Vom Surfboard zum Elektrolyseur: Wie Schaeffler Oberflächen neu denkt Im vergangenen Jahr erhielt ein Team des Automobil- und Industriezulieferers Schaeffler den Leipziger Galvanopreis für eine besonders leistungsfähige galvanische Beschichtung von Bipolarplatten, die in Elektrolyseuren und Brennstoffzellen zum Einsatz kommen. Wie ist der Stand der Entwicklung heute und welche Rolle spielen die Galvanotechnik und weitere Beschichtungstechnologien für den Konzern? Die Zeitschrift Galvanotechnik ging diesen und weiteren Fragen auf den Grund.
Der Wettlauf für eine klimaneutrale Infrastruktur ist in vollem Gange und dürfte auch unter der neuen Bundesregierung in eine neue Runde gehen, wenn Deutschland an dem Ziel festhalten will, bis zur Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu werden. Ein wichtiger Player ist dabei der Automobil- und Industriezulieferer Schaeffler AG.
Der Konzern aus Herzogenaurach bei Nürnberg hat im Herbst 2024 mit dem E-Antriebshersteller Vitesco fusioniert und hat inzwischen weltweit rund 120.000 Mitarbeiter. In einem seiner acht Tätigkeitsfelder – „Energize Motion“ genannt – entwickelt Schaeffler auch Brennstoffzellen und Elektrolyseure, die neben der Elektromobilität die entscheidenden Technologien sind, um fossile Brennstoffe etwa beim Schwerlastverkehr und bei Industrieprozessen durch die Produktion und den Einsatz von Wasserstoff zu ersetzen. Weitere Schaeffler-Produktfamilien heißen unter anderem „Guide Motion“ für effiziente Lager, „Control Motion“ für intelligente elektronische Steuergeräte und Sensoren oder „Power Motion“ für die elektrische Energieumwandlung und -steuerung, ein bedeutender Baustein der E-Mobilität.
Ins Schlaglicht der galvanotechnischen Fachberichterstattung trat Schaeffler mit einer bedeutenden Innovation für die Entwicklung effizienter Elektrolyseure. Es ging dabei um die galvanische Beschichtung Enertect CT+ für Bipolarplatten von Elektrolyseuren und Brennstoffzellen, mit der ein Schaeffler-Team beim Leipziger Fachseminar im März 2024 den Leipziger Galvanopreis gewann (lesen Sie hierzu das Interview in Galvanotechnik 4/2024, S. 476 ff. ). Die Beschichtung soll frei von Edelmetallen sein und sich darüber hinaus durch gute Leistungsfähigkeit, gute Skalierbarkeit und Wirtschaftlichkeit auszeichnen.
Im Technologiezentrum mit „Motion Hub“ forschen 340 Forscherinnen und Forscher in 15 Laboren. Rund 50 Oberflächentechniker sind darunter - Foto: Schaeffler (Daniel Karmann)
Schaeffler lädt nach Herzogenaurach
Anfang März 2025 lud Schaeffler zur Pressekonferenz in den sogenannte Motion Hub im neuen Technologiezentrum in Herzogenaurach, das u. a. 15 Labore mit 340 Mitarbeitern beherbergt, darunter rund 50 in der Oberflächentechnik. In einer Art Atrium mit ansteigenden Sitzstufen empfing die Unternehmensspitze mit CEO Klaus Rosenfeld Pressevertreter. Hinter ihm auf grünem Grund der Claim „The Motion Technology Company“. Rosenfeld und weitere Vorstände sprachen über die vielfältigen geschäftlichen Aktivitäten des Unternehmens, es ging auch um ein relativ neues Geschäftsfeld bei Schaeffler: humanoide Roboter, von denen in dieser Ausgabe in der Kolumne „Zukunftsmusik“ die Rede ist. Angesichts der angespannten weltweiten Lage äußerte die Unternehmensspitze eine vorsichtig optimistische Prognose.
Im Motion Hub sind in einem großen Ausstellungsraum die acht Schaeffler-Produktfamilien abgebildet. Dezent beleuchtet erhalten Gäste dort einen Überblick über das Sortiment, mit dem das Unternehmen sein Geld verdient, z. B. Aktuatoren, Wälzlager, Steuergeräte, aber auch sogenannte „Stacks“, also Brennstoffzellen und Elekytrolyseure bestehend aus mehreren elektrochemischen Zellen. „Bei diesen Energieerzeugungstechnologien hat Schaeffler eine sehr hohe Wertschöpfungstiefe“, betonte F&E-Vorstand Uwe Wagner bei der Präsentation. Die Leistungen reichen von 50 kW bis zu mehreren Megawatt, wenn die Stacks in soganannten Arrays angeordnet sind.
Umfangreiche Untersuchungskapazitäten
Den Pressevertretern wurde auch ein Blick in die Labors gewährt: In einer der brandneuen, komplett digitalisierten Forschungsstätten finden Stabilitätstests von Bipolarplatten und Elektroden statt, den zentralen Komponenten von Brennstoffzellen- und Elektrolyseur-Stacks. Ebenfalls im Fokus der Untersuchungen steht die Langlebigkeit dieser Bauteile, denn künftige Elektrolyseure sollen nicht nur effizient Wasserstoff erzeugen, ihr Betrieb soll auch für knapp zehn Jahre bzw. 80.000 Stunden gewährleistet sein. Schaeffler konzentriert sich auf die Entwicklung von Proton Exchange Membrane (PEM)-Elektrolyseuren, bei denen die Wasserspaltung in einer extrem sauren Umgebung mit einem pH-Wert von 3 stattfindet. Hier kommt Beschichtungen eine besondere Bedeutung zu. Im Labor wird etwa beobachtet, ob sich der Oberflächenwiderstand der beschichteten Bauteile im sauren Medium verändert. Darüber hinaus werden Korrosionstests durchgeführt und die Ionen in den Elektrolyten gemessen. Auch die Temperatur in Brennstoffzellen (80 °C) und in Elektrolyseuren (70 °C) ist zu berücksichtigen. Neben der Qualitätskontrolle beschichteter Bauteile ist es Ziel der Laborarbeiten, Langlebigkeit, Leistung, Kosten und Nachhaltigkeit von Schichten zu verbessern.
Das Herzstück des Elektrolyseurs
Uwe Wagner, Vorstand Forschung & Entwicklung, stellte die Produktpalette vor, darunter auch Brennstoffzellen- und Elektrolyseur-Stacks (Foto: Robert Piterek)
Im Nano-Labor präsentierte Dr. Jonas Hofmann das Herzstück eines Elektrolyseurs: die Membran, die in einer Art Stapelverfahren im Wechsel mit Bipolarplatten einen Stack bildet. Im Stack befinden sich darüber hinaus noch galvanisierte Vliese oder Drahtgeflechte, die das Wasser, das zur Spaltung in die Zelle gelangt, gleichmäßig verteilen und dafür sorgen, dass der Wasserstoff auf der anderen Seite der Membran wieder gleichmäßig abtransportiert wird. Die Spaltung des Wassers in Wasserstoff und Sauerstoff erfolgt auf der Membran, die Dr. Hofmann im Rolle-zu-Rolle-Verfahren mit einer speziellen Tinte beschichtet – dem Katalysator für die Reaktion. Hier soll es sich auf der einen Seite um Iridiumoxid und auf der anderen um Platin handeln. Iridiumoxid beaufschlagt mit Strom spaltet Wasser – stammt der Strom aus erneuerbaren Quellen, etwa Windkraft, ist er grün und damit auch der erzeugte Wasserstoff. „Diese Katalysatorschichten sind extrem wichtig für den effizienten Betrieb von Elektrolyseuren“, so Dr. Hofmann. Zu seinen Aufgaben gehört es unter anderem, Katalysatorpulver in die Katalysatortinten einzubringen, um die Leitfähigkeit sicherzustellen sowie ihre gleichmäßige Verteilung im Tintenschichtauftrag zu testen, bevor die Membranen in die Stacks eingesetzt werden. Der Entwicklungsingenieur für Beschichtungen ist überzeugt: „Ohne Chemie gibt es bei Schaeffler keine Produkte.“ Ohnehin sind die Schaeffler-Oberflächentechniker sehr selbstbewusst – und das aus gutem Grund. Schließlich gelang dem Big-Wave-Surfer Sebastian Steudtner kürzlich auf einem Board mit Schaeffler-Beschichtung der Weltrekord im portugiesischen Nazaré. Die auch bei Wälzlagern eingesetzte Beschichtung mindert die Reibung und steigert damit die Geschwindigkeit. Mit Hilfe dieses Boards bezwang der Extremsportler eine 28,57 Meter hohe Welle von der Größe eines 10-stöckigen Hauses.
Technologie bereits sehr weit fortgeschritten
Genauesten Einblick in die Aktivitäten in der Oberflächentechnik hat Dr.-Ing. Nazlim Bagcivan, Vice President Surface Technology bei Schaeffler. Er bestätigt, dass die Tests und Untersuchungen der Stacks für die Elektrolyseure bald anlaufen. „Wir sind, was die Reife der Technologie betrifft, schon sehr weit fortgeschritten“, sagt er. Ihre Langzeituntersuchung sei aber noch nicht abgeschlossen. Während Leitfähigkeit und Korrosionsschutz gewährleistet seien, solle die Beschichtung der Bipolarplatten auch als Barriere wirken, „sodass keine Elemente aus dem Grundwerkstoff oder der Schicht in die Membran hineindiffundieren und dort Probleme verursachen können“. Wichtiger Kunde im Brennstoffzellenbereich, wo Bipolarplatten ebenfalls zum Einsatz kommen, sei das Joint Venture Innoplate von Schaeffler und Symbio. Wie der Presse zu entnehmen ist, hat das Joint Venture im vergangenen Jahr mit der Fertigung von Bipolarplatten im französischen Hagenau begonnen. Hier wird die Schicht allerdings per Physical Vapor Deposition (PVD) aufgebracht. Anfängliche Jahreskapazität: 4 Millionen Stück, bis 2030 soll die Produktionsmenge dann auf ca. 50 Millionen ansteigen. Bei Kunden in der Elektrolyseurfertigung verweist Dr. Bagcivan auf die Business Unit Elektrolyseure.
Reibungsarme Wälzlager. Deren Beschichtung kann auch Surfboards schneller machen
Beschichtungsbaukasten für maßgeschneiderte Oberflächen
Ein Elektrolyseur-Stack (Foto: Robert Piterek)„Technologien für Oberflächen haben bei Schaeffler einen sehr hohen Stellenwert“, weiß Dr. Bagcivan. Seine Abteilung sei in jeder Produktfamilie mit Beschichtungen dabei, die in der einen oder anderen Form funktionalisiert seien. Während früher Beschichtungen im Bereich der Verbrennungsmaschinen eine große Rolle spielten, seien heute Anwendungen im Bereich Wasserstoff, aber auch beim elektrischen Antriebsstrang, sowohl für Automotive als auch die Industrie, ganz wesentlich. Die Elektrifizierung schätzt er für die Galvanotechnik übrigens sehr positiv ein. „Neben den typischen elektrischen Kontaktierungen tun sich ganz neue Produkte auf, elektromagnetische Abschirmungen zum Beispiel. Aber es gibt auch noch ganz viel offenes Feld mit anderen, besseren und kostengünstigeren Lösungen“, ist der Manager überzeugt.
Stehen neue Produktentwicklungen an, entscheiden die Herzogenauracher gemeinsam mit ihren Kunden anhand einer Coating-Toolbox – also einem Beschichtungsbaukasten –, ob eine „validierte Lösung“ genutzt oder eine neue Lösung entwickelt wird, die dann den Beschichtungswerkstoff, die Prozesstechnik und die Anlagentechnik umfasst. Der Beschichtungsbaukasten bei Schaeffler enthält chemisch und elektrochemisch hergestellte Beschichtungen, Dünnschichten, atmosphärische Verfahren, aber auch Lackverfahren und Thermisches Spritzen, wie der Maschinenbauer stolz aufzählt. Dr. Bagcivan hat in Aachen studiert, sich zunächst auf Luft- und Raumfahrttechnik konzentriert und dann am Institut für Oberflächentechnik (IOT) bei Professor Erich Lugscheider und später Professor Kirsten Bobzin promoviert, wo er seine Dissertation über das Thema Hochtemperaturkorrosion schrieb. Bevor er in die Industrie ging, war er lange Jahre Oberingenieur im IOT.
Die 90 Millionen-Euro-Investition
Dr. Nazlim Bagcivan im Technologiezentrum. Der Vice President Surface Technology bei Schaeffler informierte über die Schaeffler-Oberflächentechnik und die Entwicklungsfortschritte bei der Bipolarplattenbeschichtung
Das neue Technologiezentrum ist ein großer Vorteil von Schaeffler. Denn nun sind andere bedeutende Bereiche wie die Chemische Analytik sowie die Materialanalytik auf kurzem Wege zu erreichen. Beste Bedingungen also, um eine Beschichtungslösung von der Idee bis in die Serie zu bringen, sie also ausgehend vom Becherglas hochzuskalieren. Die erforderliche Ausstattung ist vorhanden, 90 Millionen Euro wurden in das neue Forschungs- und Entwicklungszentrum investiert. Hier sind die Kernkompetenzen in den Bereichen Materialwissenschaft und Werkstofftechnik versammelt, was Spitzentechnologie in den Zukunftsfeldern E-Mobilität, Batterietechnologie und Wasserstoff möglich macht. Im Verbund mit den Kollegen in den USA wird sogar an der Feststoffbatterie gearbeitet, mit der die aktuellen Probleme im den Bereichen Reichweite, Sicherheit und Schnellladefähigkeit angegangen werden. Austausch und Partnerschaften pflegt das Unternehmen besonders mit der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), aber auch mit der RWTH Aachen, der Fraunhofer Gesellschaft oder der Helmholtz-Gemeinschaft.
Preisverdächtiges Team
Big-Wave-Weltrekordhalter Sebastian Steudtner. Sein Board erreicht dank der reibungsarmen Schaeffler-Beschichtung bis zu 100 km/h (Foto: Porsche)Ein kurzer Spaziergang über das ausgedehnte Firmengelände führt an einem Konferenzgebäude mit Schaeffler-Flaggenmasten vorbei. Ziel ist die Technikumsgalvanik, in der die Forscher aus dem Technologiezentrum ein und aus gehen und mitunter auch Kundenbemusterungen stattfinden, wie Dr. Bagcivan erklärt. Die Fertigungsgalvanik ist ein Stück weiter entfernt, hierfür fehlt aber die Besichtigungsgenehmigung. In der Technikumsgalvanik empfängt Mohammed Kamhia, der in einem kurzen Durchlauf die verschiedenen Reinigungs-, Spül- und Entfettungstationen und später die eigentlichen galvanischen Bäder demonstriert. An einer Wand zeigt ein großes Schaubild die verschiedenen Beschichtungsprodukte des Unternehmens. Corrotect z. B. ist eine Familie von Korrosionsschutzanwendungen mit Zink- und Zink-Nickel- Überzügen, Durotect dagegen verbessert das tribologische Verhalten von Wälzlagern, senkt also den Verschleiß und die Reibung. Mit aufgeführt ist auch Enertect mit seiner Leitfähigkeit und Korrosionsbeständigkeit für Anwendungen im Energiebereich. Neben dem Schaubild findet sich auch die Urkunde des Leipziger Galvanopreises, die den Wissenschaftlern Dr. Mehmet Öte und Dr. Sebastian Etschel im vergangenen Jahr in Leipzig überreicht wurde. Mohammed Kamhia und Dr. Bagcivan sind stolz auf die Preise, die sie in den letzten paar Jahren besonders im Energiebereich gewonnen haben. Beim Gehen geben sie dem Gast noch den Tipp mit auf den Weg, die Verleihung des Hermes Awards auf der Hannover Messe zu verfolgen. Da sei Schaeffler mit seinem neu entwickelten sogenannten XZU-Rollenlager nominiert – bei dem es auch um eine Beschichtung geht!
Mit einem von Porsche und Schaeffler entwickelten Board bezwang Steudtner eine 28,57 Meter hohe Welle im portugiesischen Nazaré