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Freitag, 05 April 2024 11:59

Kolumne: Anders gesehen – Vom Schummeln

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Geschätzte Lesezeit: 3 - 6 Minuten
Ein Ass im Ärmel kann einem im Casino das sichere Hausverbot bringen – es gehört sich nicht, sich auf so unlautere Weise einen Vorteil zu verschaffen. Geschummelt wird aber auch in der elektronischen Fertigung. Ein Ass im Ärmel kann einem im Casino das sichere Hausverbot bringen – es gehört sich nicht, sich auf so unlautere Weise einen Vorteil zu verschaffen. Geschummelt wird aber auch in der elektronischen Fertigung. Bild: AdobeStock

Wenn Kinder nicht nur vor dem Rechner sitzen und Tasten und Knöpfe drücken, dann lernen sie vielleicht beim ‚Mensch-ärgere-Dich-nicht’ Spiel, dass raffiniertes Schummeln zum Spaß gehört – vor allem, wenn die Eltern nicht kleinkariert reagieren. In allen Spielkasinos und jüngst auch bei Doktorarbeiten passt man auf, dass nicht geschummelt wird. Leider bleibt das zumindest bei Politikern – wenn entdeckt – ohne Folgen, obgleich dadurch alle ehrlichen Doktoranden in Misskredit geraten. Schummeln ist aber auch in der elektronischen Fertigung ein mehrschichtiges Problem.

In der Elektronik spricht man von ‚counterfeit components’ oder auch gelegentlich von ‚gefälschten Bauteilen’. Was man darunter versteht, hängt jeweils von der Definition ab, die weiter oder auch enger gefasst sein mag. Am häufigsten liest man, dass solche ‚Fälschungen’ illegale und/oder unautorisierte Kopien originaler Bauteile seien, woraus sich direkt kein Risiko ableiten ließe, wie man aus der Medikamentenbranche kennt, in der nach Ablauf der Patente (oder auch schon vorher) solche Kopien billiger und gleicher Qualität vermarktet werden. Andererseits definiert etwa ‚Wiki’ die gefälschten elektronischen Bauteile als Teile, „deren Herkunft oder Qualität bewusst falsch dargestellt wird“. Jetzt kommt dann noch der Pferdefuß: „Fälschungen elektronischer Bauteile können die Markenrechte des legitimen Herstellers verletzen“, was genau auf deren Profite abzielt.

Bemerkenswert ist, dass auch gebrauchte Bauteile so bezeichnet werden, unter der Voraussetzung, dass sie wissentlich und fälschlicherweise als neu dargestellt werden. Das läuft direkt in die Anforderungen, die verlangen, dass Elektronik wiederverwendet werden sollte – natürlich unter der Voraussetzung ‚nicht zu schummeln’.

Als Beispiel mag hier das amerikanische ‚Pentagon’ dienen, denn für ihre ansehnlichen Waffenparks kaufen sie natürlich auch elektronische Ersatzteile ein. Da das Militär eine Lebenserwartung ihrer Mordinstrumente fordert, die dreißig Jahre beträgt – und hoffentlich auf einen nie stattfindenden Einsatz warten, wobei sie dennoch die Waffenfirmen reich machen – sind viele der Bauteile nicht mehr neu zu erhalten. Somit wird geschätzt, dass 15 % aller gekauften Ersatzelektronikteile gefälscht oder zumindest nicht neu sind.

Gefälschte BauteileGefälschte Bauteile

Ein authentischer Flash-Speicher-IC und seine gefälschte NachbildungEin authentischer Flash-Speicher-IC und seine gefälschte Nachbildung

‚McCloskey v. United States of America’ war das erste Urteil (2010), bei dem es um den Handel mit gefälschten integrierten Schaltkreisen ging. Wegen Beihilfe beim Verkauf hunderttausender gefälschter integrierter Schaltkreise wurde sie zu mehr als drei Jahren Gefängnis verurteilt. Rechnet man den Profit, den sie und ihre Kollegen aus diesem Handel schöpften auf die Gefängnisstrafe um, so machte sie pro Jahr gute 5 Mio.€. Wie bei Hemden oder Handtaschen werden auch ‚illegale’ Bauteile im Original hergestellt. Erwischt der Zoll Hemdplagiate, verbrennt man sie schlauerweise, um die leidenden Firmen zu schützen, statt die Hemden an Arme zu verschenken.

Bei Bauteilen wird gut Geld gemacht. Einige Gurus behaupten, dass der weltweite Handelsmarkt für gefälschte elektronische Komponenten einen Wert von über 900 Mio.€ hat. Bei der bisher beobachteten Entwicklung schaukelt sich das bald auf 4 Mrd. € pro Jahr auf.

Werden die ‚gefälschten’ Bauteile nicht professionell hergestellt, so stammen sie meist aus Schrotthalden, die in armen Ländern aufgearbeitet werden. Nachdem sie von den Leiterplatten mehr oder minder fachmännisch entfernt wurden, unterzieht man sie einer kosmetischen Behandlung. Ob sie auf Funktionsfähigkeit geprüft werden hängt vom Schrottplatz und seinem Management ab.

Untersuchung an einer elektronischen Baugruppe mittels hochauflösender ComputerlaminographieUntersuchung an einer elektronischen Baugruppe mittels hochauflösender ComputerlaminographieWeit verbreitete Methoden, um die kostbare Ware photogen aufzumöbeln, sind etwa das Schleifen oder eine Sandstrahlbehandlung, eventuell in größeren Trommeln, wo viele Bauteile gleichzeitig geschönt werden. Anschließend werden sie entweder bestrichen oder wenn sie nach dieser Behandlung hübsch genug sind, eben neu markiert. Dass solche Ware in Produktionen kommt, hat nicht nur mit einem Mangel an gewissen Bauteilen zu tun, sondern auch mit der Profitgier einiger Unternehmen, denn ‚gefälschte’ oder wiedergewonnene Teile sind meist wesentlich billiger als neue.

Natürlich ist auch der Zwischenhandel nicht ganz unschuldig, denn hier wird auch geschummelt. Da meist eine ganze Leiter an Zwischenhändlern durchlaufen wird, ist es recht leicht Ware zu mischen, um den Preis zu drücken oder aber etwas profitorientierter zu handeln. Die Lieferketten sind wegen unzureichender Rechenschaftspflichten ausnehmend schwer zu kontrollieren und zu überprüfen.

Mangelnde Managementüberwachung des Einkaufs und falsche Belohnungspolitik tragen das Ihre bei, denn für ‚Schnäppchen’ werden die Einkäufer belohnt. Dabei missachtet man die Auswirkungen solcher Ware auf die Produktion und die Endqualität. ‚Lasst den Kunden leiden’ scheint die Parole dann zu sein.

Bauteile werden nur für einen gewissen Zeitraum gefertigt und dann durch neuere ersetzt. Die so entstehende Teileknappheit aufgrund sogenannter ‚End-of-Life’-Maßnahmen erfordert logischerweise für gewisse Produkte eben den Zugriff auf solche Mangelware, und sei sie auch gebraucht.

Vor allem kleinere Firmen sind diesbezüglich oft überfordert, denn sie haben meist äußerst mangelhafte und unzureichende Inspektions- und Testressourcen. Sie nehmen eben im guten Glauben an die ethischen Lieferanten alles, was am Empfang landet. Rührt sich doch noch das Misstrauen, dann wird notfalls das verdächtige Bauteil in ein Labor überstellt und somit die Qualitätskontrolle und anstehenden Prüfungen exportiert.

Es wundert also wenig, dass Fälschungsvorfälle zwar bekannt sind, aber selten systematisch gesammelt und veröffentlicht werden. Zwar kennt man das in einigen Firmen, aber diese Information wird beinahe als eines der Betriebsgeheimnisse gehandelt. Die rechtliche Grundlage bei notwendiger Kommunikation ist eh fragwürdig. Häufig vorkommende Problembauteile sind etwa Widerstände und Kondensatoren, doch auch Mikrocontroller, Halbleiter sowie Transistoren findet man auf dem Markt.

Obgleich man auch mit Originalteilen Sorgen und Qualitätsmängel hat, scheinen sie sich bei Kopien und wieder aufgefrischten öfters zu zeigen. Ob nun gefälschte Halbleiter, die für den Einsatz in Atom-U-Booten bestimmt waren oder ob jemand gefälschte Mikrocontroller lieferte, die für den Einsatz in den Bremssystemen der europäischen Hochgeschwindigkeitszüge verwendet werden sollten, die Kosten beim Versagen – auch an Menschen – könnten erheblich sein.

Aus völlig anderen Interessen beschlagnahmte Samsungs Tochtergesellschaft ‚Harman', eine Audioproduktmarke, gefälschte ‚JBL'- und ‚Infinity'-Autolautsprecher und -Subwoofer in Geschäften in Delhi, was nicht besagen will, dass Amerikaner und Europäer da völlig unschuldig dastehen.

Die potentielle Gefahr von solchen gefälschten Bauteilen sollte nicht unterschätzt werden, und man muss sich gegebenenfalls vor ihnen schützen. Die einfachste und vielleicht nicht einmal die teuerste Methode, ist es, sich nur mit reputablen Lieferanten einzulassen oder direkt vom Hersteller zu kaufen. Das ist nicht immer möglich, denn der Produzent gibt am liebsten riesige Mengen ab, die weit über den Bedarf kleinerer Firmen hinausgehen.

Als Alternative sind Untersuchungen zu nennen, die von einer visuellen Kontrolle – viele aufgefrischte Bauteile lassen sich von einem erfahrenen Prüfer leicht identifizieren, vielleicht nachdem er sich in einer Fotodatenbank für fehlerhafte Teile schlau gemacht hat?[2] – über elektrische Tests bis hin zu Röntgenuntersuchungen reichen. Wenn es so schwer ist das falsch etikettierte Teil zu erkennen, dann erinnert man sich bestimmt an die Kinderspiele und den Reiz des Schummelns, besonders wenn man nicht dabei erwischt wird.

Links: Verdächtige Kennzeichnung / Logo Rechts: Logo und Kennzeichnung eines bekannten HerstellersLinks: Verdächtige Kennzeichnung / Logo Rechts: Logo und Kennzeichnung eines bekannten Herstellers

Prof. Armin Rahn

Zur Person

Prof. Rahn ist ein weltweit tätiger Berater in Fragen der Verbindungstechnologie.
Sein Buch über ‚Spezielle Reflowprozesse‘ erschien beim Leuze Verlag.
Er ist erreichbar unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.

Referenzen

[1] schummeln, Lexikoneintrag, www.dwds.de/wb/schummeln (Abruf: 20.02.2024).
[2] ERAI, www.erai.com/nonconformance_photo_library_ (Abruf: 20.02.2024).

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