Branchenumfrage: Wirtschaftsfreundliche, selbstbewusste Regierung gesucht!

Branchenumfrage: Wirtschaftsfreundliche, selbstbewusste Regierung gesucht!

Wie sind die Reaktionen nach der Wahl? Was denken Branchenteilnehmer, was die Vertreter von Industrie und Forschung über die neuen Mehrheitsverhältnisse und Optionen für die Zukunft nach dem Urnengang Ende Februar 2025? Die Galvanotechnik hat sich auf dem Leipziger Fachseminar umgehört und weitere Reaktionen recherchiert.

Die Welt wandelt sich derzeit rasant. Augenreibend werden wir Zeugen, wie autoritäre Staaten die Oberhand gewinnen und sich das Recht des Stärkeren wieder Bahn bricht. Handelsschranken, Zölle, Einflusssphären und Kriege markieren die Rückkehr in die Zeit des Faustrechts. In dieser Konstellation müht sich die EU der 27 um Einheit und Neupositionierung. Deutschland, als größtes EU-Land wichtige Säule der europäischen Staatengemeinschaft, hat in Windeseile neue multimilliardenschwere Finanzierungspakete geschnürt, um Infrastruktur und Verteidigung zu modernisieren.

Zugleich gibt es im Bund neue Mehrheiten – Schwarz-Rot dürfte die neue Regierung stellen. Dass jeder fünfte Wähler seine Stimme an den Wahlurnen einer rechtsextremen Partei gegeben hat, sollte jedoch zu denken geben. Die gewaltige Geschwindigkeit der Umwälzungen schürt Unsicherheit und verleiht den Erwartungen an die neue Regierung eine höhere Bedeutung als in der Vergangenheit, nicht zuletzt, weil die deutsche Wirtschaft im Strukturwandel zur Klimaneutralität ihre Wachstumsdynamik eingebüßt hat. Wo steht unsere Branche in dieser Gemengelage und was fordern unsere und andere Verbände von der neuen Regierungsmannschaft in Berlin?

Verhaltene Aufbruchstimmung in der Branche

Lisa Büker, designierte Laborleiterin bei Kiesow Oberflächentechnik und Mitglied im Frauennetzwerk Female (Sur)Faces des Zentralverbands Oberflächentechnik e. V. (ZVO), steht in der Kaffeepause an einem Stehtisch und geht ein paar Papiere durch, als sie zu ihren Erwartungen und Einschätzungen gefragt wird. „Die Regierung sollte jetzt in jedem Fall gut und zügig handeln. Es ist unsere letzte Chance vor der nächsten Wahl, bevor es mit Blick auf die AfD übler wird“, ist die promovierte Chemikerin überzeugt. Für die Branche wünscht sie sich von der neuen Regierung mehr Sicherheit: eine klare Richtung und klare Ansagen bei Wirtschaftspolitik und Demokratie, sodass sich die Branche verlässlich daran ausrichten kann. „Es kann sich ja keiner mehr entspannen, im Moment fehlt ja jede Entscheidungsgrundlage, ob eine Investition sinnvoll ist oder nicht“, beurteilt sie die aktuelle Lage.

Lisa BükerLisa Büker
Nico KahlichNico Kahlich

Nico Kahlich vom Anlagenbauer Ditec stellt auf dem Leip­ziger Fachseminar seine Produkte vor. Der 28-Jährige hat sich mit der aktuellen Bundestagswahl besonders beschäftigt. „Ich habe alle Quadrelle und Duelle im Fernsehen verfolgt, das war schon wahnsinnig spannend“, blickt er zurück. „Ich hoffe für die Branche, dass der Strompreis wirklich reduziert wird und die Überbürokratisierung abgebaut wird.“ Ohne Normen gehe es nicht, findet er, doch die vielen Genehmigungen schränkten gerade auch die Galvano- und Oberflächentechnik immer wieder ein. „Normen müssen sein, aber auch mit gesundem Menschenverstand begutachtet werden“, meint er. Bei der Migration macht er sich Sorgen über eine zu schnelle Abschottung und daraus folgenden Streit mit den Nachbarländern. „Wir brauchen in dieser Branche Leute, die Gestelle behängen. Das ist auch eine Chance, den Berufseinstieg zu schaffen.“ Europa müsse jetzt zusammenhalten, die Entwicklungen in Amerika als Schuss vor den Bug sehen und eine eigene Wirtschaftsmacht aufbauen. „Ich bin sicher, dass wir es schaffen können; im Mittelstand haben wir jetzt große Aufgaben vor uns“, blickt er optimistisch voraus.

Für Oliver Brenscheidt, ebenfalls mit einem Stand auf der Fachausstellung vertreten, ist die Wahl aus zwei Gründen enttäuschend verlaufen. Zum einen, weil die Wirtschaftspartei FDP nicht mehr dem Bundestag angehört und zum anderen, weil nun fast eine Billion Euro an Neuverschuldung aufgenommen wird, „ein Betrag, der allen öffentlichen Entitäten zusammengenommen entspricht“, zieht er einen Vergleich. Zudem kritisiert er Geschenke an SPD und Grüne, um den Wehretat durchzudrücken. „Das wird uns und vor allem unseren Kindern nicht guttun“, ist er überzeugt. Doch nun gelte es nach vorne zu blicken und sich mit Blick auf die Branche klarzumachen, dass die Stimmung schlechter sei als die Zahlen. „Es geht uns sicherlich nicht so gut, wie es uns in den letzten Jahren gegangen ist. Aber es geht uns auch nicht schlecht“, schätzt er die Lage ein. Diese Einsicht müsse in die Köpfe hineinkommen – und die „German Angst“ verschwinden!

Oliver BrenscheidtOliver Brenscheidt

Dennis StritterDennis Stritter

Prof. Siegfried SteinhäuserProf. Siegfried Steinhäuser

Dennis Stritter von Atotech macht sich über die Verwendung der Gelder aus den neuen Sondervermögen Sorgen. Teure Einkäufe im Ausland sieht er kritisch. „Wir haben alle Industrien hier“, betont er. Die Regierung sei nun gefragt, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um Energiepreise, Subventionen und das Bürokratie-Thema anzugehen und wettbewerbsfähig zu bleiben. „Nehmen wir das Beispiel mit den Verbindungselementen“; kommt er auf sein Vortragsthema „Elektrische und mechanische Optimierung von verschraubten Stromschienenverbindungen“ zu sprechen. „Da können deutsche Hersteller mit den aktuellen Energiepreisen international nicht mithalten.“

Prof. Siegfried Steinhäuser, ehemals Professor u. a. für Oberflächentechnik an der TU Chemnitz und von 2001-2005 DGO-Vorsitzender, ist mit Blick auf die neue Regierung optimistisch und rechnet damit, dass die neu erstarkte CDU sich als konservative Partei mehr für die Galvanotechnik einsetzt, weil die Technologie in der Industrie gefragt ist. Steinhäuser billigt die AfD nicht, die Partei vertrete aber auch Firmen, die um ihren Bestand bangen. Der umtriebige 85-jährige Professor hofft, dass nun Geld bereitgestellt wird, um die Existenz dieser Firmen zu sichern.

Metallerverbände: Wettbewerbsfähige Energiepreise gefordert

Jörg PüttbachJörg Püttbach

Die erste Reaktion aus dem Zentralverband Oberflächentechnik e. V. (ZVO) auf das Wahlergebnis ist positiv. Er rechne mit einer etwas wirtschaftsfreundlicheren Haltung, sagte ZVO-Vorsitzender Jörg Püttbach im Interview (Galvanotechnik 3/2025, S. 354 ff.) und konkretisierte, dass in einer Zweiparteien-Koalition schnelle Einigungen möglich seien und eine solche Konstellation zugleich überlebensfähiger sei – dies sei wichtig für die Wirtschaft und die mittelständischen Unternehmen. Um die Rahmenbedingungen in Deutschland zu verbessern, baut der ZVO darauf, Verbesserungen gemeinsam mit anderen Verbänden zu erreichen: „Grundsätzlich besteht bei den Themen Energie und Entbürokratisierung ein breiter Konsens mit vielen Verbänden, sodass ich durchaus Hoffnung habe, dass es dort in die richtige Richtung geht“, sagte er im Interview.

 

Beim Thema Energie pochen neben dem ZVO besonders Verbände energieintensiver Industrien auf deutlich niedrigere Energiepreise, so etwa der VDEh (Verband Deutscher Eisenhüttenleute, heute Stahlinstitut), die Wirtschaftsvereinigung Metalle (WVMetalle) und der Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie (BDG).

Wirtschaft und Forschung: Bürokratieabbau, praxisnahe Forschung, technologische Souveränität

Mehr Innovationsdynamik durch mehr Spielraum für Forschung und Innovation sowie Bürokratieabbau fordert Dr. Volker Treier, Außenwirtschaftschef und Chefanalyst der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK): „Die strukturelle Schwäche am Standort Deutschland bremst die Innovationsdynamik in den Unternehmen deutlich. Laut aktueller DIHK-Konjunkturumfrage will nur noch knapp jedes dritte Industrieunternehmen in die Entwicklung neuer Produkte investieren – das reicht nicht für mehr Wachstum. Damit vor allem unsere exportorientierte Industrie auf den internationalen Märkten eine Chance hat, muss sie innovativer sein als die Wettbewerber. Dafür brauchen Unternehmen und ihre Forschungspartner wieder mehr Spielraum für Forschung und Innovation. Dazu gehören ein spürbarer Bürokratieabbau, eine effiziente Innovationsförderung und ein praxisnaher Technologietransfer.“

Dr. Volker TreierDr. Volker Treier
 Prof. Holger Hanselka Prof. Holger Hanselka

Auch die wichtigste deutsche Forschungsorganisation Fraunhofer-Gesellschaft wurde zum künftigen Regierungs­kurs Deutschlands befragt. „Unsere Innovationskraft ist ein zentraler Hebel zur Bewältigung aktueller und künftiger Herausforderungen. Als anwendungsorientierte Forschungsorganisation an der Schnittstelle zwischen Forschung und Wirtschaft kommt Fraunhofer hierbei eine zentrale Rolle zu“, betonte Prof. Holger Hanselka, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft. „Damit wir unser Potenzial optimal umsetzen können, braucht es moderne Rahmenbedingungen, die flexibel und zielorientiert ausgerichtet sind. Nur so können wir wissenschaftliche Erkenntnisse noch schneller in die Anwendung bringen und sie für Wirtschaft und Gesellschaft nutzbar machen. Heute stellen wir die Weichen für unsere langfristige internationale Wettbewerbsfähigkeit, für unsere technologische Souveränität und unseren Wohlstand.“

Die Bedeutung von Forschung und Entwicklung stellt auch Hartmut Rauen, Stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e. V. (VDMA) heraus: „Wettbewerbsfähigkeit und Umsetzungsstärke unseres Innovationsraums müssen oberste Maxime jeder neuen Bundesregierung sein. Mehr ‚Research for Industry‘ ist dabei das Gebot der Stunde. Die Stellschrauben sind klar: Industrielle Gemeinschaftsforschung, Produktionstechnologien für Wertschöpfung, technologische Souveränität und Resilienz in Europa, Forschungszulage, leistungsstarke Ingenieurwissenschaften und Leitplanken, die den aus Standortperspektive ungewollten Abfluss von öffentlich finanziertem Wissen und Technologien vermeiden. Packen wir’s gemeinsam an – machen wir aus unserem Innovationsraum einen Innovationstraum für bestes Innovieren in Industrie und Wissenschaft!“

Hartmut RauenHartmut Rauen
Wolfgang WeberWolfgang Weber

Für die Chancen neuer Technologien und risikobasierter Regulierung statt pauschaler Verbote plädiert Wolfgang Weber, Vorsitzender der Geschäftsführung des Zentralverbands Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e. V. (ZVEI): „Neue Technologien bieten enormes Potenzial zur digitalen Transformation sowie für Energie- und Ressourceneffizienz. Statt vorschneller Regulierung sollten zunächst ihre Chancen bewusster aufgegriffen werden. Statt pauschaler Verbote ist eine risikobasierte Regulierung notwendig. Dies gilt beispielsweise für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Industrie und bei Stoffen wie PFAS, die etwa in der Industrie für innovative Lösungen benötigt werden.“

Fazit: Aufbruch in eine neue selbstbewusste Republik

Die Branche wünscht sich schnelles beherztes Handeln, um Unsicherheiten entgegenzutreten und die Rahmen­bedingungen für Unternehmen in Deutschland zu ver­bessern. Zugleich wird mehr Autarkie unseres Wirtschaftsstandortes und ein größerer Realismus bei der Ein­schätzung unserer Lage (Stichwort: Die Zahlen sind besser als die Stimmung) gefordert. Grundsätzlich überwiegt der Optimismus. Der ZVO und die Metallerverbände setzen sich besonders für niedrigere Energiekosten und Bürokratieabbau ein (alle ZVO-Forderungen finden Sie in Galvanotechnik 2/2025, S. 136). Bei der Energie stehen die Zeichen günstig, denn auf einen Industriestrompreis haben sich CDU/CSU und SPD bereits geeinigt. Grundsätzlich schätzt der ZVO die Stabilität und die Einigungsfähigkeit der künftigen Koalition als gut ein. Weitere Interessenvertreter aus Wirtschaft und Forschung fordern mehr Innovationsdynamik, spürbaren Bürokratieabbau, mehr technologische Souveränität und mehr Offenheit für Technologien statt vorschneller Verbote.

Aus der Umfrage gehen vielfältige Erwartungen an die neue Regierung hervor, aus der sich zwei Schlüsse ableiten lassen: Deutschland braucht schnellstmöglich eine handlungsfähige neue Regierung, die Wirtschaft und Industrie mit bezahlbarer Energie und dem Abbau von regulativen Hürden eine gute Ausgangsposition auf dem Weltmarkt verschafft. Abhängigkeiten sollen abgebaut werden und im Zusammenspiel mit den europäischen Nachbarn eine resilientere Wirtschaft – Stichwort: technologische Souve­ränität – entstehen. Zum anderen soll Deutschland wieder mehr an sich selbst glauben: An seine Spitzenforschung, seine Ingenieure, seinen Erfindungsreichtum. Wichtig ist aber, dass diese besonderen Fähigkeiten zum eigenen Wohle eingesetzt werden und unsere Patente nicht in Asien oder anderswo zu Produkten und neuen Industrien führen.

 

  • Ausgabe: April
  • Jahr: 2025
  • Autoren: Robert Piterek
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