Dicke Menschen und Arbeitssicherheit – Teil 1 – Begriffsbestimmungen

Mitarbeiter im Büro unterliegen weniger körperlichen Stressfaktoren … (Beide Bilder: KI von stock.adobe.com)
  • Titelbild: Mitarbeiter im Büro unterliegen weniger körperlichen Stressfaktoren … (Beide Bilder: KI von stock.adobe.com)

Dicke Menschen in einem körperlich schwierigen Arbeitsumfeld können eine Gefahr für sich selbst und andere darstellen. Sie sind deshalb rechtlich besonders geschützt.

Früher, da war die Sache klar: Die Größe über 100 Zentimetern in Kilogramm stellte das Normalgewicht dar. Eine 1,70 m große Frau durfte also 70 kg wiegen, ein 1,82 m großer Mann 82 kg. Außerdem gestanden Mediziner noch eine Differenz von plus-minus zehn Prozent von diesem Wert zu. Wer leichter war, war untergewichtig, wer schwerer war, war übergewichtig.

Heute ist die Situation durchaus komplizierter. Zunächst unterscheidet der Gesetzgeber zwischen Übergewicht und Adipositas. Um den Unterschied zwischen beiden Zuständen festzulegen, muss zunächst eine weitere Größe ermittelt werden, die sich Body Mass Index, kurz BMI, nennt.

Der BMI errechnet sich nach folgender Gleichung:

BMI = Körpergewicht : (Körpergröße)2

Im Fall der vorgenannten Frau gilt also:

BMI = 70 kg : (1,70 x 1,70)

BMI = 24,2

 

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat nun folgende Abstufungen festgelegt:

Übergewicht: BMI 25 bis zu einem BMI 29,9

Adipositas I: BMI 30 bis BMI 34,9

Adipositas II: BMI 35 bis 39,9

Adipositas III: ab einem BMI von 40

Während in Fitnesskreisen der BMI das Maß aller Dinge ist, kritisieren vor allem Arbeitsmediziner den Wert. Hauptargument dagegen ist, dass er nicht zwischen Muskelmasse und Körperfettanteil unterscheidet. Denn die hier wiedergegebene Gleichung erfasst nur die gesamte Körpermasse. Ebenso unberücksichtigt bleibt das Alter des Menschen, vor allem aber sein Geschlecht. So unterstellt der BMI sowohl Frauen als auch Männern dieselben Wirkungen eines zu hohen und auch zu niedrigen BMI.

Adipositas ist eine Behinderung

Wer mit einer angeborenen Behinderung auf die Welt kommt, kann natürlich nichts dafür. Während geistige oder körperliche Einschränkungen von Geburt an unverschuldet sind, ist eine Adipositas in der Regel selbst verschuldet – durch übermäßige Zuführung von Kalorien. Mehr als 90 Prozent aller Fettleibigen essen zu viel und das Falsche, meistens verbunden mit zu wenig Bewegung. Es gibt jedoch auch weitere Gründe, beispielsweise eine durch Arzneimitteleinnahme hervorgerufene Adipositas.

Egal ob selbst- oder fremdverschuldet: Der Europäische Gerichtshof hat in einem Urteil (C-354/13 FOA, aus 2014) entschieden, dass schon Fettleibigkeit an sich eine Behinderung darstellt, egal woher sie kommt. Diese Rechtsprechung steht im Widerspruch zum deutschen Rechtsempfinden. Hierzulande galt eine adipöse Person erst als behindert, wenn eine resultierende Krankheit auftrat.

Und das ist gar nicht mehr so selten. Zunächst sind allein in Deutschland 67 Prozent der Männer übergewichtig. Frauen sind nur zu 53 Prozent betroffen. Jedoch rund ein Viertel beider Geschlechter (23 Prozent Frauen und 24 Prozent Männer) sind adipös. Und das könnte ein Grund für vielerlei Zipperlein und auch Krankheiten sein. Experten gehen von enormen Belastungen des Gesundheitssystems durch Übergewicht und seine Folgeerscheinungen aus.

Dabei haben sie mehr als 60 Folgekrankheiten identifiziert, unter anderem, um die schwerwiegendsten zu nennen:

  • Diabetes
  • Gicht
  • Fettleber
  • Magenerkrankungen
  • Herzinfarkt
  • Schlaganfall
  • Bluthochdruck
  • Asthma
  • Fortpflanzungsprobleme
  • Hormonstörungen
  • Schlafapnoe

Noch nicht sicher ist, ob Fettleibigkeit auch Krebserkrankungen fördert, hier stehen vor allem Krebserkrankungen des Verdauungstrakts wie Darmkrebs oder Nierenkrebs im Fokus der Aufmerksamkeit. Sicher ist aber, dass das Risiko, an Diabetes des Typs 2 zu erkranken, um das 22-Fache erhöht ist und man immerhin ein vierfach erhöhtes Risiko eines Herzstillstandes trägt.

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Trotzdem gilt das EuGH-Urteil und das hat noch eine andere Auswirkung: Obwohl selbst verschuldet, können stark Übergewichtige nicht mit arbeitsrechtlichen Maßnahmen belangt oder diszipliniert werden.

Für einen Arbeitgeber praktische Auswirkungen hat Fettleibigkeit dann, wenn es um die Arbeitsleistung und die Sicherheit eines Arbeitnehmers geht. Die Arbeitsleistung setzt sich dabei zusammen aus der Leistungsfähigkeit (unter anderem körperliche Eigenschaften) und dem Leistungswillen (psychische Eigenschaften) eines Beschäftigten. Dass die Leistungsfähigkeit in direktem Zusam-menhang mit der körperlichen Konstitution eines Mitarbeiters steht, ist unbestritten. Im Fall einer fettleibigen Person können durchaus leistungshemmende Faktoren vorliegen: schnelle Ermüdung, übermäßiges Schwitzen, Konditionsmängel – und damit einhergehende Konzentrationsschwierigkeiten. In diesem Fall ist der Arbeitgeber verpflichtet, seinem Arbeitnehmer besondere Schutzmaßnahmen angedeihen zu lassen. Das kann zum Beispiel sein, dass er ihn von besonders schweren Arbeiten entbindet oder dass er ihm zu deren Ausübung geeignete Assistenzsysteme zur Verfügung stellt. Als Beispiel für eine Galvanik könnte dabei dienen, dass in händisch versorgten Badstraßen die Werkstücke nicht geschleppt, sondern von einem elektrisch unterstützten Hubwagen zugeführt werden.

In den Checklisten verschiedenster Berufsgenossenschaften zur Ermittlung von Unfallursachen taucht jedenfalls unter dem Menüpunkt „persönliche Faktoren“ seit einigen Jahren schon der Punkt „körperliche Gegebenheiten“ der Beteiligten auf. Die Unfallanalyse nimmt sich des Punktes der körperlichen Eigenschaften also direkt an. Ziel der Analyse ist es dabei stets, Folgeunfälle ähnlicher Art im ähnlichen Umfeld zu vermeiden.

Übrigens: Fettleibigkeit steht nicht nur bei Arbeitsunfällen im Fokus. Die Bewertung von Fehlzeiten, Berufskrankheiten, Beinaheunfällen oder auch wiederkehrender Gesundheitsbeeinträchtigungen berücksichtigt den Faktor der körperlichen Konstitution.
– wird fortgesetzt –

 

  • Ausgabe: Dezember
  • Jahr: 2024
  • Autoren: Heinz Käsinger
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