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Mittwoch, 04 Oktober 2023 12:59

Psychische Belastungen und die Sicherheit im Betrieb

von Heinz Käsinger
Geschätzte Lesezeit: 4 - 7 Minuten
Soziale Interaktion als Quelle psychischer Belastungen wurde lange Zeit von der Arbeitsmedizin vernachlässigt Soziale Interaktion als Quelle psychischer Belastungen wurde lange Zeit von der Arbeitsmedizin vernachlässigt (Foto: stock.adobe.com/tanja)

 Lange Zeit zählte man zu den Arbeitsbelastungen ausschließlich körperliche Einflüsse. Erst seit wenigen Jahren widmet man auch psychologischen Aspekten mehr Aufmerksamkeit.

Fernfahrer klagen überdurchschnittlich oft über Rückenprobleme, Bergleute leiden (oder sterben gar) an Staublunge. Und in den Zeiten, als es in Galvaniken weder Badabdeckungen noch Absauganlagen gab, erkrankten die Mitarbeiter häufig an Krebs.

Die Aufzählung hat eines gemeinsam. Alle genannten Krankheiten betreffen den Körper. Erst im Jahr 2013 nahm der Gesetzgeber auch psychische Belastungen in den Paragraphen 5, Absatz 3 des Arbeitsschutzgesetzes auf. Dort heißt es: „Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch

  1. die Gestaltung und die Einrichtung der Arbeitsstätte und des Arbeitsplatzes
  2. physikalische, chemische und biologische Einwirkungen
  3. die Gestaltung, die Auswahl und den Einsatz von Arbeitsmitteln, insbesondere von Arbeitsstoffen, Maschinen, Geräten und Anlagen sowie den Umgang damit
  4. die Gestaltung von Arbeits- und Fertigungsverfahren, Arbeitsabläufen und Arbeitszeit und deren Zusammenwirken
  5. unzureichende Qualifikation und Unterweisung der Beschäftigten
  6. psychische Belastungen bei der Arbeit.

Soweit das Gesetz. Was unter „psychische Belastung“ zu verstehen ist, wurde jedoch erst im Jahr 2017 festgelegt und zwar in der DIN EN ISO 10075-1:2017, die feststellt: „Psychische Belastung ist die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken.“

Dabei kann ein psychologischer Einfluss aber zur Ermüdung und damit zu herabgesetzter Wachsamkeit führen. Ebenso negativ sind Monotonie und geistige Erschöpfung. Und das alles gefährdet die Arbeitssicherheit. Der Arbeitgeber ist somit verpflichtet, auch die psychologischen Faktoren bei der Arbeit, soweit diese negativ sind, zu minimieren oder besser sogar auszuschalten.

Kopfschmerz ist eine Auswirkung psychischer Belastung (Foto: stock.adobe.com/peterschreiber.media)Kopfschmerz ist eine Auswirkung psychischer Belastung (Foto: stock.adobe.com/peterschreiber.media)

Der Zirkel, der die oben genannte Definition erarbeitet hat, legt aber vor allem großen Wert darauf, dass das Wort Belastung dabei neutral zu verstehen ist. Der Begriff gelte in diesem Zusammenhang als neutral und wertfrei. Insofern weicht er vom Gebrauch des Wortes im Alltag ab. Spreche man im Zusammenhang mit psychischen Einflüssen im Arbeitsbereich jedoch von Beanspruchung, so sei dies wie unmittelbare, nicht langfristige Auswirkungen psychischer Belastung im Individuum zu verstehen. Dabei müsse dann die jeweils individuelle Bewältigungsstrategie mit berücksichtigt werden. Wobei diese wiederum sowohl positiv als auch negativ ausfallen könne.

Psychische Einflüsse auf Arbeitnehmer ändern sich

Grundsätzlich sehen Arbeitspsychologen die Belastung als Gesamtheit an. Trotzdem wurden in der Vergangenheit einige Konkretisierungen zu speziell auftretenden Komponenten definiert, wobei nach Intensität, Dauer und vor allem Zusammensetzung unterschieden wurde (Tab. 1). Die Tabelle ordnet die psychologischen Faktoren als deren Entstehungsorte zu. Wobei berücksichtigt werden muss, dass sich Arbeitsbedingungen und somit die Einflüsse auf den Arbeitnehmer ändern. Die Auswirkungen können sich somit verstärken, verringern oder ganz wegfallen. Ein vorläufiges Ergebnis von Untersuchungen hat in diesem Zusammenhang jedoch schon ergeben, dass Belastungen aus dem sozialen Bereich bis heute stark unterschätzt wurden, während es zu Mensch-Technik-Interaktionen schon länger eine Masse an Erkenntnissen auf dem Feld der Arbeitssicherheit gibt. Wie aber sind psychologische Einflussgrößen in Zusammenhang mit der Arbeitssicherheit zu bewerten? Anders als bei direkt messbaren physikalischen oder chemischen Einflüssen, unterliegen die psychologischen keinen messbaren Grundlagen. Umstritten können bereits die Qualität und Quantität der Einflüsse sein und ob deren Folgen positiv, negativ oder neutral zu bewerten sind. Bei manchen Individuen beispielsweise führen schwierige Aufgaben zu mehr Motivation, bei anderen zur Resignation oder zur offenen Verweigerung. Wünschenswert wäre deshalb eine Bewertung der Belastungen, die gelöst vom Individuum erarbeitet werden könnte. Unter anderem beispielsweise durch Grenzwerte. Praktisch kann diese Vorstellung jedoch kaum sein.

Tab. 1: Arbeitsfelder und ihre psychischen Profile  

Tätigkeit

Organisation

Arbeitszeit

Soziales

Technik

Spektrum
Variabilität
Intensität
Störungen
Entscheidungsspielraum Qualifikation
Verantwortlichkeiten Information

Führung
Gerechtigkeit
Sicherheit
Kompetenzen
Kommunikation
Arbeitszeiten
Schichten
Zeitdruck

Dauer
Schichten
Ruhezeiten
Wochenende
Flexibilität
Planbarkeit
Work-Life-Balance

Vorgesetzte
Kollegen
Konflikte
Anerkennung

Mensch-Maschine-
Interaktion
Ergonomie
Lärm
Beleuchtung
Werkzeuge
PSA

Welche Methoden empfehlen sich also in der Praxis, um psychologische Einflussgrößen festzustellen, zu beurteilen und so vor den Kontext der Arbeitssicherheit zu stellen? Psychologen geben hier vor allem drei Instrumente vor, nämlich Workshops, Beobachtungsinterviews und Mitarbeiterbefragungen. Sinnvoll kann unter Umständen auch ein Mix aus diesen Dreien sein. In jedem Betrieb und in jeder Situation sollte eine Entscheidung über das Mittel der Wahl dabei individuell erfolgen. Denn klar ist, dass alle der genannten Methoden ihre Stärken und Schwächen haben. So sind Workshops beispielsweise gruppendynamischen Verzerrungen unterworfen, Mitarbeiterinterviews können Bewertungsunsicherheiten oder gar -Fehlern unterliegen und die Ergebnisse von Mitarbeiterbefragungen können durch verschiedene Interpretationen und Sichtweisen des Befragtenkreises wenig aussagekräftig sein.

Darüber hinaus sagt der Paragraph 5, Absatz 2 des Arbeitsschutzgesetzes, dass Standardwerte für Betriebe und Arbeitsplätze nur in Bezug auf gleichartige Arbeitsbedingungen möglich sind. Im Falle von unterschiedlichen Tätigkeitsverhältnissen sind also individuelle Bewertungsmaßstäbe auszuarbeiten und durchzusetzen.

ZUR INFO

Gesetzestexte und Literatur

ArbeitsSchutzGesetz (ArbSchG)

Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV)

DGUV-Vorschrift 1: Regel 100-001: Grundsätze der Prävention

Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA): Stressreport Deutschland 2020

DIN EN ISO 10075-1(2017)

GDA Arbeitsprogramm Psyche: Psychische Belastungen in der Gefährdungsbeurteilung (2022). Oder:

www.gda-psyche.de/SharedDocs/Publikationen/DE/psychische-arbeitsbelastung-und-gesundheit.pdf

BAuA: www.baua.de/DE/Themen/Arbeitsgestaltung-im-Betrieb/Psychische-Belastung/Leitmerkmalmethode/Leitmerkmalmethode_node.html

Freiburger Forschungsstelle für Arbeitswissenschaften (FFAW): Die Befragung zu psychischen Belastungen am Arbeitsplatz

 

Finanz- und Organisationsbedarf der Analysen sind enorm

Generell wird bemängelt, dass keines dieser Instrumente Ansatzstellen für konkrete Maßnahmen liefert. Außerdem werden viele Belastungen gar nicht als solche wahrgenommen, wirken jedoch unbewusst belastend auf den Mitarbeiter. Diese könnten zudem zu allgemein und nicht auf den betreffenden Betrieb bzw. das tatsächliche Arbeitsumfeld bezogen befragt werden.

Klar ist, dass eine Bewertung von psychologischen Faktoren im Arbeitsschutz gerade für kleine und mittlere Unternehmen – und somit für die allermeisten Galvanikbetriebe – eine kaum zu lösende finanzielle und organisatorische Aufgabe ist. Alleine der involvierte Personenkreis umfasst Betriebsärzte, Experten für Arbeitssicherheit, Psychologen, Datenschutzfachleute und Supervisoren. Jegliche Maßnahme muss mit den Arbeitgebervertretern abgestimmt werden, diese sind einzubeziehen.

 Tab. 2: Betroffene Bereiche und Vorschriftenquelle

Allgemeine Vorschrift

Arbeitsstätten

Arbeitsmittel

Biostoffe

Schutzbedürftige

ArbSchG, ArbZG,
DGUV-Vorschriften

ArbStättV

BetrSichV

BioStoffV

MuSchG,
JArbSchG

Aufgrund der schwierigen Gegebenheiten hat die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA) im Arbeitskreis „Psyche“ bereits 2021 eine Bestandsaufnahme aller zum Thema bekannten (Gesetzes-)Texte zusammengestellt (Tab. 2). So finden sich Forderungen nach Berücksichtigung psychischer Arbeitsfaktoren in mehreren Gesetzen und Normen. Um nur einige zu nennen:

  • Arbeitsschutzgesetz
  • Arbeitsstättenverordnung
  • Betriebssicherheitsverordnung
  • Arbeitszeitgesetz
  • Mutterschutzgesetz.

All das stellt klar, dass es nicht ein betroffenes Themenfeld gibt, sondern dass das Thema Psyche ein Branchen-übergreifendes Problem mit vielerlei unterschiedlichen (Stress-) Faktoren darstellt. Einige Beispiele:

Arbeitsschutzgesetz und Arbeitsstättenverordnung

Sie bilden die generelle Grundlage vor Unbill des Arbeitnehmers gegen Stressfaktoren und die Verpflichtung des Arbeitgebers, diese Faktoren zu minimieren oder ganz zu beseitigen. Schreiben Gefährdungsbeurteilungen von Arbeitsplätzen vor, geben Richtlinien für die Gestaltung von Arbeitsplätzen.

Arbeitszeitgesetz

Schreibt verbindliche Pausen vor, limitiert die Arbeitszeit, sorgt für planbare Freizeiten der Arbeitnehmer. Es gibt Vorgaben zur Nacht- und Schichtarbeit, Sonn- und Feiertagsarbeit.

Mutterschutzgesetz

Beinhaltet alle wichtigen Vorschriften zum Schutz schwangerer Frauen und deren ungeborenen Kindern. Das Gesetz gibt klare Vorgaben zur Gestaltung der Mensch-Maschine-Schnittstelle, die von Schwangeren besetzt ist. Ruhezeiten werden geregelt, ebenso zu gewährende Freizeiten zur medizinischen Prävention.


Fazit: Gefährdungsbeurteilung psychischer Faktoren bleibt schwierig

Ein Erhebungsinstrument, das alle vielfältigen psychischen Einflüsse erfasst und bewertet gibt es nicht. Die im Aufsatz genannten Instrumente wie Interviews, Befragungen oder Workshops sind alles andere als zuverlässig, sind jedoch im Moment alles, was zur Verfügung steht. Unrealistisch ist zu diesem Zeitpunkt die Loslösung von Bewertungen vom Individuum – hin zu verbindlichen Benchmarks oder Richtwerten.

Die Auswertung von Texten zum Thema zeigt die Vielfalt des Feldes, jedoch auch und vor allem die Inkongruenzen, die deutlich machen, dass Entwicklungs- und Abstimmungsbedarf besteht. Deutlich wurde auch, dass sich vor allem soziale Interaktion und Emotion noch viel zu wenig in der Arbeitssicherheit widerspiegeln.

 

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 9
  • Jahr: 2023
  • Autoren: Heinz Käsinger

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