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Freitag, 08 März 2024 12:00

Nachhaltigkeit beim Beschichten: Neuer Standard? - Teil 2 -

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Geschätzte Lesezeit: 5 - 9 Minuten
Optimal ist es, wenn ein bio-basiertes Produkt das herkömmliche Produkt 1 : 1 ersetzt.  Und zwar sowohl in Produkteigenschaft als auch in der Verarbeitung Optimal ist es, wenn ein bio-basiertes Produkt das herkömmliche Produkt 1 : 1 ersetzt. Und zwar sowohl in Produkteigenschaft als auch in der Verarbeitung Foto: stock.adobe.com/travelguide

– Teil 2 – Dieser zweite Teil des Artikels beleuchtet die Anforderungen des Marktes, zählt alternative Möglichkeiten auf und endet schließlich mit einem Appell an Wissenschaft und Industrie. Fortsetzung aus Galvanotechnik 1/2024

Blick auf die Marktanforderungen

Der Markt für Farben fragt nach praktikablen Lösungen. Für die Anwender ist es am einfachsten, wenn ein neuer Rohstoff durch einen bis dahin genutzten Rohstoff im Verhältnis 1 : 1 ersetzt werden kann. Im Falle der massenbilanzierten Produkte ist dies problemlos möglich – ein großer Vorteil für den einfachen Austausch. Bei sogenannten 14C-Lösungen, bei denen der Rohstoff sich von dem bis dahin eingesetzten teilweise stark unterscheiden kann, ist der Austausch anspruchsvoller.

Die Anwender wollen keine Abstriche bei der Qualität ihrer Produkte machen; der Endnutzer soll möglichst nicht merken, dass er ein anderes Produkt in der Hand hält. Es wird erwartet, dass die mechanischen und chemischen Beständigkeiten nicht schlechter sind als die der petrobasierten Farben oder Lacke. Interessant ist der Fakt, dass die bio-basierten Bindemittel sich teilweise stark olfaktorisch von den konventionellen Produkten unterscheiden: sie riechen intensiver. Der oft wahrnehmbare Geruch der bio-basierten Rohstoffe wird gelegentlich als „natürlich“ wahrgenommen und in manchen zu beobachtenden Fällen sogar gewünscht. Angesichts der Vermeidung jeglicher VOC-Substanzen ist das überraschend.

Die Endanwender fragen nach dem CO2-Fußabdruck über die gesamte Wertschöpfungskette, um die Produkte vergleichen zu können. Da die Farben- und Lackhersteller seit Jahren mit diversen „Höhere-Gewalt-Erklärungen“ konfrontiert werden, sind sie besorgt über die Verfügbarkeit der neuen, teilweise nur bei einem Lieferanten erhältlichen Rohstoffe. Es bleibt abzuwarten, ob die Versorgungssicherheit mit bio-basierten Rohstoffen auf einem für die Kunden akzeptablen Niveau sich ausbildet. Kaum jemand wundert sich über den Fakt, dass zunächst die nachhaltigen Rohstoffe teurer als die petrobasierten sein werden. Die Aufgabe der Hersteller liegt darin, dem Kunden die Alleinstellungsmerkmale sowie die neu geschaffene Nachhaltigkeit entsprechend zu erklären. Hier ist eine Überzeugungsarbeit seitens der Hersteller zu leisten.

Gibt es andere Möglichkeiten?

Auch vor Jahren war es möglich, manche Monomere durch die Depolymerisation der entsprechenden Polymere, die Ihren Lebenszyklus beendet haben, zu gewinnen. Aufgrund der nicht allzu hohen Reinheit (oft um die ­95%) galten sie als minderwertig und mussten mit Preisabschlägen angeboten werden. gt 2024 02 073Nicht die Herstellung von Beschichtungsprodukten ist problematisch, sondern der sorglose Umgang mit den Verpackungen und deren Zerfall zu Mikroplastik / Foto: stock.adobe.com/RHJ Einige Depolymeri­sationsanlagen wurden daher geschlossen. Heute sieht es etwas anders aus: einige etablierte Chemie-Unternehmen bieten rekuperiertes r-Styrol oder r-MMA mit einer deutlich höheren Reinheit. Auch bei den heute so hohen Energiepreisen ist es möglich, wettbewerbsfähige depolymerisierte Monomere anzubieten.

Eine weitere Möglichkeit ist der Einsatz von Essigsäure, die als Abfall in der holzverarbeitenden Industrie entsteht. Die Essigsäure, die zu 100% bio-basiert (C14) ist, wird erfolgreich bei der Vinylacetat-Herstellung eingesetzt. Das so gewonnene VAM kann im Rahmen des Massenbilanz-Ansatzes erfolgreich vermarktet werden, was man bei der Firma Wacker gut beobachten kann.

Des Weiteren zeigen sich neue innovative Lösungen. Einige Unternehmen nutzen als Rohstoff die ausrangierten Windschutzscheiben aus den Automobilen. Die beiden Glasschichten, die mit einer PVB-Folie verbunden sind, werden getrennt und die dabei gewonnene Folie wird zu einer sekundären Polymerdispersion verarbeitet. Solche Dispersionen können in der Textilindustrie, Farbenindustrie oder aber in der Bauchemie eingesetzt werden. An den Prozessen muss allerdings weitergearbeitet werden: die heute angebotenen Produkte enthalten typischerweise Weichmacher, die aus der PVB-Masse stammen.

Seit Jahren sind dem Fachverarbeiter Silikatfarben bekannt; sie basieren auf einem anorganischen Bindemittel – gewöhnlich handelt es sich um Kaliwasserglas. Solche Bindemittel sind praktisch frei von organischen Polymeren, sie gelten jedoch als anspruchsvoll, was die Verarbeitung anbelangt. In der letzten Zeit tauchen Hybrid-Lösungen auf, wie zum Beispiel ein Organo-Mineral-Binder eines schweizerischen Unternehmens, der Firma vanBaerle. Solche Innovationen können den fossilen Kohlenstoffdioxid-Abdruck durch dessen Zusammensetzung senken. Es sind allerdings auch disruptive Ansätze zu beobachten. Einige Hersteller preisen Dispersionsfarben ohne Bindemittel an. Das wäre an sich nichts Ungewöhnliches: Schon vor 100 Jahren stellte man mit einfachen Mitteln Kalkfarben her. Das Ungewöhnliche ist, dass die modernen Systeme, die Graphen-basiert sein sollen und sonst keine filmbildenden Mittel enthalten sollen, sehr gute mechanische und optische Eigenschaften besitzen. Sollten sich die Werbeaussagen der Hersteller bestätigen und die Farben lediglich Kleinstmengen an Graphen enthalten, so wäre das mehr als nur eine Modifikation der bekannten Systeme.

Ein anderes Thema, welches die Lösung sein könnte, ist Recycling. Die Vermeidung der Vermüllung der Umwelt sowie die Mikroplastik-Reduktion ist ein wichtiges Thema. Es sind Unmengen an Kunststoffen, die nicht nur produziert werden – was an und für sich unproblematisch ist- die eigentliche Bedrohung ist das mangelnde Bewusstsein der Menschen in der Entsorgung. Dabei gelangt Plastik/Mikroplastik erst in die Umwelt. Ein Modell, dass die Menschen zur Müllvermeidung animiert, ist noch nicht richtig entwickelt worden. Hier ist die Politik gefragt; Durch ökonomische Anreize, aber auch durch Aufklärung ist vieles möglich.

Ein weiteres, sehr interessantes Beispiel des effizienten Ressourcen-Umgangs ist Chemikalien-Leasing. Wie funktioniert es und wie könnte es die Nachhaltigkeit fördern? Das Chemikalien-Leasing ist ein Konzept, welches darauf abzielt, den Einsatz von Chemikalien in Unternehmen nachhaltiger zu gestalten. Ein spezialisiertes Chemieunternehmen übernimmt die Verantwortung für den gesamten Lebenszyklus der Chemikalien, von der Beschaffung über den Einsatz bis zur Entsorgung. Der Kunde, der die Chemikalien benötigt, schließt mit dem Leasingunternehmen einen Vertrag ab, in dem die genauen Konditionen festgelegt sind. Die Vorteile des Chemikalien-Leasings liegen in der Reduzierung von Umweltauswirkungen und Risiken für das Unternehmen. Durch den Einsatz umweltfreundlicher Chemikalien und optimierter Prozesse können Verbrauch und Freisetzung schädlicher Substanzen verringert werden. Gleichzeitig können Kosten eingespart werden, da das Unternehmen nicht für den Kauf von Chemikalien oder die Wartung von Geräten aufkommen muss. Zudem profitiert das Unternehmen von der Expertise des Leasingunternehmens in Bezug auf nachhaltige Praktiken im Umgang mit Chemikalien.

Vor 14 Jahren haben Forscher der Technischen Universität München ein alltägliches Phänomen beschrieben: Hochviskose Lebensmittel wie Ketchup oder Mayonnaise lassen sich nicht restlos aus der Verpackung herauspressen. Bis zu 30 % des Lebensmittels bleibt in der Flasche und wird entsorgt. Für das gt 2024 02 074Bis zu 30% einer hoch viskosen Chemikalie können als Restbestand in einer Gebindeverpackung verbleiben / Foto: stock.adobe.com/Grispb Duale System ist es ebenfalls ein Problem, da die Verpackungen vor der Aufbereitung gereinigt werden müssen, was die Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit zunichte macht. Die Forscher entwickelten eine Beschichtung, die dünn auf die Verpackung, die aus Polyolefinen besteht, aufgetragen werden kann. Die Beschichtung, die sowohl hydrophob als auch oleophob eingestellt wurde, sorgt für einen sehr guten Slip: statt 30 % blieben vier Prozent des Lebensmittels in der Verpackung.

Die Idee ist hervorragend, wenn man sich das Ausmaß der potenziellen Anwendungen veranschaulicht. Die in der Industrie oft eingesetzten Container (IBCs) werden bei hochviskosen Materialien praktisch nie restlos entleert. An der Wand der Container bleiben oft Anhaftungen, die bei der Rekonditionierung aufwendig entfernt und schließlich entsorgt werden müssen. In vielen Fällen lohnt sich der Aufwand nicht – es bleibt nur die thermische Verwertung der nicht-reinen Stoffe. Bei einem konventionellen Geschäft ist der Lieferant nicht sonderlich daran interessiert, dass der Kunde den vollen Inhalt aus dem Behälter herausbekommt. Schließlich bestellt er umso schneller neue Ware.

Stellen wir uns vor, der Lieferant schließt mit dem Kunden ein Chemikalien-Leasing-Vertrag. Es wird vereinbart, dass der Lieferant so viel Rohstoff zur Verfügung stellt, wie für die Rezeptierung bei dem Kunden notwendig ist. Der Rohstoff, der in den IBCs geliefert wird, bekommt plötzlich eine andere Stellung: Wenn er nicht aus dem IBC herauskommt, kommt er zu dem Lieferanten im nicht restentleerten IBC zurück. Im Falle eines wässrigen Bindemittels besteht sogar die Gefahr, dass die Reste des Bindemittels biologisch kontaminiert sind. Der Leasing-Vertrag zwingt den Lieferanten zum Umdenken: er ist daran interessiert, dass seine Ware schnell und einfach aus dem IBC entnommen werden kann. Folgerichtig sucht der Lieferant nach IBCs, die von innen so nachbehandelt sind, dass selbst hochviskose Rohstoffe ohne Probleme aus dem Behälter herausfließen. Eine klasse Lösung, die nachhaltig ist.

Ein Praxisbeispiel der Energieersparnis durch smarte Reaktionsführung zeigt, wie die Nachhaltigkeit gefördert werden kann. Bei dem Beispiel handelt es sich um eine Ersparnis, die auch den CO2-Abdruck reduziert, ohne dass man auf die Leistung verzichtet. Die durch die geänderte Polymerisationsführung erzeugten Makromoleküle können darüber hinaus sogar robuster sein. Nach dem heutigen Stand, werden weltweit ca. 25 Mio. Tonnen an wässrigen Polymerdispersionen hergestellt (gemeint ist eine Dispersion mit 50 % Polymergehalt). Bei vielen der Produktfamilien wird der Inhalt des Reaktors auf eine Temperatur gebracht, bei der die Initiatoren zerfallen und so freie Radikale bilden können. Die Energie, die dafür benötigt wird, kann in einer ersten Näherung 500 GWh betragen, was einem Ausstoß von 220 kT an CO2 bedeutet (dies bei einer zu Grunde liegenden Dispersionsmenge von 16 Mio. Tonnen, da bei manchen Verfahren die Starttemperaturen schon immer tief lagen). Die radikalische Emulsionspolymerisation verläuft exotherm. Wenn man die Exothermie intelligent ausnutzt, kann man die für die Erwärmung benötigte Energie des Reaktors einsparen, indem man das Kettenwachstum bei niedrigen Temperaturen initiiert. Die hergestellten Dispersionen weisen Unterschiede in Bezug auf Molekularmasse, Molekularmasseverteilung und gegebenenfalls Viskosität auf, während die aus dem Bindemittel gebildeten Filme über andere mechanische Eigenschaften verfügen können und möglicherweise Unterschiede in der Chemikalienbeständigkeit aufweisen.

Dadurch, dass das Verfahren für die Makromoleküle teilweise bei niedrigeren Temperaturen verlaufen würde und es quasi „schonender“ wäre, könnten bessere Parameter des Bindemittels erwartet werden. So kann man anhand des verminderten Alkoholgehaltes sehen, dass die Hydrolyse bei niedrigen Temperaturen weniger ausgeprägter auftritt. Die bei höheren Temperaturen auftretende Hydrolyse ist nicht gewünscht und die Hersteller der Bindemittel versuchen diese zu unterbinden. Dieses Beispiel zeigt, dass man mit kleinen Optimierungsschritten nicht nur nachhaltiger werden kann; viel mehr können so gewonnene Produkte bessere Leistungen hervorbringen.

Ein Appell an Wissenschaft und Industrie

Motivation und Engagement bringen die Technologie voran! Die Entwicklung lässt sich nicht verordnen. Geschichtlich betrachtet entstand oft etwas Neues durch einen Zufall. Damit es aber zu dem Zufall kommen konnte, musste der Wissensstand des Entwicklers, seine Erfahrung, aber vor allem seine Begeisterung, die mit der Entwicklung zusammenhängt, auf dem entsprechenden Level sein. Ohne die Wissenschaft und ohne die Grundlagenforschung ist kein nachhaltiger Fortschritt möglich. Die Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse muss jedoch schnell und flexibel vonstatten gehen. Man darf keine neuen Wege scheuen, nach dem oft gehörten Motto in den Produktionsbetrieben „So haben wir es schon immer gemacht bzw. das haben wir noch nie so gemacht.“ Ein neues Verfahren, auch wenn der Weg zu diesem lang und beschwerlich sein kann, kann uns deutliche Vorteile bringen und Begeisterung entfachen.

Kann der Wandel zu mehr Nachhaltigkeit wirklich gelingen? Es liegt an uns, ob es nur ein Hype oder Realität sein wird. Die nächste Generation wird es danken, wenn die jetzige an die Grenzen des Machbaren geht. Der Erfolg wird sich dann fast von allein einstellen.

 

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 2
  • Jahr: 2024
  • Autoren: Anton Solich

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