Eugen G. Leuze Verlag KG
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Donnerstag, 30 September 2021 11:59

Brief aus England

von
Geschätzte Lesezeit: 10 - 20 Minuten
(© Foto: Vertical Aerospace) (© Foto: Vertical Aerospace)

Nach der Pandemie: Was wird sich geändert haben?

Die Coronavirus-Pandemie wird langsam besiegt, obwohl viele Experten glauben, dass sie uns noch viele Jahre lang auf niedrigem Niveau begleiten wird. Die Pandemie hat viele Veränderungen in unserem Lebensstil mit sich gebracht, und die große Frage ist nun, ob diese Veränderungen von Dauer sein werden oder nicht. Im Folgenden möchte ich vier besondere Aspekte und die Kontroversen, die sie umgeben, untersuchen. Ich betrachte sie hauptsächlich aus englischer und amerikanischer Sicht, obwohl ich vermute, dass die gleiche Debatte auch in Deutschland und auf der ganzen Welt geführt wird.

Einkaufen im Internet

Abb. 1: Weltweites Wachstum des E-Commerce (in Mrd. US$, Grafik: Statistica)   Abb. 1: Weltweites Wachstum des E-Commerce (in Mrd. US$, Grafik: Statistica) Ohne Frage hat die Pandemie den Trend zum Online-Shopping beschleunigt. Dieser Trend war bereits in den vergangenen Jahren zu beobachten, aber im Jahr 2020 haben Unternehmen wie Amazon einen explosionsartigen Anstieg des Bestellvolumens erlebt. Die große Frage ist also, ob es sich um einen dauerhaften Anstieg handelt oder ob einige Menschen in die Stadtmitte zurückkehren werden. Es lässt sich nicht leugnen, dass der Online-Handel mit großen und zunehmend automatisierten Lagern ein kos- teneffizienteres Geschäftsmodell darstellt als ein physisches Geschäft in der Hauptstraße. Da die Automatisierung immer ausgefeilter (und auch preiswerter) wird, wird sich diese Dichotomie nur noch verstärken. In England hat man in den letzten Monaten festgestellt, dass Kaufhäuser, die auch online verkaufen, manchmal weniger für das gleiche Produkt verlangen, wenn es online gekauft wird, als im Kaufhaus selbst. Amazon und andere große Online-Händler kaufen jetzt viele Tausende von elektrischen Lieferfahrzeugen und vermeiden so die Kritik, dass ihre Fahrzeuge nicht „grün“ sind. Viele Online-Händler bieten jetzt eine schnellere Lieferung an. Die neueste Entwicklung sind Online-Lebensmittelverkäufer, die in weniger als einer Stunde, manchmal sogar in weniger als 30 Minuten liefern. Unternehmen wie Getir (aus der Türkei), Gorillas (Deutschland) und GoPuff (USA) wachsen in Deutschland und jetzt auch in England sowie in ganz Europa. Abbildung 1 zeigt das Wachstum des weltweiten E-Commerce. Es wird prognostiziert, dass diese Wachstumsrate zumindest in den nächsten 3 bis 5 Jahren anhalten wird.

Arbeiten von zu Hause aus (WFH)

Abb. 2: Weezy bietet 2000 Lebensmittel an und  liefert innerhalb weniger Minuten nach HauseAbb. 2: Weezy bietet 2000 Lebensmittel an und liefert innerhalb weniger Minuten nach HauseDies ist in England, den USA und in anderen Ländern ein sehr umstrittenes Thema. Während der Pandemie konnten viele Arbeitnehmer dank des Internets und Software wie Zoom, Microsoft Teams und ähnlichen Programmen ihre Arbeit von zu Hause aus erledigen. Für die meisten, die in normalen Häusern oder größeren Wohnungen lebten, war das in Ordnung. Für jüngere Arbeitnehmer, die in Einzelzimmer-Wohnungen leben, vor allem mit mehr als einem Bewohner, war es weniger zufriedenstellend. Einige Statistiken deuten darauf hin, dass die Angestellten produktiver waren wenn sie von zu Hause aus arbeiteten. Andere Statistiken zeigen das Gegenteil. WFH bedeutete weniger Zeit und weniger Geld für das Pendeln zur Arbeit. Aus der Sicht des Arbeitgebers bestand die Möglichkeit, die Größe der Büros zu verringern, was zu Einsparungen bei der Miete führte. Doch es gab und gibt auch Gegenargumente: Viele glauben, dass die Interaktion zwischen den Mitarbeitern am Arbeitsplatz kreativ sein kann, den Teamgeist fördert und es den Mitarbeitern ermöglicht, voneinander zu lernen. Die britische Regierung plädiert nachdrücklich für eine Rückkehr zum Büro, und viele glauben, dass sie eine „versteckte Agenda“ verfolgt. Dies betrifft die sogenannte „Inner City Economy“, d. h. die Imbissbuden, Restaurants, Reinigungen, Schuhreparaturwerkstätten usw. Wenn die Menschen von zu Hause aus arbeiten, werden diese Geschäfte sterben. Einige argumentieren deshalb, dass die Angestellten über den Zwang zur Büroarbeit indirekt auch gezwungen sind, diese kleinen innerstädtischen Unternehmen zu subventionieren.

Es ist sowohl in England als auch in den USA klar, dass die großen Unternehmen in dieser Frage geteilter Meinung sind. Einige verlangen, dass alle Angestellten in den nächsten ein oder zwei Monaten ins Büro zurückkehren. Andere sind bereit, die Angestellten langfristig von zu Hause aus arbeiten zu lassen. In der Mitte stehen diejenigen, die das sogenannte „Hybridmodell“ vorschlagen – zwei oder drei Tage zu Hause, die anderen Tage im Büro. Noch nie hat es eine so große Debatte gegeben, und ich habe keine Ahnung, wie sie ausgehen wird.

Es gibt weitere Diskussionen. Wenn der Angestellte Zeit und Geld spart, indem er nicht ins Büro fährt, sollte er dann allein von diesem Vorteil profitieren? Oder sollte auch der Arbeitgeber einen Teil dieser Einsparungen mittragen, entweder in Form von Geld oder indem er die Angestellten bittet, etwas länger zu arbeiten? Dann gibt es noch den Vorschlag, dass, wenn jemand von einem Vorort aus arbeiten kann, warum dann nicht gleich jemanden in einem anderen Land einstellen? Das kann ich nicht akzeptieren. Wenn jemand in einem Vorort von zu Hause aus arbeitet, kann der Arbeitgeber ihn jederzeit bitten, ins Büro zu kommen. Das wäre kaum möglich, wenn er Hunderte von Kilometern entfernt wohnen würde. Jedes große Unternehmen hat seine eigene Strategie. Am drastischsten ist Google, das vorgeschlagen hat, dass den- jenigen, die von zu Hause aus arbeiten, weniger bezahlt werden soll. Bisher handelt es sich nur um einen Vorschlag, nicht tatsächlich um ein Konzept.

Mahlzeiten, Einkaufen

Die Pandemie hat zu einer explosionsartigen Zunahme von Unternehmen geführt, die Fast Food und sogar warme 3-Gänge-Mahlzeiten nach Hause liefern (s. Abb. 2). Manchmal werden diese in einem Restaurant zubereitet. In anderen Fällen kommen sie aus einer sogenannten „Dark Kitchen“, die sich in einem Industriegebiet oder einem Gebiet befindet, in dem die Miete niedriger ist als in einem Restaurant auf der Hauptstraße. Natürlich fällt eine Liefergebühr an, aber da kein Kellner oder Speisesaal benötigt wird, ergeben sich erhebliche Kosteneinsparungen. Dieses Angebot gibt es schon seit langem für Pizza und ähnliche Fast-Food-Gerichte, jetzt aber auch für 3-Gänge-Menüs in Restaurantqualität. Eine weitere neue Innovation ist das „Meal Kit“, bei dem die Hausfrau die Mahlzeit zwar noch zubereiten muss, aber alle Zutaten zusammengestellt, gewaschen und kochfertig geliefert werden. Unternehmen wie Deliveroo und das in Berlin ansässige Unternehmen Delivery Hero sind an der Börse notiert und sind Milliarden wert.

Hochschulbildung, Ausbildung

Das sogenannte Distance Learning ist nichts Neues, und der Leuze Verlag war nicht nur einer der ersten in dem von ihm bedienten Fachgebiet, sondern baut das Angebot seiner hervorragenden Online- Kurse ständig aus. In England wurde 1969 die „Open University“ gegründet, die Abschlüsse per Fernstudium anbietet. Aber sie war immer einzigartig, keine andere Institution hat versucht, es ihr nach zu machen. Dank der Pandemie unterrichten die englischen Universitäten seit einem Jahr jedoch ausschließlich online. Jetzt gibt es eine große Debatte. Die Universitäten haben gelernt, dass Online-Unterricht möglich ist und dass sie auf diese Weise Geld sparen können. Die meisten Studenten wollen jedoch zum alten System des Face-to-Face-Unterrichts zurückkehren. Es ist nicht klar, wie dieser Streit enden wird. In den USA hat vor einigen Jahren eine Organisation namens Coursera damit begonnen, Hochschulstudiengänge (www.coursera.org) vollständig online anzubieten. Traditionelle US-Universitäten folgten, und diese Kurse werden als MOOC (Massive On-line Open Courses) bezeichnet. Sie werden in Wikipedia beschrieben. Viele sind kostenlos, außer für diejenigen, die ein Zertifikat erwerben wollen, und die müssen dann eine bescheidene Gebühr zahlen.

Fazit

Hier sind vier Aspekte des täglichen Lebens, die sich durch die Pandemie verändert oder beschleunigt haben. Werden diese Veränderungen von Dauer sein, oder werden sie wieder rückgängig gemacht werden? Es wird Gewinner und Verlierer geben. Zu den Verlierern gehören die traditionellen Geschäfte, die Restaurants und die Eisenbahnen, Straßenbahnen und Buslinien, die die Pendler befördern. Die Pandemie hat gezeigt, dass wir viele Dinge anders machen können – aber sind diese neuen Wege auch besser? Wie viel Wert legen wir auf den direkten menschlichen Kontakt? Die nächsten ein bis zwei Jahre werden jedenfalls „faszinierend“ sein.

Immer mehr Automatisierung

Abb. 3: Robotische Entladung eines LkwAbb. 3: Robotische Entladung eines LkwIch habe bereits erwähnt, dass die Automatisierung die Effizienz von Lagern immer weiter steigert. Aber es gibt noch ein weiteres Glied in der Kette, nämlich das Be- und Entladen von Lkw, das jetzt ebenfalls automatisiert wird. Amazon (wie zu erwarten) und andere Unternehmen entwickeln Roboter für diese Aufgabe. Ein Unternehmen ist die Robotikabteilung von Honeywell, die seit 2019 an einem Gerät arbeitet, das mit Saugnäpfen Kisten aus einem Lkw entlädt. Der Entladeroboter rollt in den hinteren Teil eines Lkw und nutzt künstliche Intelligenz, um herauszufinden, wie die Ladung zu handhaben ist. Mithilfe von Kameras, Sensoren und Computern erkennt er die verschiedenen Formen und Größen der Kisten und weiß, wie sie am besten zu entladen sind. Ein Roboterarm mit Dutzenden von kleinen Saugnäpfen „greift das Paket und passt sich seiner Form an“, um es „sanft aus dem Stapel zu ziehen“, so Honeywell. Die Kartons werden dann auf einem Förderband unterhalb des Arms aus dem Lastwagen transportiert. Nach Angaben von Honeywell wird der Roboter nach seiner Fertigstellung in der Lage sein, 1500 Kartons pro Stunde auszupacken, verglichen mit 600 bis 1200 Kartons, die ein Mensch auspacken kann. Honeywell räumt jedoch ein, dass der Roboter immer noch am besten mit Kartons einheitlicher Form und Größe arbeitet und Schwierigkeiten hat, unregelmäßige Formen wie lose Paletten oder Palettenheber zu erkennen.

Ein konkurrierendes System namens „Stretch“ wurde von Boston Dynamics mit Sitz in Massachusetts entwickelt, das dem koreanischen Mischkonzern Hyundai gehört, und wurde im März vorgestellt. Der 1200 kg schwere Roboter besteht aus einer kastenförmigen Basis auf Rädern, die es ihm ermöglichen, sich von einer Seite zur anderen zu bewegen oder zu drehen. Er verfügt über einen Arm, der sich über einen Kistenstapel und bis ganz nach oben in einen Lkw streckt. Er verwendet Sensoren und einen Sauggreifer, um Kartons von 25 kg zu handhaben. Stretch nimmt seine Umgebung mit Hilfe der 2D- und Tiefensensoren eines an seiner Basis angebrachten Wahrnehmungsmastes wahr. Ein Algorithmus für maschinelles Lernen ermöglicht es ihm, Kartons zu erkennen und zu bewegen. Er kann eine Reihe von Kisten untersuchen, ihre Formen und Größen bestimmen und entscheiden, welche er zuerst aufnimmt. Nach Angaben von Boston Dynamics soll Stretch schließlich in der Lage sein, 800 Kisten pro Stunde zu entladen. Abbildung 3 zeigt eine vorgeschlagene Abfolge des Entladens eines Lkw.

Neues Leben für ein sehr altes Material – Für eine neue englische Eisenbahn

Beton ist nicht hunderte, sondern tausende von Jahren alt. Schon die alten Römer wussten ihn zu nutzen. Aber in den letzten Jahren gab es neue Fortschritte bei der Zusammensetzung und Verwendung dieses erstaunlichen Materials. In England wird für die neue Hochgeschwindigkeits- Eisenbahnlinie HS2 ein riesiger 3D-Drucker eingesetzt, um Stahlbetonkonstruktionen an Ort und Stelle herzustellen, anstatt vorgefertigte Strukturen auf der Straße zu transportieren. Die mobile Maschine wird Beton, der mit superstarkem Graphen verstärkt ist, durch eine Düse einspritzen und dabei einem digitalen Entwurfsmuster folgen, um die Struktur von Grund auf zu erstellen.

Die Technologie wird zunächst im Rahmen eines im Frühjahr beginnenden Versuchs von HS2-Bauunternehmen eingesetzt, die Tunnel auf der Strecke von der Londoner Innenstadt aus bauen, bevor sie möglicherweise an anderen Stellen der Strecke zum Einsatz kommt. Sie könnte zu einer 50-prozentigen Verringerung der Kohlenstoffemissionen für das gesamte Projekt führen. Die Technologie, die dem 3D-Druck zugrunde liegt, ist in vielen Wirtschaftszweigen, darunter in der Fertigung und in der Medizin, gut etabliert. Die ersten 3D-Drucker für den Bau kamen in den 2000er Jahren auf und wurden seitdem zur Erstellung von Häusern, Büros, Museen und sogar einer Brücke in Spanien eingesetzt. Das HS2-System – printfrastructure genannt – wird von den Bauunternehmen Costain, Skanska und der deutschen Strabag eingesetzt, die gemeinsam die untertunnelten Abschnitte zwischen dem Zentrum Londons und der Autobahn M25 bauen. Die 3D-Druckmaschine (Abb. 4) besteht aus einem fünf Tonnen schweren mobilen Roboterarm, der eine Reichweite von 3 x 3 m hat und nach einem vorgegebenen Programm Zeile für Zeile Betonstrukturen auslegt. Er wird zunächst für den Bau eines Teils der Stützmauer für die HS2-Hauptstrecke am Londoner Bahnhof Euston sowie für Materiallager eingesetzt, d. h. für temporäre Gebäude zur Lagerung von Baumaterialien. Die mikroskopisch kleinen Graphenstränge in dem von der Maschine verwendeten Beton sind nur einige Atome dick und ziehen sich durch den Beton wie Streifen in einem Bonbon. Graphen ist etwa 200 Mal stärker als Stahl, der normalerweise für Stahlbeton verwendet wird.

– Für eine antike italienische Stadt

Abb. 4: Roboterbau von Stahlbetonkonstruktionen für die  neue englische Eisenbahnlinie HS2 Abb. 4: Roboterbau von Stahlbetonkonstruktionen für die neue englische Eisenbahnlinie HS2 Italien ist, wie ich feststelle, die mehrtausendjährige Heimat von Beton. Im 20. Jahrhundert wurde der italienische Architekt und Ingenieur Pier Luigi Nervi weltweit führend in der Verwendung von Stahlbetondächern und -strukturen. Heute hat Venedig ein weiteres Wahrzeichen neben seinen gotischen Schätzen – eine Fußgängerbrücke, die von einem 3D-Roboterdrucker mit einer neuen Art von „Betontinte“ hergestellt wurde. Das Bauwerk mit dem Namen Striatus besteht aus mehreren großen Teilen. Jedes dieser Teile wurde von einem Roboter hergestellt, der einen speziell formulierten Beton durch eine Düse drückte, als ob er Zuckerguss auf einen Kuchen spritzen würde. Schicht für Schicht formt diese „Tinte“ eine dreidimensionale Form. Die etwa 16 Meter breite Brücke ist eine Zusammenarbeit zwischen dem Londoner Architekturbüro Zaha Hadid Architects und einer Gruppe von Forschern der ETH Zürich, einer Schweizer Universität. Sie hoffen, dass die Technik herkömmliche Bautechniken ersetzen wird. Anders als bei vielen Betonkonstruktionen gibt es keine Metallbewehrung. Den Erfindern zufolge könnte die Methode die Umweltauswirkungen des Baus verringern, da weniger Beton und weniger Stahl benötigt werden. Professor Philippe Block von der ETH Zürich sagte: „Diese präzise Methode des 3D-Betondrucks ermöglicht es uns, die Prinzipien des traditionellen Gewölbebaus mit der digitalen Betonherstellung zu kombinieren, um Material nur dort zu verwenden, wo es strukturell notwendig ist, ohne Abfall zu produzieren.“ Die Blöcke haben keinen Mörtel, der sie zusammenhält. Sie können demontiert und die Brücke an einem anderen Ort wieder zusammengesetzt werden. „Stärke entsteht durch Geometrie“, fügte Block hinzu. Wenn die Brücke nicht mehr benötigt wird, können die Materialien leicht getrennt und recycelt werden, so die Forscher. Shajay Bhooshan von Zaha Hadid Architects sagte, dass das Projekt historische architektonische Techniken und modernes computergestütztes Design vermischt habe. „Striatus steht auf den Schultern von Giganten“, sagte er. „Es lässt Techniken der Vergangenheit wieder aufleben und bringt die strukturelle Logik der 1600er Jahre in die Zukunft mit digitaler Berechnung, Ingenieurwesen und robotergestützter Fertigungstechnologie. Die Betontinte wurde von Holcim, einem großen Baustoffunternehmen, entwickelt. Jan Jenisch, Geschäftsführer des Unternehmens, sagte: „Es zeigt die unendlichen Möglichkeiten des 3D-Betondrucks, um nachhaltigere, schnellere und effektivere Gebäudestrukturen zu ermöglichen, ohne Kompromisse bei Ästhetik und Funktionalität.“ Dieses wunderbar anmutige Bauwerk, die erste Betonbrücke der Welt aus unbewehrtem Beton, wird noch bis November im Rahmen der Architekturbiennale in Venedig ausgestellt (siehe Abb. 5).

Abb. 5: Die neue Brücke in Venedig, gedruckt mit „Betontinte“Abb. 5: Die neue Brücke in Venedig, gedruckt mit „Betontinte“

Ein neues goldenes Zeitalter für die Luftfahrt?

Die Pandemie hat viele Unternehmen getroffen, aber nur wenige haben mehr gelitten als die Luftfahrtindustrie. Schließlich ist das Sitzen in einer Metallröhre, in der dieselbe Luft mehrere Stunden lang umgewälzt wird, nicht die beste Art, eine Covid-Infektion zu vermeiden. Aber abgesehen von der aktuellen Situation gibt es vielleicht hundert Unternehmen auf der ganzen Welt, die neue Luftfahrttechnologien entwickeln. Die wichtigste Frage ist natürlich, wie man am besten eine „grüne Luftfahrt“ schafft. Wir haben mehrere Möglichkeiten für den Antrieb von Flugzeugen: Batterien, Brennstoffzellen (mit Wasserstoff gespeist), die beide Propeller mit Elektromotoren antreiben, sind ein Weg. Dann Düsentriebwerke mit Biobrennstoffen oder Wasserstoff und schließlich konventionelle Motoren mit Biobrennstoffen oder Wasserstoff. Jede einzelne dieser Optionen ist nicht nur technisch möglich, sondern wurde auch bereits erfolgreich demonstriert. Ein weiterer Vorschlag ist die Herstellung von Brennstoffen aus Luft, wobei das CO2 aufgefangen und in einfache organische Verbindungen umgewandelt wird. Theoretisch bringt dies zwei Bonuspunkte – die Herstellung eines Brennstoffs und die Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre, aber die Thermodynamik eines solchen Prozesses ist grauenhaft!

Zurück in die Überschall-Ära

Abb. 6: Die Spike S-512 soll im Jahr 2022 fliegenAbb. 6: Die Spike S-512 soll im Jahr 2022 fliegenDer letzte Flug der Überschallmaschine Concorde ist fast 20 Jahre her. Jetzt steht eine neue Generation von Überschallflugzeugen in den Startlöchern. Spike Aircraft plant für nächstes Jahr den Erstflug seiner S-512. Dieses Flugzeug wird 18 Passagiere mit einer Geschwindigkeit von Mach 1,6 befördern und den Atlantik in weniger als 3 Stunden überqueren (Abb. 6). Virgin Galactic hat eine Vereinbarung mit Rolls-Royce unterzeichnet, um ein Flugzeug zu entwickeln, das mit Mach 3 (ca. 2700 km/h) noch schneller fliegen und 19 Passagiere befördern soll. Lockheed-Martin entwickelt seine X-59 QueSST, die einen wesentlich geringeren Überschallknall erzeugen soll. Das US-amerikanische Unternehmen Aerion Supersonic hingegen hat sein Überschallprojekt im Mai aufgegeben, da es nicht in der Lage war, die für die Fortsetzung des Projekts erforderlichen Mittel aufzubringen. Das gesamte Konzept des Überschallverkehrs ist höchst umstritten, da es in jeder Hinsicht das Gegenteil von „grün“ ist, und es ist nicht klar, ob die Regierungen den Flug solcher Flugzeuge zulassen werden, selbst wenn er technisch möglich wird.

Unterschallflug

Es gibt Dutzende, vielleicht Hunderte von Start-up-Unternehmen, die sich mit unterschiedlichen Technologien an verschiedene Märkte wenden. Dazu gehören konventionelle Starrflügler mit elektrisch angetriebenen Propellern, ähnliche Flugzeuge mit Hybridantrieb (elektrisch und Brennstoff), Flugzeuge mit Propellern, die nach dem Start die Richtung von der Vertikalen in die Horizontale ändern, und schließlich Dutzende von Lufttaxi-Konzepten mit einer Reichweite von vielleicht 30 km. Leider werden die meisten dieser Start-ups scheitern. Uber startete ein neues Unternehmen, Uber Elevate, verkaufte es aber letztes Jahr an Joby Aviation. Die Erfahrungen der letzten 50 Jahre sowohl auf dem Pkw- als auch auf dem Flugzeugmarkt zeigen deutlich: big is beautiful. Es ist absolut sicher, dass China eine Kraft auf diesem Markt sein wird. Russland dagegen wird es vielleicht nicht sein. In Bezug auf Pkw, Lkw, Flugzeuge und andere Bereiche ist die russische Technologie kaum in den Westen vorgedrungen. In dieser ganzen Situation kann man nur ein paar Momentaufnahmen ermöglichen, was ich versuchen werde.

Abb. 7: Der VA-X4 von Vertical Aviation mit geplantem Start im Jahr 2024 (© Foto: Vertical Aerospace)Abb. 7: Der VA-X4 von Vertical Aviation mit geplantem Start im Jahr 2024 (© Foto: Vertical Aerospace)Ein privates britisches Unternehmen mit ehrgeizigen Plänen für den Bau von elektrischen Flugtaxis steht kurz vor der Übernahme durch ein Blankoscheck-Unternehmen der Wall Street, das einen Wert von fast 2 Mrd. Dollar hat. Das in Bristol ansässige Unternehmen Vertical Aerospace befindet sich in fortgeschrittenen Gesprächen mit der Broadstone Acquisition Corp. Vertical wurde 2016 gegründet und entwickelt ein Flugzeug, das dank kippbarer Propeller wie ein Hubschrauber starten und landen, aber eher wie ein herkömmliches Flugzeug fliegen kann. Das Unternehmen behauptet, dass sein futuristisches VA-X4 (Abb. 7) vier Passagiere und einen Piloten befördern kann, sich nahezu geräuschlos mit mehr als 300 km/h bewegt und vollständig durch Batterien angetrieben wird. Eine Reise von London nach Brighton würde eine halbe Stunde dauern. Das Unternehmen hofft, dass die ersten Flugzeuge bis 2024 zugelassen und in Betrieb genommen werden können. Virgin Atlantic hat einen Auftrag über etwa 100 dieser Lufttaxis mit insgesamt ca. 1000 Vorbestellungen im Wert von 4 Mrd. Dollar. Auch Honeywell und Rolls- Royce sind an dem Projekt beteiligt. Das Interesse der Investoren an eVTOLs (elektrische Senkrechtstarter und -landefahrzeuge) hat in den letzten Jahren stark zugenommen, da sich die Batterietechnologie verbessert hat und die Dringlichkeit der Einhaltung von Emissionszielen wächst. Joby Aviation, Volocopter, Lilium und Archer entwickeln allesamt kommerziell nutzbare Fluggeräte.

Archer Aviation, ein weiteres amerikanisches Milliardenunternehmen, befindet sich in einem erbitterten Rechtsstreit mit Wisk Aviation wegen des Vorwurfs des Diebstahls von geistigem Eigentum. Der Fall wird vor einem US-Gericht verhandelt. Wisk ist ein weiteres milliardenschweres Unternehmen, das sich zum Teil im Besitz von Boeing und Kitty Hawk befindet. Es wird behauptet, dass das Archer-Flugzeug fast identisch mit dem von Wisk Aviation ist und dass dies kein Zufall sein kann. Die vier Unternehmen Vertica, Joby, Lilium und Wisk haben zusammen einen Börsenwert von 16 Milliarden Dollar, und laut der Bank Morgan Stanley wird die Branche bis 2040 einen Wert von 1,5 Billionen Dollar erreichen. Das neue Joby-Flugzeug (Abb. 8) hat ähnliche Leistungen wie die anderen Modelle, also Geschwindigkeit von 300 km/h, Reichweite ca. 220 km, 5 Sitzplätze. Das Unternehmen hat viele Großinvestoren einschl. Toyota. Wir haben Flugzeuge, Lufttaxis und einen vielleicht 70 Jahre alten Science-Fiction-Traum, den Pkw, der auch fliegen kann, mit Flügeln, die sich einklappen lassen, wenn es auf der Straße fährt. Es hat viele Versuche gegeben, ein solches Fahrzeug zu bauen, und fast alle sind gescheitert. Aber der Traum ist nicht tot. AirCar mit Sitz in Bratislava hat sein eigenes fliegendes Auto entwickelt (Abb. 9). Es wird von einem 160 PS starken BMW-Motor angetrieben und ist bereits 35 Minuten lang erfolgreich von Nitra nach Bratislava geflogen. Aber offensichtlich ist es nicht „grün“ und man muss sich fragen, ob es eine kommerzielle Zukunft hat.

 Abb. 8: Das neue Joby LufttaxiAbb. 8: Das neue Joby Lufttaxi

 Abb. 9: Das AirCar ist ein Pkw-Flugzeug Hybrid aus BratislavaAbb. 9: Das AirCar ist ein Pkw-Flugzeug Hybrid aus Bratislava

Paris hat Pläne für Lufttaxis

Paris-Besucher kennen das Problem nur zu gut. Taxis sind Mangelware, und wenn eines auftaucht, ist die Laune des Fahrers schlecht und der Stau macht es noch schlimmer. Mit Blick auf die Olympischen Spiele 2024 will die Flughafenbehörde Aéroports de Paris (ADP) eine Lösung finden, die es Touristen, die zu den Olympischen Spielen 2024 anreisen, ermöglicht, die Staus mit einem Flugtaxi zu umgehen. ADP hat sich bereit erklärt, in den nächsten 18 Monaten 10 Millionen Euro für den Bau eines Vertiports auszugeben, eines Flughafens für vertikal startende und landende Flugzeuge (VTOL), die vom europäischen Flugzeughersteller Airbus und der RATP, den Pariser Verkehrsbetrieben, entwickelt werden. Sie sollen versuchsweise entlang der bestehenden Hubschrauberkorridore vom Pariser Flughafen Charles de Gaulle aus fliegen. Diese Testflüge werden den Besuchern nicht viel nützen, da der erste Vertiport wahrscheinlich weit vom Stadtzentrum entfernt sein wird, was bedeutet, dass die Passagiere ihre Reise mit einem herkömmlichen Taxi beenden müssen, mit allen Verspätungen, die das mit sich bringt. Sollte der Testlauf jedoch erfolgreich verlaufen, wird ADP nach eigenen Angaben einen weiteren Vertiport im Norden von Paris in der Nähe des Stade de France, des Nationalstadions und der Standorte des olympischen Dorfes und des Schwimmbads für die Spiele 2024 bauen. Ziel ist es, alle sechs Minuten ein fliegendes Taxi vom Flughafen Charles de Gaulle starten zu lassen, das die Passagiere zum Zentrum der Olympischen Spiele bringt, und zwar zu einem Preis, der nach Schätzungen der RATP zwischen 20 und 60 Euro liegt und damit günstiger ist als ein gewöhnliches Taxi. Die genaue Beschaffenheit des Flugzeugs ist nicht bekannt, aber laut Airbus wird es sich wahrscheinlich um eine Mischung aus den beiden elektrisch angetriebenen VTOLs, dem einsitzigen Vahana und dem viersitzigen CityAirbus, handeln.

Die Taxis müssen die Sicherheitsvorschriften erfüllen und sich als finanziell tragfähig erweisen. Sie werden sich wahrscheinlich auch den Zorn der traditionellen Pariser Taxifahrer zuziehen. Auch die Pläne, bis 2024 eine Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen dem Flughafen Charles de Gaulle und dem Stadtzentrum zu bauen, sind auf politische Schwierigkeiten gestoßen. Daher wird die 1,8 Milliarden Euro teure Strecke wohl frühestens ein Jahr nach dem Ende der Olympischen Spiele fertiggestellt werden. Werden also Lufttaxis das Problem lösen?

Schlussbemerkungen

Einige Wissenschaftler argumentieren, dass diese Geräte, obwohl sie batteriebetrieben sind, nicht „grün“ sind, und zwar wegen der großen Energie, die erforderlich ist, um sie vielleicht 500 m in die Höhe zu heben. Professor Gregory Keoleian von der University of Michigan weist in einem Artikel in Nature Communications darauf hin, dass ihr CO2-Abdruck größer ist als der eines elektrischen Pkw. Für unsere Branche scheint es jedoch klar zu sein, dass diese Technologie genauso wichtig werden wird wie unsere derzeitige Arbeit mit der Autoindustrie, und wir sollten ihre zukünftige Bedeutung begreifen.

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 9
  • Jahr: 2021
  • Autoren: Dr. Anselm T. Kuhn

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