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Dienstag, 22 November 2022 10:59

Der Weg zum klimaneutralen Unternehmen

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Geschätzte Lesezeit: 5 - 9 Minuten
Bis Mitte des Jahrhunderts soll Deutschland weitgehend treibhausgasneutral werden. Das geht nur, wenn sich auch Unternehmen und Betriebe auf den Dekarbonisierungsweg machen Bis Mitte des Jahrhunderts soll Deutschland weitgehend treibhausgasneutral werden. Das geht nur, wenn sich auch Unternehmen und Betriebe auf den Dekarbonisierungsweg machen Foto: Adobe Stock

Die galvanotechnischen Betriebe leisten mit ihren Innovationen, wie neuartigen Oberflächen für Solarzellen, einen großen Beitrag für den Klimaschutz. Doch als energieintensive Betriebe müssen sie auch ihre eigenen Treibhausgasemissionen reduzieren. Was ist hierfür die richtige Strategie? Welche Maßnahmen sind sinnvoll? Und wofür gibt es Fördermittel?

Eine Frage stellt sich zuerst: Warum sollte das Unternehmen Anstrengungen für den Klimaschutz auf sich nehmen? Dafür sprechen viele Gründe. Neben dem naheliegendsten, nämlich der Notwendigkeit zu mehr Klimaschutz generell und dem wachsenden Bewusstsein darüber in der ganzen Gesellschaft, gibt es für Unternehmen zahlreiche weitere: Die meisten Maßnahmen tragen dazu bei, die Preis- und Versorgungssicherheit zu erhöhen. Und weil immer mehr Unternehmen beim Einkauf auf den CO2Fußabdruck der Produkte oder Dienstleistungen achten, dienen Klimaschutzmaßnahmen auch der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens. Hinzu kommen gesetzliche und regulatorische Vorgaben, wie das BEHG (Brennstoffemissionshandelsgesetz) mit der BECV (BEHG-Carbon-Leakage-Verordnung) oder die EU-Taxonomie, die den Ausstoß von Treibhausgasen stetig unattraktiver machen oder verteuern. Um Unternehmen den Umstieg zu erleichtern, stehen derzeit zahlreiche Fördermittel zur Verfügung. Deshalb ist es oft sinnvoll, jetzt zu beginnen, bevor Programme ausgeschöpft sind oder wieder geschlossen werden. Zu den wichtigsten für die Industrie gehört das EEW (Bundesförderung für Energie- und Ressourceneffizienz in der Wirtschaft). Dass damit zahlreiche Maßnahmen gefördert werden, ist weitgehend bekannt. Was viele noch nicht wissen: Es werden im Rahmen des EEW auch Transformationskonzepte gefördert. Die wichtigste Anforderung an ein solches Konzept ist ein Maßnahmenplan über zehn Jahre zur Reduktion der Scope-1- und Scope-2-Emissionen um mindestens 40 %. Für die Erstellung des Konzeptes können Unternehmen bis zu 80.000 Euro erhalten.

Mittels Reduktion, Substitution und Kompensation werden die CO2-Emissionen  stufenweise reduziert  Mittels Reduktion, Substitution und Kompensation werden die CO2-Emissionen stufenweise reduziert

Neben den großen Bundesförderungen gibt es auch viele auf Ebene der EU und der Bundesländer sowie von privaten Trägern, z. B. Fördervereinen. Die Entscheidung, welches Förderangebot gewählt wird, sollte jedoch sorgsam getroffen werden. Denn immer wieder gibt es mehrere Förderangebote für eine Maßnahme, manche lassen sich kombinieren, während sich andere ausschließen.

Individuelle Wege zum Ziel

Wie für Galvanotechnik-Unternehmen der ideale Dekarbonisierungsweg aussieht, also der Prozess zur Reduktion von CO2- bzw. Treibhausgas-Emissionen, lässt sich nicht pauschal sagen. Denn jedes Unternehmen startet mit seinen individuellen Gegebenheiten. Doch es gibt einige Fixpunkte, die grundsätzlich zu empfehlen sind.

Ein sinnvoller erster Schritt ist ein Workshop mit allen hierfür relevanten Personen. Dazu zählen auf jeden Fall die Geschäftsführung, der technische Leiter, der Energiemanager und die Fachbereichsleiter. Im Rahmen dieses Workshops können sie alle ihre Vorstellungen und ihr Know-how einbringen und gemeinsam Prioritäten setzen. Damit lassen sich später leichter sinnvolle Maßnahmen definieren, die auch eine breitere Unterstützung im Unternehmen finden. Zudem sollten die Teilnehmer das Reporting definieren und erste grobe Ziele festlegen. Die methodische und inhaltliche Begleitung durch einen unabhängigen externen Berater ist dabei hilfreich.

Daten bilden die Basis

Um den Weg zum Ziel bestimmen zu können, muss man den Startpunkt, also den Ist-Zustand, kennen. Nur wer weiß, wann und wo wieviel Energie verbraucht wird, kann Optimierungspotenziale erkennen, Maßnahmen priorisieren, ggf. nachjustieren und Erfolge messen.

Bei galvanotechnischen Unternehmen ist der Stromverbrauch ein entscheidender Faktor. Unternehmen mit ISO-50001-Zertifizierung verfügen meist schon über eine ausreichende Datenbasis und ein ausgeprägtes Energiemonitoring, mit denen sie ihre größten Verbraucher (SEUs, Significant Energy Use) identifizieren und KPIs (Key Performance Indicators) ableiten können.

Ist noch keine ausreichende Messtechnik vorhanden, die Daten in der erforderlichen Detailtiefe erfasst, empfiehlt sich die Installation eines Energiemonitoring-Systems. Idealerweise integriert sich das flexibel und herstellerneutral in die bestehende Hard- und Software. Dann kann bestehende Messtechnik weiter genutzt werden und auch aus anderen Unternehmenssystemen können Daten ins System einfließen. Die Software übersetzt die Messwerte und Daten in anschauliche Schaubilder und Berichte. Damit werden z. B. die größten Verbraucher, Stillstandsverluste und Lastspitzen sowie Korrelationen zwischen Verbrauch und externen Einflüssen sofort augenfällig.

Sinnvolle Kennzahlen definieren

Viele Verbrauchsdaten sind jedoch für sich allein wenig aussagekräftig, da sie von anderen Aspekten abhängen, z. B. vom Produktionsvolumen oder von der Temperatur. Deshalb ist es entscheidend, sinnvolle Kennziffern zu definieren. Für galvanotechnische Unternehmen kann das der Energieeinsatz pro galvanisiertem Quadratmeter sein. Auch die Betrachtung der Energiekosten im Verhältnis zu den Produktionskosten oder des Energieverbrauchs eines Prozesses im Verhältnis zum Gesamtenergieverbrauch oder zur Stückzahl kann interessante Erkenntnisse liefern.

Wichtig ist, sich schon vor der Installation von Messgeräten Gedanken zu machen, welche Kennziffern für das eigene Unternehmen relevant sind. Dann lässt sich dies im Messkonzept berücksichtigen, sodass die notwendigen Werte später auch vorliegen. Häufig sind auch Daten aus anderen Unternehmenssystemen (z. B. MDE/BDE, ERP) hierfür erforderlich. Lassen sich diese über Schnittstellen automatisiert in das Energiemanagementsystem aufnehmen, liegen die aktuellen Kennzahlen jederzeit automatisch vor.

Klimabilanz zeigt Fußabdruck

Im nächsten Schritt wird die Klimabilanz als Beschreibung des Ist-Zustands erstellt. Anerkannte Bilanzierungssysteme, z. B. das Greenhouse Gas Protocol, liefern den entsprechenden Rahmen. Dementsprechend sind alle Treibhausgas-Emissionen aus den verschiedenen Bereichen des Unternehmens aufzulisten und ggf. in CO2-Äquivalente umzurechnen. Damit liegt der aktuelle CO2-Fußabdruck des Unternehmens vor (Corporate Carbon Footprint). Aus diesem lässt sich auch der CO2Fußabdruck einzelner Produkte (Product Carbon Footprint) berechnen, den v. a. Großunternehmen immer häufiger von ihren Zulieferern fordern.

Ein Energiemanagement-System zeigt auf einen Blick die Energieströme und  Lastgänge, die größten Verbraucher und vieles mehrEin Energiemanagement-System zeigt auf einen Blick die Energieströme und Lastgänge, die größten Verbraucher und vieles mehr

Am einfachsten zu ermitteln sind die Emissionen, die das Unternehmen vor Ort verursacht (Scope 1). Sie werden durch die Daten aus dem Energiemanagement-System weitgehend abgedeckt. Scope 2 umfasst die leitungsgebundenen indirekten Emissionen, wie sie v. a. bei der externen Energieerzeugung bzw. -versorgung entstehen. Sie können in der Regel beim Energieversorger erfragt werden. Deutlich aufwändiger wird es bei Scope 3. Dazu gehören alle Emissionen, die entlang der Wertschöpfungskette verursacht werden, von den Rohmaterialien über die Nutzung bis zur Entsorgung des Produkts. Sie sind nicht nur schwieriger zu erfassen, sondern auch schwieriger zu beeinflussen. Deshalb bleiben sie häufig noch außen vor. Doch immer mehr und v. a. größere Unternehmen ermitteln auch ihre Scope-3-Emissionen und fragen deshalb bei ihren Lieferanten nach deren CO2-Fußabdruck oder geben CO2Grenzwerte vor.

Klimaziele benennen

Mit der Klimabilanz liegt der Ausgangspunkt für die Zielbestimmung vor. Dabei empfiehlt es sich, nicht nur festzulegen, bis wann das Unternehmen klimaneutral oder klimapositiv sein soll. Vielmehr ist es notwendig, sich auch Etappenziele zu setzen, z. B. eine Reduktion der CO2-Emissionen um 50 % bis 2030. So lässt sich leichter überprüfen, ob die Richtung stimmt oder ob nachjustiert werden muss.

Um die benannten Ziele zu erreichen, ist dann eine Roadmap mit geeigneten Maßnahmen aufzustellen. Hierfür geht man sinnvollerweise in drei großen Schritten vor: Man beginnt mit der Reduktion, dann folgt die Substitution und schließlich die Kompensation.

Reduktion

Zuerst gilt es, die Emissionen – also in erster Linie den Energieverbrauch – zu reduzieren. Bei Unternehmen der Galvanotechnik finden sich die größten Einsparpotenziale üblicherweise in der Produktion. Um sie zu heben, sind oft technische Maßnahmen nötig, etwa das Nachrüsten von Maschinen oder der Einsatz einer effizienteren Technologie. Doch nicht immer braucht es Technologien und / oder Investitionen. Die MVV Enamic GmbH aus Mannheim hat bereits viele Projekte durchgeführt, in denen Prozess- oder Verhaltensänderungen an der richtigen Stelle hohe Einsparungen gebracht haben.

Zudem sollte man hier weiterdenken: Emissionen lassen sich in unzähligen Bereichen reduzieren, sei es in den Unternehmensgebäuden mit Klimatisierung, Beleuchtung etc., in der Fahrzeugflotte sowie bei Geschäftsreisen durch den Umstieg vom Auto oder Flugzeug auf die Bahn. Auch die Sensibilisierung der Mitarbeitenden kann sehr große Effekte haben. Hierfür bieten die Auswertungen aus dem Energiemanagement oft eine gute Grundlage.

Substitution

Je mehr Reduktionsmaßnahmen ein Unternehmen durchgeführt hat, desto schwieriger wird es, den Energieeinsatz weiter zu reduzieren. Deshalb geht es im zweiten Schritt darum, den verbleibenden Energiebedarf möglichst kohlenstoffarm zu decken. Die einfachste Möglichkeit ist der Bezug von Grünstrom aus Erneuerbare-Energien-Anlagen (EE-Anlagen).

Es kann auch lohnend sein, erneuerbare Energie selbst vor Ort zu erzeugen, etwa mit einer eigenen PV- oder einer Biomasse-Anlage. Eine Alternative zum Kauf und Betrieb einer solchen Anlage ist ein PPA (Power Purchase Agreement). In diesem langfristigen Stromliefervertrag zwischen einem Stromproduzenten (Anlagenbetreiber) und einem Stromabnehmer (Unternehmen) wird geregelt, welche Strommenge der Betreiber aus einer EE-Anlage zu welchen Konditionen an das Unternehmen liefert. Damit sichert sich das Unternehmen Grünstrom und erhält langjährige Preis- und Versorgungssicherheit ohne eigene Investitionen und ohne sich um Betriebsführung und Instandhaltung der Anlage kümmern zu müssen.

Im Bereich der Wärme lässt sich die CO2-Bilanz durch einen sogenannten Fuel Switch verbessern, also den Wechsel zu klimafreundlicheren Primärenergieträgern wie Biomasse, eigene Reststoffe, Wasserstoff, Biomethan o. ä. Auch der Einsatz einer Wärmepumpe zur Nutzung von Abwärme oder zur Verknüpfung mit Kühlprozessen bietet eine effiziente Möglichkeit zur Dekarbonisierung, wenn diese mit erneuerbarem Strom betrieben wird. Im Rahmen der aktuellen Diskussionen zur Versorgungssicherheit kann ein Elektrodenkessel zur Erzeugung von Warm-/Heißwasser oder Dampf durch eine geschickte Sektorenkopplung eine sinnvolle Alternative sein. Die Wirtschaftlichkeit solcher Substitutionsmaßnahmen im Bereich der Wärmeversorgung hat sich durch die Einführung der CO2-Bepreisung von fossilen Energieträgern im Jahr 2021 noch erhöht. Auch gibt es hier zum Teil nennenswerte Fördermittel.

ZUR INFO

Geltungsbereiche (Scopes) in der Klimabilanz

Scope 1
umfasst alle direkten Treibhausgas-Emissionen, die aus der eigenen Geschäftstätigkeit eines Unternehmens resultieren, d. h. durch den Verbrauch von Primärenergieträgern und Prozessemissionen, die während des Produktionsvorgangs entstehen.

Scope 2
umfasst die indirekten Treibhausgas-Emissionen, die aus der Erzeugung der von einem Unternehmen beschafften Energie resultieren, die leitungsgebunden sind.

Scope 3
umfasst alle sonstigen indirekten Treibhausgas-Emissionen, die aus vor- und nachgelagerten Unternehmenstätigkeiten resultieren.

Kompensation

Auch mit Hilfe aller technisch und ökonomisch sinnvollen Maßnahmen lassen sich die CO2-Emissionen in der Regel nicht auf Null reduzieren. Um rechnerisch trotzdem klimaneutral zu werden, können Unternehmen diese Emissionen über Zertifikate kompensieren. In die Klimabilanz dürfen diese Kompensationsmaßnahmen zwar nicht einfließen, doch sie lassen sich in der Kommunikation nutzen, um gegenüber Kunden und Partnern sowie anderen Stakeholdern und der Öffentlichkeit das Klimaschutzengagement des Unternehmens deutlich zu machen.

Ein Kompensationszertifikat bescheinigt, dass eine bestimmte Menge an CO2-Emissionen durch ein Klimaschutz-Projekt eingespart wird. Das Unternehmen, das ein solches Zertifikat erwirbt, kann die Rahmenbedingungen und die Art des Projekts festlegen. Nach diesen Vorgaben sowie nach Preis und Verfügbarkeit wählen spezialisierte Dienstleister ein konkretes Kompensationsprojekt und kümmern sich um die Beschaffung und Entwertung der Zertifikate. Die Entwertung stellt sicher, dass das eingesparte CO2 bilanziell an den Käufer übergeht und nicht mehr zum Verkauf steht. Der Käufer erhält eine Lieferurkunde mit allen relevanten Informationen zur Neutralisation der CO2-Emissionen.

Galvanotechnik-Autor Jan Mehlberg hielt einen Vortrag zum Thema bei den Ulmer Gesprächen im Mai 2022.

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 11
  • Jahr: 2022
  • Autoren: Jan Mehlberg

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