Dr. André Egli, Heinz-Leuze-Preisträger und R&D Senior Expert bei der riag Oberflächentechnik AG in Wängi/Schweiz; Interveiw: Robert Piterek
Herzlichen Glückwunsch zum Heinz-Leuze-Preis, Dr. Egli! Wie haben Sie die Preisverleihung aufgefasst?
Es war die Überraschung meines Lebens. Es war schon fast schockartig, als ich den Brief geöffnet habe, weil ich etwas ganz anderes erwartet hatte. Zuerst konnte ich es gar nicht glauben.
Ihr prämierter Artikel heißt „Speed matters: Whiskerwachstum galvanischer Zinnschichten“ – ein Problem bei vielen Bauteilen, u. a. bei Leiterplatten. Wie sind Sie auf diesem Gebiet zum Experten geworden?
Als Entwickler von Zinnbädern. Bei der Umstellung auf bleifrei war es für die Lieferfirmen von überlebenswichtiger Bedeutung, den Zinn-Whisker-Mechanismus zu verstehen oder den Kunden zumindest Lösungen und Theorien anzubieten, die plausibel waren. Bei meiner damaligen Firma herrschte deshalb Forschungsfreiheit, um wirklich in die Tiefe zu gehen. Das ist ja nicht ganz naheliegend bei einem kommerziell orientierten Unternehmen,
Können Sie mir etwas über Ihren Arbeitgeber riag und Ihre aktuellen Forschungen erzählen?
Die riag ist Teil von Aalberts Surface Technologies und fokussiert sich stark auf den Chemisch-Nickel-Prozess, um den es auch in meiner aktuellen Forschung geht. Aber für uns sind natürlich Zinn und die Zinnprozesse ein Wachstumsmarkt. Wir glauben, dass es in diesem Bereich weiteres Potenzial für uns gibt und der Markt auch noch nicht gesättigt ist.
Wie ist Ihr beruflicher Weg verlaufen?
Beim naturwissenschaftlichen Studium an der ETH Zürich merkte ich schnell, dass Chemie mir die meiste Freude bereitet. Ich bin Chemiker mit Herzblut. Meine Doktorarbeit habe ich über ein biologisch-anorganisch-chemisches Thema geschrieben. Anorganische Chemie ist als wässrige Chemie ja stark mit galvanischen Themen verwandt. Nach dem Humboldt-Stipendium an der TU München und einigen Arbeitsjahren im medizinischen Bereich wechselte ich schließlich in die galvanotechnische Forschung.
»Alle sicherheitsrelevanten Industrien sind von Whisker betroffen!«
Für welche Teile und Produkte ist Ihr Wissen über Zinnwhisker besonders relevant?
Für Leiterplatten, aber auch für die ganze Halbleiter-Semiconductor-Industrie, weil dort die Dimensionen so klein sind. Auch im Bereich Thermomechanik ist Whisker wichtig. Es ist weiterhin ein Riesenproblem, aber man muss zwischen sicherheitsrelevanter Technik und Unterhaltungselektronik unterscheiden. Letztere ist meistens so günstig, dass es nicht wirklich darauf ankommt, ob da mal ein Whisker wächst oder die Geräte aus anderen Gründen auseinanderfallen. Bei manchen sicherheitsrelevanten Themen ist das aber schon relevant. In den 1990er-Jahren stürzten Satelliten ab, bei denen Whisker ursächlich waren. Deshalb war die NASA lange federführend beim Aufklären des Mechanismus und mit die treibende Kraft in der Whisker-Forschung. In den Nullerjahren gab es dann Rückrufe von Herzschrittmachern sowie Rückrufe von Steuerungseinheiten eines japanischen Autobauers. Aus aktuellem Anlass sind auch die Steuereinheiten von Patriot-Raketensystemen zu nennen, die im Ukrainekrieg eingesetzt werden. Alle sicherheitsrelevanten Industriezweige sind in irgendeiner Art und Weise von Whisker betroffen.
Die Whiskerforschung ist ja nicht ganz neu. Wie kamen Sie darauf, genau jetzt darüber zu schreiben?
Die relevanten Arbeiten wurden vor mittlerweile 15 Jahren geschrieben. Aber ich habe dann immer wieder gelesen, man wisse nicht, wie Whisker wachsen, was mir jedes Mal den Blutdruck nach oben getrieben hat. Schließlich dachte ich: Jetzt muss ich aber endlich etwas Verständliches dazu verfassen. Und so ist es dann gekommen.
INFO
Dr. André Egli ist diesjähriger Heinz-Leuze-Preisträger. Er erhielt den zweithöchst dotierten Preis der Branche auf den Oberflächentagen in Leipzig für seinen Fachaufsatz „Speed matters: Whiskerwachstum galvanischer Zinnschichten“ in der Zeitschrift Galvanotechnik.