hier finden sich Skulpturen, wunderschöne Gemälde mit bergbaulichen Motiven, Porzellan und vieles mehr. Die Kunstausstellung veranschaulicht eindrucksvoll, wie sehr Künstler vom Montanwesen inspiriert wurden, und unterstreicht die Auswirkung auf die Region. Die Tradition ging mittlerweile in Folklore über und zeigt sich nicht nur im Alltag, sondern ganz besonders im mit dem Bergbau tief verwurzelten Sport – wie etwa auf Schalke.

Insgesamt sorgt das Deutsche Bergbau-Museum dafür, dass man tief in die Geschichte hineingezogen wird. Audioguide-Touren erklären die Begriffe, im Hintergrund hört man Arbeitsgeräusche und Bergmannslieder. Im gut belüfteten Anschauungsbergwerk kommen die Gerüche, das plätschernde Wasser und eine gewisse beklemmende Enge hinzu. Im historischen Kontext wird man stellenweise das Gefühl nicht los, sich in einer tief verborgenen Grabkammer eines Pharaos zu befinden. Eine Kammer, in der der einstige „König Bergbau“ begraben liegt. Ein Monarch, der das Ruhrgebiet zu dem machte, was es heute ist. Er ernährte die Menschen, gab Perspektiven und Hoffnung.

Nach dem Besuch – für den man mindestens einen halben Tag einplanen sollte – versteht man erst die Seele dieser Region. Die Hochachtung vor ehrlicher, harter Arbeit, umgangssprachlich „Maloche“ genannt, den Kampf für Arbeiterrechte und die tiefe Sehnsucht nach besseren Zeiten mit sicheren Arbeitsplätzen. Man begreift die wechselhaften Gefühle aus Stolz und Melancholie sowie die direkte, aber herzliche Art der Menschen, für die das Ruhrgebiet ebenfalls bekannt ist. In Anbetracht der Geschichte erfüllt es den Besucher sogar mit tiefem Respekt, wenn man an Häuserwänden „auf Kohlen geboren“ liest.

Hinweis: In Heft GTFY Nr. 25, das dieser Ausgabe der Galvanotechnik beiliegt, können Sie noch viel mehr über Bergbau und die Metallgewinnung erfahren.

  • Ausgabe: Juli
  • Jahr: 2024
  • Autoren: Sven Gramatke
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