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Montag, 24 Juli 2023 14:00

„Es geht nicht darum, die Wettbewerbsfähigkeit zu schwächen!“

von
Geschätzte Lesezeit: 8 - 16 Minuten
Der Finne Matti Vainio hat schon für die EU und die UNO gearbeitet und ist seit 2011 Referatsleiter für Risk Management bei der ECHA. Er leitet ein 27-köpfiges multidisziplinäres Team, das Analysen zur Sozioökonomie, zu Zulassungsanträgen und Alternativen von besorgniserregenden Stoffen koordiniert und Zulassungsanträge sowie Chemikalien-Substitutionen verantwortet Der Finne Matti Vainio hat schon für die EU und die UNO gearbeitet und ist seit 2011 Referatsleiter für Risk Management bei der ECHA. Er leitet ein 27-köpfiges multidisziplinäres Team, das Analysen zur Sozioökonomie, zu Zulassungsanträgen und Alternativen von besorgniserregenden Stoffen koordiniert und Zulassungsanträge sowie Chemikalien-Substitutionen verantwortet (Foto: ECHA)

Die Stimmung zwischen der Galvano- und Oberflächentechnik und der EU-Regulierungsbehörde ECHA ist seit dem Inkrafttreten der EU-Chemikalienverordnung REACh im Jahr 2007 angespannt. An der Behörde wird kein gutes Haar gelassen – ihr mitunter sogar die Absicht zur Deindustrialisierung unterstellt. Ein besonders wichtiger Einschnitt war bekanntlich die Entscheidung zur eingeschränkten Verwendung von Chromtrioxid. Die Galvano­technik suchte das Gespräch mit Matti Vainio, ECHA-Head of Risk Management, der die Zusammenarbeit mit der Branche seit längerem begleitet.

Im Interview gibt er Einblick in Entscheidungsprozesse und Ziele der Behörde und erklärt die Philosophie, auf der die Arbeit der ECHA aufbaut. Zudem liefert er einen Hinweis auf den jüngsten Grund zum Unmut in der Branche – der Annulierung des CTAK-Autorisierungsantrags von Chromtrioxid durch den Europäischen Gerichtshof, die einen Tag zuvor erfolgt war.

Herr Vainio, die Galvano- und Oberflächentechnik befindet sich seit Inkrafttreten der REACh-Verordnung in einem ständigen Wandel. Chrom(VI)-Beschichtungen werden soweit möglich durch Chrom(III)-Beschichtungen ersetzt. Auf viele Chemikalien wird inzwischen verzichtet, Prozesse mussten neu gestaltet werden. Das hat Zeit, Geld und Wettbewerbsfähigkeit gekostet. Wie sehen Sie das? Immerhin hängen von der Branche die Schicksale vieler Menschen ab – in Deutschland immerhin rund 50.000 Beschäftigte, darunter auch Zulieferer ...

Wir sind uns der Lage bewusst, die Sie beschrieben haben, und sehen auch den Wandel in den Zulassungsanträgen. Dieser Wandel hat die Unternehmen, aber auch die Behörden, Zeit und Geld gekostet. Es gibt auf unserer Website eine Publikation mit dem Namen „Socio-economic impacts of REACh authorisations“ (siehe Linksammlung) – eine aktuelle Veröffentlichung von 2021. Sie gibt einen Überblick über die Kosten und den Nutzen der weiteren Verwendung zulassungspflichtiger Stoffe. Ziel des Zulassungsverfahrens ist nicht das Verbot. Aus der Sicht der Antragsteller kostet ein Antrag auf Chemikalienzulassung zwar Geld, gibt ihnen aber auch die Möglichkeit, die Chemikalien weiterhin zu verwenden. Somit ist es eine Investition in die Kontinuität eines Unternehmens. Nach Ablauf der Zulassung kann das Unternehmen einen Überprüfungsbericht verfassen, um eine Verlängerung zu beantragen – auch das ist im Rah­men von REACh möglich. Unternehmen können also Chrom (VI) weiterverwenden, wenn sie gute Gründe dafür haben – technische Gründe, wirtschaftliche Gründe, oft auch beides! Wir wissen, dass insbesondere bei der Oberflächenbehandlung durch Verchromung das Geschäft von kleinen und mittleren Unternehmen dominiert wird und nicht von großen, wie es in der Chemieindustrie sonst üblich ist. Dies ist eine Besonderheit des Galvaniksektors. Auch die Lohnbeschichter, also Unternehmen, die nicht für sich selbst, sondern für andere arbeiten, sind eine wirtschaftliche Besonderheit. Wir haben deshalb den Dialog mit der deutschen Industrie gesucht, entweder direkt mit den Unternehmen oder mit Verbänden, um Berührungspunkte auszuloten. Ausserdem haben wir versucht, das Antragsverfahren im Rahmen des Gesetzes so transparent und effizient wie möglich zu gestalten. Die Unternehmen sollen wissen, was wir bei der ECHA machen: Wenn wir z. B. einen Antrag erhalten, geben wir einen detailierten Zeitplan vor, möglichst schon in der Woche nach Erhalten des Antrags. Was aber wichtig zu verstehen ist: ECHA entscheidet keine Zulassungsanträge, sondern erstellt ein Gutachten für die EU-Kommission, und dann liegt es an der Kommission einen Antrag gutzuheißen oder eben nicht. Bei der ECHA gestalten wir das Antragsverfahren so, dass es beide Seiten – Unternehmen und Behörde – so wenig Zeit und Geld wie möglich kostet. Wir sind uns aber bewusst, dass es für KMU schwieriger ist, solche Prozesse zu durchlaufen.

"Nickel steht im Verdacht, krebserregend zu sein"

Stichwort Chrom(VI): Hartverchromen ohne Chrom(VI) ist nicht möglich. Als Ersatz kann Chemisch Nickel verwendet werden. Nun befürchten aber viele deutsche Galvaniken, dass Nickel eines Tages auch durch REACh reguliert werden könnte. Nickel ist in der Galvanik so elementar wie Mehl für das Brotbacken. Können Sie den rund 1500 Galvanikbetrieben in Deutschland hier etwas Sicherheit geben?

Ich kann Ihnen sagen, was wir im Moment wissen. Nickel steht im Verdacht, krebserregend zu sein, fällt also nicht in die gleiche Kategorie wie die bekannten Karzinogene. Außerdem ist es ein Hautreizstoff, auf den Menschen allergisch reagieren. Aus diesem Grund gibt es einige Einschränkungen bei der Verwendung von Nickel und es ist möglich, dass in der Zukunft weitere dazukommen. Ich wiederhole noch einmal: die Verwendung von Chrom(VI) ist nicht verboten, sie ist jedoch zulassungspflichtig. Wenn man eine Zulassung erhält, kann man Chrom(VI) für die Dauer der Zulassung weiter verwenden. Zugegeben, das Zulassungssystem ist ziemlich schwerfällig, aber so wollte es das Europäische Parlament. Nickel ist momentan kein zulassungspflichtiger Stoff und steht auch nicht auf der so genannten Kandidatenliste. Aber natürlich ist der Verdacht schon eine Art Warnung. Um auf die Kandidatenliste zu gelangen, muss das von einem Mitgliedstaat oder der Kommission bei der ECHA beantragt werden. Dann gibt die ECHA eine Empfehlung an die Kommission ab, welche Stoffe aus der Kandidatenliste in den sogenannten Anhang XIV, also das Verzeichnis der zulassungspflichtigen Stoffe, aufgenommen werden sollen. Chromtrioxid befindet sich in diesem Anhang. Nickel steht wie gesagt auf keiner dieser Listen. Ich kann Ihnen nicht versichern, dass es nie dort aufgenommen wird. Aber zum jetzigen Zeitpunkt sind die Kriterien für eine Aufnahme in diesen Listen nicht erfüllt, und die Bewertung der beiden Stoffe ist sehr unterschiedlich. Dies wird sich erst mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen ändern.

Warum muss aus Ihrer Sicht überhaupt reguliert werden?

Die Stoffe, die beim Galvanisieren verwendet werden, sind ja niemals Weihwasser. Ich denke, jedes Unternehmen, das mit gefährlichen Stoffen arbeitet, sollte alles tun, um Risiken zu verringern. Wenn die Unternehmen hier proaktiv sind, haben sie gesunde Arbeitnehmer, einen guten Ruf und es ist gut für ihr Geschäft im Allgemeinen. Das Problem sind die kleineren Unternehmen, die nicht immer wissen, wie sie die zukünftige Produktion sicherstellen können. Dafür sind Informationen durch Verbände wie den ZVO und Zeitschriften wie die Galvanotechnik erforderlich.

Wie läuft ein Regulierungsverfahren bei der ECHA ab? Werden Studien konsultiert? Wird geprüft, wo die genehmigungspflichtigen Chemikalien eingesetzt werden und welche Folgen Einschränkungen für die Branchen haben können? Wie wird entschieden?

Wie schon angesprochen, muss ein Stoff zunächst in die Kandidatenliste aufgenommen werden, wie es auch bei Chromtrioxid gewesen ist. Die ECHA gibt eine Empfehlung an die Kommission ab, und nach einer Wartezeit wird der Stoff in Anhang XIV aufgenommen, woraufhin die Unternehmen eine Zulassung beantragen können. Anders sieht es aus wenn wir eine Beschränkung vornehmen. Dieses Verfahren wird gestartet wenn die Mitgliedstaaten oder die Kommission die ECHA auffordern, einen Vorschlag zur Beschränkung eines Stoffes einzureichen. Dann müssen die wissenschaftlichen Ausschüsse der ECHA zu dem Vorschlag eine Stellungnahme abgeben. Schließlich entscheidet die EU-Kommission. Das ist ein anderer Prozess als die Zulassung. Wir haben ein paar gemeinsame Grundsätze. Das eine ist Transparenz: Wann immer wir etwas tun, wird es zuerst im Ausschuss der Mitgliedsstaaten diskutiert. Wenn ein Stoff als krebserregend, Kategorie 1, eingestuft wird, kommt er per Gesetz automatisch auf die Kandidatenliste für zulassungspflichtige Stoffe. Erst kürzlich haben wir unsere Empfehlung für eine Erweiterung der Liste mit 12 Stoffen, darunter Blei, an die Kommission geschickt. Sie konsultiert die Mitgliedstaaten und das Parlament, bevor sie Stoffe in den Anhang XIV von REACh aufnimmt. Sobald ein Stoff auf diese Liste gelangt, gibt die ECHA-Website Aufschluss darüber, wie die Zulassung funktioniert. Bei einem Beschränkungsverfahren gibt es eine Konsultation sowohl des Vorschlags als auch der Gutachten der wissenschaftlichen Ausschüsse in der jedermann seine Ansichten mit der Agentur und ihren Gremien teilen kann. Kommentare und Antworten werden ebenfalls auf der Website veröffentlicht. Wenn die Mitgliedstaaten und die Kommission über einen Beschränkungsvorschlag entschieden haben und das Parlament keine Einwände gegen den Entscheid hat, wird eine neue Beschränkung in Anhang XVII der REACh-Verordnung aufgenommen.

"Wir haben der EU-Kommission 2015 empfohlen, Borsäure in den Anhang XIV aufzunehmen"

Borsäure ist seit mehr als 100 Jahren Bestandteil galvanischer Elektrolyte. In Galvanikbetrieben arbeiten Fachleute, die die Gefahren kennen und sich entsprechend schützen. Beschichtete Produkte sind nach der Galvanisierung unbedenklich. Könnte Borsäure nicht in einem solchen geschützten Rahmen weiterhin zugelassen werden?

Wir haben der EU-Kommission 2015 empfohlen, Borsäure in den Anhang XIV aufzunehmen. Im Moment befindet sich der Stoff in einem Warteverfahren. Er stand auf der Kandidatenliste, und das ist eine deutliche Warnung. Aber selbst wenn Borsäure in Anhang XIV von REACh aufgenommen wird, ist ihre Verwendung nicht verboten sondern zulassungspflichtig.

Ich möchte eine Frage hinzufügen: Warum nimmt die Kommission Stoffe in den Anhang XIV auf? Erstens: Es geht nicht darum, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu schwächen. Es geht darum, dass diese Stoffe sehr besorgniserregend sind. Sie sind entweder krebserzeugend, erbgutverändernd oder u. a. fruchtbarkeitsgefährdend. Das heißt, wenn es sich vermeiden lässt, sollte niemand mit diesen Stoffen in Berührung kommen. Aber wenn der Antragsteller genügend Beweise dafür vorlegt, dass es notwendig ist, diese Stoffe zu verwenden, kann er sie weiterhin einsetzen. Grundlage der Entscheidung für oder gegen eine Weiterverwendung ist zum einen ob der Nutzen der weiteren Verwendung größer ist als die damit verbundenen Risiken und zum anderen ob es geeignete Alternativen gibt.

"Es ist das erste Mal in der Welt, dass Chemikalien auf diese Weise reguliert werden"

Zweitens: Es ist das erste Mal in der Welt, dass Chemikalien auf diese Weise reguliert werden. Das Zulassungssystem ist immer noch relativ jung und wird in Europa erst seit etwa 10 Jahren angewandt. Das System ist leider ziemlich umfangreich geworden. Wir bekommen eine Menge Anträge. Das könnte verhindert werden, wenn der Prozess effizienter wäre. Das System selbst hat die Industrie aber bereits verändert und z. B. die Verwendung von Chrom viel sicherer gemacht. Das ist dem Zulassungsverfahren zu verdanken – wir haben die Industrie in die Pflicht genommen. Das ist es, was ich mit umfangreich meine. Die Anforderungen erscheinen vielleicht übertrieben. Aber das ist sehr wohl beabsichtigt, einschließlich der Substitution.

"Borsäure darf nicht ins Abwasser gelangen, weil es ein Reprotoxikum ist"

Bei den Alternativen zu Chemikalien, die heute verboten oder eingeschränkt sind, handelt es sich oft um stärkere Komplexbildner, bei denen sich neue Probleme bei der Abwasserbehandlung ergeben. Wie wägen Sie das ab?

Sie sprechen z. B. von Chrom(III) als Alternative zu Chrom(VI) in der dekorativen Galvanik, die ohne Borate nicht funktioniert. Das hat mit der Chemie und der Oberflächenglätte zu tun und wurde in unserem Galvanotechnik-Workshop im Februar dieses Jahres als potenzielles Problem erkannt. Borsäure darf nicht ins Abwasser gelangen, weil es ein Reprotoxikum ist. Natürlich ist es schwer zwischen einem Karzinogen und einem Reproduktionstoxikum abzuwägen. Aber das ist ein Problem, das erkannt worden ist. Wenn jemand der Meinung ist, dass er Chrom(VI) sicher und mit sehr geringer Exposition der Arbeiter verwenden kann und dann die Alternative hat, Chrom(III) mit Boraten zu verwenden, sollte er vielleicht eher bei Chrom(VI) bleiben. Das ist ein Argument, das wir in diesem Zusammenhang gehört haben. Ich hoffe, dass die Unternehmen mehr Lebenszyklusanalysen durchführen, um eine bessere Datengrundlage für Fälle wie diesen zu haben.

ZUR INFO

Linksammlung

  • Über die Kosten der Zulassung: Sozioökonomische Auswirkungen von REACh-Zulassungen

https://tinyurl.com/efbashx3

  • Zulassungsverfahren

https://echa.europa.eu/de/authorisation-process

  • Kandidatenliste der besonders besorgniserregenden Stoffe

https://echa.europa.eu/de/candidate-list-table

  • Verzeichnis der zulassungspflichtigen Stoffe

https://echa.europa.eu/de/authorisation-list

  • CTAC-Gerichtsurteil vom 20. April 2023

https://tinyurl.com/fa9fm9nu

Können Sie uns einen kurzen Eindruck davon geben, bei welchen galvanotechnisch rele­vanten Chemikalien von der ECHA noch Einschränkungen zu erwarten sind? Allein schon, um der Industrie eine gewisse Sicherheit zu geben. Es gibt ja schon Tendenzen, in andere Länder auszuweichen ...

Dieses Argument habe ich sehr oft gehört und ich habe mich sehr oft gefragt: gibt es dafür Beweise? Ich habe bisher nur wenig Hinweise gesehen, dass die Unternehmen tatsächlich abwandern. Ein KMU in Deutschland wird nicht einfach so schließen und nach China gehen, wenn es geeignete Alternativen für in der EU regulierte Stoffe gibt. Es könnte aus vielen Gründen schließen, z. B. weil es keine Zulassung beantragt hat, die es hätte bekommen können. Meine Sorge ist eher, dass neue Unternehmen, die nach Europa kommen wollen, von den Vorschriften abgeschreckt werden. In der Galvanotechnik haben wir z. B. die Firma Grohe – der Eigentümer ist Japaner. Die Firma hat überlegt, ob sie in Europa investieren soll oder nicht. Hier habe ich Anzeichen von Zurückhaltung bei den Investitionen gesehen. Das fällt für mich aber nicht unter Verlagerung. Unternehmen richten sich bei Investitionen in der Regel danach, ob sie nah am Markt sind und wie stark der Markt wächst. Es zählen also häufig andere Gründe als die Umweltvorschriften. Ich sehe nicht, dass wegen REACh und dem Zulassungsverfahren viele Unternehmen aus Europa in andere Länder abwandern.

Und was ist mit Chemieunternehmen, die die Produktion wichtiger Chemikalien in Europa einstellen? Kürzlich hörte ich, dass die REACh-Verordnung die Monopolisierung bestim­mter Chemikalien fördert. Was sich lohnt, wird weiterproduziert, was nicht, an an andere Standorte verlagert. Das hat in einem deutschen Galvanikunternehmen z. B. zu Engpässen bei einer Chemikalie geführt, so dass die Einführung eines chromsäurefreien Beizsystems massiv verzögert wurde.

Für die Unternehmen zählt der Gewinn, und wenn die Margen klein sind und es eine Regulierung gibt, dann hat es natürlich Auswirkungen, wenn eine kaum profitable Chemikalie auch eine Zulassung braucht. Für das Chemie­unternehmen ist es leicht, die Produkton einer Chemikalie einzustellen, aber für die nachgeschalteten Anwender könnte es kritisch sein, weil die Chemikalie in Europa dann nicht mehr vertrieben wird. Ich habe einen ökonomischen Hintergrund und glaube daher nicht, dass dies ein besonders großes Problem darstellt. Wir müssen in Finnland ja auch keine Bananen anbauen, sondern können sie importieren. Auf einem anderen Blatt stehen Abhängigkeiten, wie wir sie mit dem russischen Gas hatten. Um zu den Monopolen zurück zu kommen: In Europa haben wir noch andere Regulierungsbehörden, die ziemlich rücksichtslos gegen Kartelle und Monopole vorgehen. Wenn es Tendenzen zur Monopolisierung gibt, sollte die deutsche Wettbewerbsbehörde handeln. Die Entscheidung, die Produktion der Chemikalie in Deutschland oder Europa aufgrund einer geringen Gewinnspanne einzustellen, hätte auch ohne REACh geschehen können. REACh hat es erforderlich gemacht, Daten über alle Chemikalien zu liefern. Vorher war dies nicht notwendig, und das war eine große Veränderung. Alle Unternehmen, die Chemikalien in Mengen über einer Tonne pro Jahr in die EU importieren oder sie hier herstellen, müssen sich registrieren lassen. Diese Unternehmen arbeiten regelmäßig mit der ECHA zusammen, und das ist sehr wichtig. Sie sind gesetzlich verpflichtet, regelmäßig Tests vorzulegen. Viele Länder in der Welt sehen Europa bei seiner Chemikaliengesetzgebung als Maßstab. Südkorea hat z. B. ein ähnliches System.

Was können die von REACh betroffenen Industriebranchen tun, um ihren Fortbestand zu sichern?

Sie können sich an REACh halten und zugleich transparent miteinander und mit den Industrieverbänden in Deutschland zusammenarbeiten und Lösungen finden. Verweigerung macht wenig Sinn. Denn Industrie und Regulierungsbehörden haben schlussendlich ähnliche Interessen – die sichere Verwendung von Chemikalien, um den Wohlstand in Europa zu sichern, ohne die Bürger und Bürgerinnen und die Natur unnötigen Risiken auszusetzen.

"Die EU braucht eine starke industrielle Basis"

Wie sehen Sie persönlich die Zukunft der europäischen Industrie, die ja in hohem Maße von den REACh-Vorschriften betroffen ist?

Die EU braucht eine starke industrielle Basis, die wirtschaftlich und ökologisch nachhaltig ist. Die Aufgabe der ECHA besteht darin, die Bedenken hinsichtlich Gesundheit und Umwelt in angemessener Weise zu berücksichtigen. Sie muss die verschiedenen Interessen in einem rechtlichen Kontext gut ausbalancieren. Der Kontext ist manchmal nicht so klar, aber die Regulierungsbehörden versuchen, ihn so deutlich wie möglich zu machen. Die europäischen Vorschriften sind im Vergleich zu den USA – nicht zu Japan oder Kanada – oft recht streng. Unternehmen, die unter strengen Bedingungen arbeiten, sind für den Weltmarkt gewappnet und wettbewerbsfähig, weil sie saubere und ethisch besser produzierte Produkte herstellen. Sie können auch resilienter sein. Deshalb ist der Dialog zwischen den Regulierungsbehörden und der Industrie so wichtig. Denn dann kann die Regulierung verhältnismäßig sein. Auf diese Weise können wir in Zukunft eine bessere Regulierung erreichen – gemeinsam mit der Industrie, den Nichtregierungsorganisationen und den Regulierungsbehörden.

"Nach derzeitigem Stand muss die Verzinkung mit Chromtrioxid von allen Unternehmen, die keine eigene Zulassung haben oder durch eine andere Zulassung abgedeckt sind, eingestellt werden"

Eine Sache muss ich noch ansprechen. Der Europäische Gerichtshof hat gestern (20.4.2023, die Red.) in einem sehr wichtigen Fall über die Zulassung des CTAC-Konsortiums (Chromtrioxid-Antragskommission) für unterschiedliche Verwendungen von Chromtrioxid entschieden. Das Europäische Parlament und die EU-Kommission hatten das Gericht um ein Urteil gebeten. Das Gericht hat die bisherige Entscheidung der Kommission für nichtig erklärt, was heißt, dass die erteilte Zulassung für ungültig erklärt wurde. Nach derzeitigem Stand muss daher die Verzinkung mit Chromtrioxid von allen Unternehmen, welche keine eigene Zulassung haben oder durch eine andere Zulassung abgedeckt sind, eingestellt werden (tritt ein Jahr nach der Urteilsverkündung in Kraft, die Red.). Was die Kommission jetzt macht, ist nicht klar. Was sind die Konsequenzen für die deutsche Wirtschaft? Chromtrioxid kann immer noch zugelassen werden. Das Urteil wird sicher ein Nachspiel haben, aber die ECHA kann keinen weiteren Kommentar zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs abgeben.

Herr Vainio, vielen Dank für das Gespräch.

 

ZUR INFO

(Foto: ECHA)(Foto: ECHA)Europäische Chemikalienagentur (ECHA) in Helsinki (Bild rechts)

  • Mitarbeiterzahl: 600 aus 28 verschiedenen Ländern
  • Abteilungen: Sechs Direktionen mit 24 Referaten sowie vier Ausschüsse und das Forum für Durchsetzung, das Leitlinien, Schulungen und technische Unterstützung für die Umsetzung der Chemikaliengesetzgebung in den EU-Mitgliedsstaaten bereitstellt. Die Aufgaben der verschiedenen Referate reichen u. a. von Förderung und Durchsetzung über Kommunikation, Chemie und Lieferketten bis zu Gefahrstoffen, Risk Management und Finanzierung.
  • Entscheidungen über: Stoffregistrierung und -Bewertung, Aufnahme von Stoffen in die Kandidatenliste für besonders besorgniserregende Stoffe, gemeinsame Nutzung von Bioziddaten.
  • Wissenschaftliche Ausschüsse nehmen Stellung zu: Zulassungsanträgen, Einschränkungen durch REACh (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals), harmonisierte Einstufung und Kennzeichnung im Rahmen von CLP (Regulation on Classification, Labelling and Packaging of Substances and Mixtures) und für Zulassungen im Rahmen der Biozidverordnung. Der Ausschuss der ECHA-Mitgliedstaaten äußert sich zu den Empfehlungen der ECHA für die Aufnahme von Stoffen in das REACh-Zulassungsverzeichnis – die Entscheidung wird letztendlich von der Kommission getroffen. Die Stellungnahmen dienen EU-Kommission und Mitgliedsstaaten bei der Entscheidungsfindung.
  • Verflechtung in der EU: Die ECHA ist durch Berichtspflicht, Ausschussarbeit, Bereitstellung von Expertise u. v. m. eng mit dem Europäischen Parlament und der EU-Kommission verknüpft.
  • Kooperation mit Mitgliedsstaaten: Mitgliedsstaaten müssen der ECHA zahlreiche Informationen (z. B. Verwendung von Chemikalien) zur Verfügung stellen. Auch bei der Stoffregistrierung wird eng zusammengearbeitet. Wie die EU-Kommission haben die Mitgliedsstaaten das Recht, die Beschränkung von Stoffen zu fordern (laut Matti Vainio ging die Initiative zur Beschränkung von Bor und Chrom von Deutschland aus). Die Durchsetzung der Chemikalienvorschriften obliegt den jeweiligen EU-Mitgliedsstaaten, die dafür mit dem Forum für Durchsetzung (Enforcement Forum) zusammenarbeiten.

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 7
  • Jahr: 2023
  • Autoren: Robert Piterek

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