Im Gegenteil! Konfabulation statt Halluzination

Forest (Bild: Pixabay.com/ELG21)
  • Titelbild: Forest (Bild: Pixabay.com/ELG21)

Von dem großen Physiker Arnold Sommerfeld stammt der Satz: „In der Natur nimmt die Entropie die Rolle der Direktorin ein, die Energie aber nur die einer Buchhalterin.“ In diesen Tagen wird die Rolle der Entropie immer aufregender, etwa dadurch, dass die Biologen die berühmte Schrift des Physikers Erwin Schrödinger noch einmal gelesen haben, der die Frage „Was ist Leben?“ 1944 mit der Idee eines Codes beantwortet hat, aus dem die Doppelhelix aus DNA und mit ihr die Molekularbiologie hervorgegangen ist.

»Zellen exportieren zum Leben Entropie«

Dabei hatte Schrödinger in eine ganz andere Sache geschaut und gefragt, wie sich das Leben gegen die thermodynamischen Gesetze behauptet, die das Gegenteil von dem vorschreiben, was das Leben will, nämlich seine Ordnung zu bewahren und zu vermehren. Schrödinger meinte, dass sich das Leben dazu mit negativer Entropie umgehen muss. Das klang damals schon dunkel und bleibt heute noch dubios, aber inzwischen kann man zeigen, dass Zellen zum Leben Entropie exportieren – so kommt das Minuszeichen zustande –, und sie tun dies, weil ihr Stoffwechsel erfolgreich dafür sorgt, dass Zellen sich fern vom thermodynamischen Gleichgewicht halten, was bekanntlich den Tod zu Folge hätte. Der Blick auf die komplexen Lebensabläufe zeigt jedoch, dass sich eukaryontische Zellen (komplexe Zellen von Tieren, Pfanzen, Einzellern und Pilzen) dem Ansatz entziehen, den Ingenieure wählen würden, müssten sie Leben (wie eine Maschine) bauen. Die Morphologie eines komplexen Organismus und sein genetisches Geschehen lassen neben vielen zu regulierenden Einzelschritten ein Wechselspiel zwischen genetischen Signalen von der DNA bis zu den Organen und umgekehrt verlaufende ganzheitliche Wirkungen in das molekulare Milieu hinein erkennen. Beim Bau einer zellulären Struktur ändert sich dank dieser Vernetzung die Natur der Bausteine. So gelingt es Organismen im Laufe ihres Lebens, ihre Umgebung so zu beeinflussen, dass sie die Forderungen der Thermodynamik mit der Entropie erfüllen können. Derzeit kommen Informatiker und Computerfachleute zu der Überzeugung, dass man diese „Halluzinationen“ durch das Messen von „semantischer Entropie“ erforschen kann. Ein trickreiches Verfahren, das die Autoren der entsprechenden Studie zu dem Vorschlag veranlasst, sich weniger um Halluzinationen und mehr um Konfabulationen zu kümmern. Fabulierende Menschen sind auch sympathischer als halluzinierende. Sie haben mehr Freude an der Entropie und ausreichend Energie, und so bereichern sie die Kultur mit ihren ­Fiktionen.

 



  • Ausgabe: März
  • Jahr: 2025
  • Autoren: Ernst Peter Fischer
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