Im Nordwesten der Schweiz liegt an der deutsch-französischen Sprachgrenze die 55.000 Einwohner-Stadt Biel, auf Französisch Bienne. Hier veranstaltete die Schweizerische Gesellschaft für Oberflächentechnik (SGO) Anfang Mai in der Tissot Arena ihre Technische Fachtagung. Die Tissot Arena ist nach dem großen schweizerischen Uhrenhersteller im nahen Le Locle benannt. Das Geschäft mit Luxusuhren prägt die ganze Region, in der auch viele Galvaniken – traditionelle Zulieferer der Uhrenbranche – ihren Sitz haben. In Biel selbst ist der Chronographen-Hersteller Omega zuhause, weitere exklusive Hersteller sind in einem langen Band vom Vallée des Joux (auch als Tal der Uhren bekannt) südwestlich des Neuenburger Sees bis hinunter nach Genf angesiedelt.
Lifestyle Armbanduhr: In der Arena zeigen Vitrinen edle Tissot-Chronographen
Ca. 200 Unternehmenfür Galvano- und Oberflächentechnik in der Schweiz
Die schweizerische Branche für Galvano- und Oberflächentechnik ist mit ca. 200 Unternehmen im Vergleich zur deutschen recht klein und dennoch vielfältig. Schwerpunkt der diesjährigen Veranstaltung mit ca. 50 Teilnehmern war das Thema Ressourcenschonung. Dabei ging es sowohl um Wasser als auch um Energie und effizienten Rohstoffeinsatz.
Einsparungen bei Reinigung und Abwasser
Den Anfang macht Dr. Clément Cremmel von der KKS Ultraschall AG in Steinen. Sein Unternehmen ist auf die Oberflächenbearbeitung und -reinigung von Geräten und Instrumenten aus dem Bereich Medizintechnik spezialisiert. Er referierte über die wässrige Reinigung und die Einsparmöglichkeiten bei Wasser und Energie u. a. durch Abwärmerückgewinnung, aber auch durch die Isolierung von Bädern, die ihm zufolge bis zu 17 % Energieeinsparung ausmachen kann. KKS Ultraschall arbeitet weiter an energieeffizienten Lösungen für die wässrige Reinigung von Bauteilen
Der nächste Referent war Galvanotechnik-Beirat und ProWaTech-Geschäftsführer Herbert Hauser. Sein Unternehmen, das kürzlich von der Firma EnviroChemie, Eschenbach/Schweiz, übernommen wurde, plant und liefert u. a. Wasseraufbereitungsanlagen. Angesichts eines Anstiegs der Energiekosten von 18 auf 40 Rappen je kWh beschrieb Hauser wie Kosten und Ressourcen in Galvaniken eingespart werden können. Beschrieben wurden zudem für Einsparungen bewährte Verfahren wie die Umkehrosmose – hier ist über 8 Jahre hinweg eine Reduktion des Stromverbrauchs von 10 % möglich –, Ionenaustauscher, mit denen bis zu 50 % NaCl und Wasser eingespart werden können sowie physikalische Verfahren zur Rückgewinnung, wie Elektrolyse oder Verdunstung. Am Beispiel eines „Hot Air Dryers“ verdeutlichte er die erhöhten Energiekosten und warb für den „Cold Air Dryer“ als sparsame Alternative. Weitere Themen waren die Reduktion des Austrags von Prozesslösungen im Spülprozess sowie Standzeitverlängerungen durch Reinigung.
Mit der Lebenszyklusanalyse Nachhaltigkeit steigern
Der im Anschluss geplante Vortrag von Dr. Roman Fuchs von der FME GmbH aus Neuhausen am Rheinfall entfiel aufgrund von Krankheit. Hier wäre es mit AAA-Coat um eine glaskeramische Beschichtung aus modifizierten Siliciumoxidnetzwerken für Substrate aus Metall, Glas, Keramik Karton/Papier oder spezielle Kunststoffe gegangen.
Dr. Beloin-Saint-Pierre von der Empa ermittelt mit der Lebeszyklusanalyse den CO2-Fußabdruck von Oberflächenprozessen
Wegen des ausgefallenen Vortrags wurde das Thema von Dr. Didier Beloin-Saint-Pierre von der Empa vorgezogen. Er sprach über die Lebenszyklusanalyse (LCA-Methode) von Beschichtungsprozessen, u. a. galvanisch Zink, und zeigte per Beamer auch Ergebnisse hierzu. Die Methode richtet sich nach den Internationalen Normen ISO 14040 und 14044 zur Ökobilanzierung. Beloin-Saint-Pierre zeigte, wie die wichtigsten Ansatzpunkte für eine nachhaltige Entwicklung zu identifizieren sind. Die rege Diskussion im Anschluss zeigte das hohe Interesse der schweizerischen Galvano- und Oberflächentechnik an dem Thema. SGO-Präsident Patrik Schmutz (lesen Sie auch das Interview) gab in der Fragerunde zu bedenken, dass neben Toxizität, Wasser und Stromverbrauch auch soziale Aspekte in die Lebenszyklusanalyse aufgenommen werden sollten.
Prozesse simulieren, visualisieren und vereinfachen
Nach der Mittagspause und der Generalversammlung des SGO wurde die Veranstaltung am Nachmittag fortgesetzt. Redner jetzt war Dr. Baptiste Fedi mit seinem Vortrag „Auf dem Weg zu einer umweltfreundlichen industriellen Produktion durch multiphysikalische Modellierung und Data Science, angewandt auf die Oberflächentechnik“. Dr. Fedi ist CEO der französischen Beratungsfirma Hivelix mit der Spezialisierung auf multiphysikalische Modellierung und Entwicklung digitaler Zwillinge für chemische und elektrochemische Prozesse. Dr. Fedi zeigte in seinem Vortrag, wie die Simulation dabei helfen kann, ideale Oberflächeneigenschaften zu realisieren. Mittels Data Sciences und der Hybridisierung von Simulationsmodellen stellte er dar, wie sich die Vorhersagefähigkeit von Modellen in einer industriellen Umgebung verbessern und optimieren lässt.
Zweiter Redner im zweiten Durchlauf der Veranstaltung war Roland Ratschiller, der im Mai 2022 bereits mit dem Brandschutzexperten Alexander Volodarski Interviewpartner der Galvanotechnik war. Er sprach über „Außenstromlose Nickel-Phosphor-Abscheidungen – Mehrkomponenten- vs. Einkomponentensysteme“ und umriss zunächst Prinzip und Praxis beim Einsatz von Chemisch Nickel in Galvaniken. Mehrkomponentensysteme erfordern vertiefte Prozesskenntnisse insbesondere wenn es um Dispersionsbeschichtungen geht. Inzwischen sind Einkomponentensysteme auf dem Vormarsch. Ratschiller präsentierte schließlich eine Umfrage zu Einkomponentensystemen aus den USA, wo es ein positives Feedback darauf gab. Als Vorteil gelten gesteigerte Motivation der Mitarbeitern, leichtere Beschaffung, simplifizierte Prozessführung und geringere Produktbevorratung im Chemikalienlager.
Familiäres Ambiente: Die Teilnehmer kamen überwiegend aus der Schweiz, vereinzelt aber auch aus Frankreich und Deutschland
Die letzten Vorträge auf der Technischen Fachtagung beschäftigten sich zunächst mit einer Softwarelösung der Karlsruher Firma Softec zur Visualisierung der Auftragsstände, um Kundenanfragen zu begegnen. Referent Arnaud Kropp, der auch den Stand seines Unternehmens auf der begleitenden Fachausstellung betreute, widmete sich im Vortrag auch der Herkunft der Daten und thematisierte abschließend mit der Augmented Reality noch ein weiteres Angebot seines Unternehmens für Galvaniken. Es folgte Ulrich Menner, Geschäftsführer des Argenbühler Anlagentechnikers V+L InfraManagement GmbH. Er stellte Prozessoptimierungen und Potenziale zur Energieeinsparung bei bestehenden Anlagen sowie Wärmerückgewinnung und sparsame Abluftreinigungsanlagen vor. Letzter Redner war Virgile Favre von der Anton Paar Tritec SA, einem Messgerätehersteller aus Corcelles unweit von Biel am Neuenburgersee, der insbesondere auf galvanotechnische Messvorrichtungen z. B. Viskosimeter spezialisiert ist. Sein Vortrag drehte sich um die korrekte Messung der Härte und des Elastizitätsmoduls von Oberflächenbeschichtungen.
Fotos: Robert Piterek