#OTLeipzig 2024 – Wie die Transformation die Branche umtreibt – Teil 1

Keynote-Speaker Dr. Michael Hüther vom IW Köln sprach über Transformation und Resilienz, konnte damit aber nur bedingt überzeugen (Foto: ZVO/Sven Hobbiesiefken)
  • Titelbild: Keynote-Speaker Dr. Michael Hüther vom IW Köln sprach über Transformation und Resilienz, konnte damit aber nur bedingt überzeugen (Foto: ZVO/Sven Hobbiesiefken)

Die diesjährigen Oberflächentage in Leipzig vermittelten mit 550 Teilnehmern und 70 Ausstellern auf den ersten Blick ein Bild der Stabilität. Tatsächlich war die Veranstaltung mit Blick auf die fachliche Vortragsqualität sicherlich „Weltspitze“, wie es der DGO-Vorsitzende Dr. Martin Metzner formulierte. Transformation und volatile Rahmenbedingungen schlagen aber auf die Stimmung, wie schon der Eröffnungsabend zeigte.

Fragmentierte Stimmungslage

Die aktuelle Lage der Galvanotechnik skizzierte ZVO-Vorsitzender Jörg Püttbach (Foto: Robert Piterek)Die diesjährigen Oberflächentage zeigten einmal mehr den in der Gesellschaft tief verwurzelten Charakter der Galvano- und Oberflächentechnik mit ihren überwiegend kleinen und mittleren Unternehmen. Denn ähnlich wie die Gesellschaft, befindet sich auch die Branche aktuell mit sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten und mannigfaltigen Überzeugungen auf dem Weg in die Zukunft: Während bei dem einen Unternehmen der Branche das Geschäft brummt, fährt das andere Kurzarbeit. Während die einen zuversichtlich in die Zukunft blicken und Wasserstoff sowie erneuerbare Energien als Lösung der Energieprobleme der Zukunft erachten, wähnen sich die anderen auf dem Weg in den Energiekollaps und verurteilen die Abschaltung der Atomkraftwerke im vergangenen Jahr. Dazwischen tummeln sich Anhänger zahlreicher Mischformen, die mehr oder weniger zuversichtlich ihren Geschäften nachgehen. Eine Frage war überdurchschnittlich oft auf den diesjährigen Oberflächentagen zu hören: Wie sollen wir mit unserem zweiprozentigen Anteil an den weltweiten CO2-Emissionen die Welt retten? Die große Einigkeit fehlt also beim Klimakurs, auch wenn die grundsätzliche Bereitschaft, dem Klimawandel mit nachhaltigen und energieeffizienten Technologien entgegenzutreten, sicherlich gegeben ist. Auch Zweifler am menschengemachten Klimawandel überzeugt derzeit sicherlich die weiterhin hohe Stromrechnung von der Notwendigkeit, im eigenen Unternehmen Stromsparmaßnahmen umzusetzen und nachhaltig zu wirtschaften. Denn der angekündigte billigere Strom durch erneuerbare Energien lässt weiter auf sich warten und ist angesichts fehlender Stromtrassen und der Abermilliarden teuren Umstellung der Energieinfrastruktur wohl auch nicht so schnell zu haben. Soweit die Beobachtung zur eher ernüchternden, durchaus fragmentierten Stimmungslage in der Branche, deren Bild sich aus Vorträgen und Gesprächen in Leipzig ergeben hat.

ZVO und DGO kritisieren Rahmenbedingungen

Die Veranstalter vom Zentralverband Oberflächentechnik e. V. (ZVO) ließen bei der feierlichen Eröffnung der Oberflächentage in der Kongresshalle am Zoo in Leipzig indes ebenfalls kritische Stimmen anklingen. ZVO-Vorsitzender Jörg Püttbach bemängelte die Behinderung der Industrie durch Bürokratie und Regulation. Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Galvano- und Oberflächentechnik (DGO), Dr. Martin Metzner, schlug in die gleiche Kerbe, als er die Verdreifachung der Bewilligungszeiträume bei Forschungsprojekten durch die zunehmende Regulation beklagte. Er kenne Forschungsprojekte, bei denen wegen Umbaumaßnahmen durch verschärfte Bauvorschriften kein einziges Experiment durchgeführt worden sei, nannte er ein beunruhigendes Beispiel.

DGO-Vorsitzender Dr. Martin Metzner beschrieb Forschungshemmnisse und lobte das bevorstehende Vortragsprogramm (Foto: ZVO/Sven Hobbiesiefken)DGO-Vorsitzender Dr. Martin Metzner beschrieb Forschungshemmnisse und lobte das bevorstehende Vortragsprogramm (Foto: ZVO/Sven Hobbiesiefken)

Püttbach schwenkte in seiner Begrüßungsrede nach dem kritischen Einstieg schnell zu den eher positiven Themen. Er zeigte sich zuversichtlich, dass die EU-Wahlen den Wind im Parlament mit möglichen Vorteilen für den ZVO verändert hätten. Im Schulterschluss mit anderen Verbänden, mit deren gemeinsamer Schlagkraft die Interessen der Branche und des Mittelstands besser vertreten werden könnten, seien bereits Erfolge des Verbands in Brüssel erzielt worden: die Mitbestimmung bei der TA Luft, beim Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) und bei den Besten Verfügbaren Technologien (BVT). Darüber hinaus lobte er die vielen Eingaben des Europäischen Verbandes für Oberflächentechnik CETS bei der EU und hob hervor, dass die Nutzung von Cr(VI) künftig nicht mehr autorisiert werden müsse, sondern ein (mutmaßlich unbürokratischeres, grenzwertbasiertes) Beschränkungsverfahren eingeführt werde – Verdienste, die auf den ZVO zurückgingen, wie er betonte.

Preise: Batterietechnik und Whiskerbildung im Fokus

Zeitlich etwas zu knapp bemessen waren die Preisverleihungen im prächtigen Kongresssaal am Leipziger Zoo, wo die Branche schon vor zwei Jahren den Auftakt zum bedeutendsten jährlichen Branchentreff der Galvanotechnik begangen hatte. Wie üblich startete die Veranstaltung in dem großen freskengesäumten Saal und der höher gelegenen Galerie mit der Auszeichnung der Gewinner des DGO-Nachwuchsförderpreises sowie des Heinz-Leuze-Preises. Den Anfang machte Laudator Dr.Klaus Wojczykowski mit einer Rede zu Ehren des diesjährigen Nachwuchsförderpreisträgers Philip Scherzl, der für seine Masterarbeit im dualen Studium bei der Schott AG sowie der Hochschule Aalen das Preisgeld von 1000 Euro erhielt. Der Titel seiner Arbeit lautete „Beitrag zur Kompositgalvanoformung aluminiumbasierter Kathoden für Lithium-Ionen-Batterien“. Ein „Brot-und-Butter“-Thema, wie Wojczykowski mit Blick auf die hohe Bedeutung dieser Batterievariante bei der Elektrifizierung betonte. Forschungen zur Kompositgalvanoformung von Kathoden gibt es schon seit Längerem unter Federführung von Prof. Timo Sörgel an der HS Aalen, zu dessen Team Scherzl gehörte. In den Galvanotechnik-Ausgaben 2+3/2024 veröffentlichten die beiden Wissenschaftler und Michael Kaupp auch einen Zweiteiler über die Galvanoformung von Aluminiumfolien. Der DGO-Nachwuchsförderpreis wird an Absolventen mit hervorragenden Arbeiten zur Oberflächentechnik vergeben und soll junge Techniker und Wissenschaftler motivieren, im Bereich der Oberflächentechnik tätig zu werden.

Der DGO-Nachwuchsförderpreis ging an Philip Scherzl, hier mit Laudator Dr. Klaus Wojczykowski (Foto: ZVO/Sven Hobbiesiefken)Der DGO-Nachwuchsförderpreis ging an Philip Scherzl, hier mit Laudator Dr. Klaus Wojczykowski (Foto: ZVO/Sven Hobbiesiefken)

Stolzer Heinz-Leuze-Preisträger: Dr. André Egli mit Leuze-Geschäftsführer Klaus Decker (l.) und Laudator Prof. Andreas Bund (Foto: ZVO/Sven Hobbiesiefken)Stolzer Heinz-Leuze-Preisträger: Dr. André Egli mit Leuze-Geschäftsführer Klaus Decker (l.) und Laudator Prof. Andreas Bund (Foto: ZVO/Sven Hobbiesiefken)

Es folgte die Preisverleihung des mit 2000 Euro zweithöchst dotierten Preises der Branche, der traditionell auf den Oberflächentagen verliehen wird: des Heinz-Leuze-Preises, der an den Autor des besten Artikels des vergangenen Jahres in einem deutschsprachigen Fachmedium geht. Klarheit, Didaktik und bedeutende Themenwahl sind für die Jury bei der Wahl des Gewinners entscheidend. Prof. Andreas Bund von der TU Ilmenau präsentierte in seiner Laudatio mit Dr. André Egli von der riag Oberflächentechnik AG aus Wängi/Schweiz den diesjährigen Gewinner (Interview auf S. 1334). Dr. Egli setzte sich mit seinem Fachaufsatz „Speed matters: Whiskerwachstum galvanischer Zinnschichten“ bei den Mitgliedern der Jury durch. Whiskerbildung, also die Bildung von feinen, nadelförmigen Kristallstrukturen auf Zinnoberflächen, kann besonders bei Elektronikbauteilen Kurzschlüsse auslösen und ist damit ein bedeutendes Problem in der Galvanotechnik. Es sei eine Freude, den Artikel zu lesen, lobte Prof. Bund den Zweiteiler aus den Galvanotechnik-Ausgaben 9+10/2023. Neben der Urkunde und dem Preisgeld ist eine Plakette aus reinem Silber Teil des Preises. Ein Metall, „das auch zur Whiskerbildung neigt“, wie Prof. Bund am Ende seiner Laudatio scherzhaft anmerkte.

Eine Jazz-Combo unterhielt die Gäste vorzüglich (Foto: Robert Piterek)Eine Jazz-Combo unterhielt die Gäste vorzüglich (Foto: Robert Piterek)

Keynote: Resilienz in Zeiten der Transformation

Dr. Michael Hüther vom IW in Köln veranschaulichte bei der Eröffnung der Oberflächentage das Wesen des Wandels unserer Zeit Foto (Foto: Robert Piterek)Dr. Michael Hüther vom IW in Köln veranschaulichte bei der Eröffnung der Oberflächentage das Wesen des Wandels unserer Zeit Foto (Foto: Robert Piterek)Nach den Preisverleihungen und Begrüßungsreden folgte die mit Spannung erwartete Keynote-Rede von Dr. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln (IW), mit dem Titel „Gesellschaftliche und wirtschaftliche Resilienz in Zeiten der Transformation“. Dr. Hüther sprach von einer vielschichtigen Störung der ökonomischen Zusammenhänge, die unsere Zeit bestimme, und von einem „politisch induzierten Strukturwandel“ durch die Klimapolitik. Resilienz sei ein gutes Konzept, da die Unternehmen sich aufgrund der Umstände in einer Stresssituation befänden. Seine volkswirtschaftliche Diagnose: Die aktuelle Transformation müsse von der Industrie geleistet werden, einer Industrie, die in Deutschland mit 20 % an der Bruttowertschöpfung noch deutlich stärker aufgestellt sei als z. B. in Frankreich mit 10 %, die aber derzeit zwei Rechnungen auf dem Tisch habe: Eine für Wettbewerbsfähigkeit, die aktuell besonders von China bedroht sei, und eine für Sicherheit, da der Wunsch nach Robustheit und Standhaftigkeit in entwickelten Volkswirtschaften wie Deutschland besonders groß sei. Er nannte hier Krisen wie 9/11, die Finanzkrise, Staatsschuldenkrise, Trump, Covid-19 und schließlich den Ukraine-Krieg, die zu massiver Unsicherheit geführt hätten. Die Voraussetzungen des Mittelstands beim Thema Resilienz seien dabei noch recht gut, zeigte er anhand einer Grafik, doch der Pfad bei der Transformation müsse stimmen, sonst werde sie immer teurer. Die Crux: „Der Champagner der Energiewende“, Wasserstoff, müsse importiert werden, was wie bei anderen Produkten und Grundstoffen zu Abhängigkeiten führe. Und auch der angestrebte Weg der Politik, die Transformation zur Klimaneutralität mittels Zertifikatehandel zu erreichen, gelinge nicht, da ein Preissprung stattfinden müsse, der nicht komme. Zugleich drohe eine Immobilienkrise: Aktuell verlören Immobilien ohne Dämmung bereits massiv an Wert. CO2-Zertifikate dürften diese Krise noch anheizen, „Habecks Wärmepumpengesetz sei da nur ein laues Lüftchen“, so Dr. Hüther. Fazit: Der Umbau der Energiewirtschaft, u. a. mit Elektrolyseuren, sei eine Chance, aber ungeheuer kapitalintensiv. Herausforderung seien u. a. die Reparatur von 4000 Autobahnbrücken, der Ausbau der Bahn-Hochleistungsstrecken sowie die Landesverteidigung. Um dies zu gewährleisten, brauche es eine starke Industrie, die jedoch massiv durch die hohen Stromkosten im Wettbewerb benachteiligt sei. Er plädierte für einen Transformationsstrompreis von 6 Cent und für gezielte Zuwanderung, um die demografische Abwärtsspirale zu brechen. Interessant: In einer Grafik zeigte er, dass Wettbewerber China durch seine (nunmehr aufgegebene) Ein-Kind-Politik mit massiver Schrumpfung und Alterung zu kämpfen habe.

Der prächtige Kongresssaal am Leipziger Zoo bot das passende Ambiente für die Eröffnung der Oberflächentage (Foto: Robert Piterek)Der prächtige Kongresssaal am Leipziger Zoo bot das passende Ambiente für die Eröffnung der Oberflächentage (Foto: Robert Piterek)

Dr. Hüther konnte mit seinem Vortrag wenig begeistern, es fehlte die Vision. Mit seiner neutralen Darlegung der Rahmenbedingungen traf er offenbar nicht den Nerv der Unternehmer und ihrer Schwierigkeiten in den Betrieben, wie der eine oder andere Kommentar im Nachgang von Hüthers Keynote zeigte. Ein Einspieler von Robert Habeck, in dem dieser einen Strompreis von 2 Cent ankündigte, sorgte allerdings am Ende des offiziellen Teils wieder für Heiterkeit. Die Stimme des Vizekanzlers stammte jedoch von einem Komödianten, der die Teilnehmer beim Buffet und dem anschließenden Umtrunk unterhielt. Eine Jazzcombo mit Kontrabass, Harmonium, Gitarre, Sängerin und Schlagzeuger sorgte ebenfalls für gute Stimmung im Vorfeld der Vortragsveranstaltungen der kommenden beiden Tage.

  • Ausgabe: Oktober
  • Jahr: 2024
  • Autoren: Robert Piterek
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