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Mittwoch, 07 Februar 2024 12:00

Nachhaltigkeit beim Beschichten: Neuer Standard?– Teil 1

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Geschätzte Lesezeit: 5 - 9 Minuten
Abb. 1: Vor allem die Automobilindustrie ist an biobasierten Lacken interessiert   Abb. 1: Vor allem die Automobilindustrie ist an biobasierten Lacken interessiert stock.adobe.com/marco

Der Begriff der „Nachhaltigkeit“ ist zu einem gesellschaftspolitischen Thema geworden. Dieser Aufsatz klärt aus der Sicht eines Beraters der Chemieindustrie, ob es sich um einen neuen Standard oder nur einen Hype handelt. Natürlich sollte bei der Entwicklung nachhaltiger Lösungen keine Rede von Hype sein. Allerdings bedarf es einer Orientierungshilfe, da es sich beim Begriff Nachhaltigkeit um etwas nicht genau Definiertes handelt. Vielmehr sollten nachhaltige Lösungen die Wissenschaft, die Industrie und die Gesellschaft weiterbringen.

Ein Blick auf die Zielvorgaben der Länder zeigt die Entwicklung und die steigende Relevanz des Themas. Die Europäische Union hat das Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden. Dies bedeutet, dass die Treibhausgasemissionen in der EU so weit reduziert werden sollen, dass sie nicht mehr als die Menge betragen, die natürliche Senken aufnehmen können. Die EU hat auch das Zwischenziel, bis 2030 die Treibhausgasemissionen um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Referenzjahr 1990 zu reduzieren.

Ziele und Zwischenziele unterschiedlich

China hat angekündigt, bis zum Jahr 2060 klimaneutral zu werden und will seine Treibhausgasemissionen nicht nur stark reduzieren, wird aber möglicherweise negative Emissionstechnologien nutzen. Bis zum Jahr 2030 hat China das Ziel, den Höhepunkt der CO2-Emissionen zu erreichen und den Anteil der nicht-fossilen Energiequellen am Energiemix zu erhöhen. Unter der Regierung von Präsident Joe Biden hat die USA das Ziel angekündigt, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu werden. Das genaue Reduktionsziel für 2030 wurde im April 2021 angekündigt: Treibhausgasemissionen um 50-52 Prozent gegenüber dem Referenzjahr 2005 zu reduzieren.

Der Anteil der Länder, die sich zu Netto-Null-Emissionen verpflichtet haben, ist, gemessen an weltweiten Emissionen, von weniger als 10 Prozent auf 95 Prozent gestiegen. Auch die weltweit tätigen Unternehmen verfolgen mehrere Ziele im Bereich der Nachhaltigkeit. IKEA beispielsweise hat sich das Ziel gesetzt, bis 2030 klimapositiv zu sein. Die Firma möchte ihre eigenen Betriebsabläufe sowie die gesamte Lieferkette nachhaltiger gestalten, um dies zu erreichen. Das Unternehmen setzt verstärkt auf erneuerbare Energien und investiert in Windparks und Solarenergie. Zudem strebt IKEA danach, seine Ressourcen effizienter zu nutzen. AkzoNobel hat ebenfalls ehrgeizige Ziele bezüglich der Nachhaltigkeit. Das Unternehmen verfolgt das Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein. Die Firma strebt an, ihre CO2-Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu reduzieren und verstärkt erneuerbare Energien einzusetzen. Ein weiteres und sehr wichtiges Ziel des Unternehmens ist das effiziente Wassermanagement, um den Wasserverbrauch zu reduzieren und die Wasserqualität zu erhalten.

Sogar Netto-Null-Emissionen peilen viele Länder an

Ein drittes Beispiel ist die BASF, die wie AkzoNobel das Ziel verfolgt, bis 2050 klimaneutral zu sein und plant, bis 2030 ihre CO2-Emissionen um 25 Prozent im Vergleich zu 2018 zu senken. Zudem engagiert sich die Firma sich für den verantwortungsvollen Umgang mit Wasser und den Schutz der Biodiversität ein (Abbildung 2).Abb. 2: Drei Firmen, drei Ziele: IKEA, Akzo Nobel und BASF definieren den Weg zur Klimaneutralität

Alle drei genannten Unternehmen verfolgen das Ziel der Kreislaufwirtschaft und wollen Produkte entwickeln, die einerseits länger halten und andererseits reparierbar und recyclebar sind. Zudem wollen die Unternehmen ihre Abfälle reduzieren.

Die drei Beispiele zeigen, dass die Branche bemüht ist, nachhaltiger zu werden und die Klimaneutralität zu erreichen. Auch sind Themen wie eine Kreislaufwirtschaft, das Recycling, die Abfallreduzierung und ein effizientes Wassermanagement präsent und für die führenden Unternehmen wichtig.

Auch BlackRock, das größte Vermögensverwaltungsunternehmen der Welt, welches mehr als 10 Billionen Dollar verwaltet, ist sich der Verantwortung bewusst. Das Unternehmen hat in den letzten Jahren verstärkt Maßnahmen im Bereich der Nachhaltigkeit ergriffen – es hat das Ziel, den Klimawandel durch ihre Investitionen nachhaltig anzugehen. Als großer Aktionär vieler Unternehmen nimmt BlackRock die Verantwortung wahr, auf Unternehmensebene Einfluss zu nehmen. Die Firma setzt sich dafür ein, dass ihre Beteiligungen eine nachhaltige Unternehmensführung und Offenlegung von ESG-Daten umsetzen. BlackRock betont die Bedeutung von unabhängigen und kompetenten Aufsichtsräten sowie transparenter Geschäftsführung. Außerdem hat sich BlackRock verpflichtet, Unternehmen dazu zu ermutigen, ihre Klimarisiken offenzulegen und eine nachhaltige Geschäftspraxis zu verfolgen.

Die zunehmende Bedeutung von biobasierten Rohstoffen wird durch eine Studie der European Coatings eindrucksvoll gezeigt (Grafik 1). In Grafik 1 links wird von European Coatings gezeigt, wie die Marktteilnehmer die biobasierten Rohstoffe beurteilen; praktisch alle sehen die steigende Bedeutung einer neuen Rohstoffklasse.gt 2024 01 056Grafik 1: Die linke Seite zeigt die Beurteilung biobasierter Rohstoffe durch den Markt. Rechts zeigt die Rohstoffe, die am ehesten durch biobasierte Stoffe ersetzt werden sollten

Daraus leiten sich folgende Fragen ab:

  • Wie definiert man nachhaltige Rohstoffe?
  • Redet man von Molekülen, die bei ihrer Herstellung die Massenbilanz zugrunde gelegt haben; sind es möglicherweise recycelte Stoffe; basieren sie eventuell auf depolymerisierten Makromolekülen?
  • Was ist biobasiert und wie soll der Nachweis der Biobasierbarkeit erfolgen?
  • Sind es Selbstdeklarationen; benötigt es einer beschleunigten Massenspektrometrie, die den C14 Anteil zeigt?
  • Welchen Bio-Anteil muss ein Rohstoff oder Produkt haben, um sich biobasiert nennen zu dürfen?

Definition der Begriffe grün, bio oder nachhaltig dringend nötig

Im weiteren Teil der European Coatings Umfrage (Grafik 1 rechts) wurden die Teilnehmer nach der Klasse der Rohstoffe gefragt, die das größte Potenzial bezüglich der Biobasierbarkeit hat. Es ist nicht sehr überraschend, dass unisono das Bindemittel, gefolgt von Additiven genannt wurde – es handelt sich in beiden Fällen um organische Verbindungen. Wichtig ist vor allem die Schaffung einer Orientierungshilfe. Hier sind neben der Industrie auch die Wissenschaft, die Verbände und die Politik gefordert. Nur so wird es einen fairen Wettbewerb geben können, ohne dass die Verbraucher in die Irre geführt werden.

Moderne Farben- und Lackrezepturen

Um wässrige Dispersionsfarben und Lacke zu formulieren wurden in der Vergangenheit oft wässrige Polymerdispersionen mit hohen Glasübergangstemperaturen (Tg) hergestellt. Die daraus resultierenden Mindestfilm-Bildetemperaturen (MFT) waren ebenfalls hoch. Um die Bindemittel auch bei kälteren Temperaturen nahe 0 °C einsetzen zu können, musste man Koaleszenzmittel (also Lösemittel) einsetzen. Heute werden die Koaleszenzmittel dank der inneren Plastifizierung der Polymere sowie einer ausgeklügelten Technologie, die meist als core-shell oder power-feed bezeichnet wird, immer weniger gebraucht. Auf den Einsatz der Alkylphenolethoxylate, des Ammoniaks bei der Neutralisation und des Formaldehyds, wird meist verzichtet. Durch die effiziente Reaktionsführung so wie die reinen Monomere werden auch die letzten Monomermoleküle in die Polymerkette eingebaut, sodass der Gehalt an freien Restmonomeren und flüchtigen organischen Substanzen sehr niedrig ist.

Die starke biozide Ausrüstung der wässrigen Dispersionen hat in der Vergangenheit teilweise Allergien hervorgerufen. Die Industrie versucht, auf Allergene zu verzichten und diese mit anderen Stoffen zu ersetzen oder aber komplett auf sie zu verzichten und – dort wo es möglich ist – auf konservierungsfreie Systeme umzustellen.

Der Einsatz von sehr leistungsfähigen Komponenten von Lacken und Farben bringt nicht nur qualitative Vorteile: Auch die Nachhaltigkeit von Beschichtungen, die leistungsfähigere Komponenten enthalten, profitiert. Man kann es sich so vorstellen: Wenn ein optimal nachbehandeltes Titandioxiteilchen gut von einem leistungsfähigen Bindemittel benetzt wird, bringt das ein besseres Kontrastverhältnis und besseren Abrieb, oder aber einen besseren Glanz der Beschichtung, auch dann, wenn man weniger Titandioxid und weniger Bindemittel einsetzt. Das ist nachhaltig.

Die Stimmen der Verbraucher und Hersteller

Der heutige Verbraucher ist gut informiert, er ist offen für neue nachhaltige Lösungen und ihm ist bewusst, dass wir alle zu der Entwicklung beitragen müssen. Da der Begriff Bio sehr dehnbar sein kann, fragen die Verbraucher nach einem Orientierungsrahmen: „Wie viel Bio muss ein Produkt erhalten, damit es so genannt werden darf?“ Es wird individuell interpretiert, teilweise sind die Definitionen nicht konsistent.

Die Produzenten scheinen konkrete Vorstellungen zu haben: Wenn sie „bio-basiert“ meinen, streben sie mindestens 50 Prozent Bio-Anteil im Rohstoff an. Das resultiert auch daraus, dass momentan nur wenige Stoffe zu 100 Prozent biobasiert synthetisierbar sind.

Die Anwender stehen biobasierten Produkten offen gegenüber

Bis vor Kurzem sagten die Abnehmer, dass die Rohstoffe keinen preislichen Aufschlag, verglichen mit den petrobasierten Stoffen, haben dürfen. Dies ändert sich allmählich. Und so werden mittlerweile 20 Prozent höhere Preise für biobasierte Rohstoffe akzeptiert. Es ist nicht auszuschließen, dass die akzeptierte Zahl in naher Zukunft höher liegen wird. Grundsätzlich ist zu beobachten, dass Endkonsument und Produkt-Inverkehrbringer sich zunehmend mit dem Thema der nachhaltigen Entwicklung beschäftigen und offen für neue Wege sind.

Bei der Diskussion darf man das oft angebrachte Argument „Teller statt Tank“ nicht außer Acht lassen. Es ist wichtig, dass die zugrunde liegenden Rohstoffe eher aus den biobasierten Abfällen kommen und dafür nichts extra angebaut werden muss.

Interessante Anwendung für bio-basierte Bindemittel: Die Anwendungen nachhaltigerer Bindemittel haben ein breites Anwendungsspektrum und finden praktisch in allen Bereichen Verwendung, in denen derzeit petrochemische Bindemittel eingesetzt werden. Besonders groß ist das Interesse in der Möbelindustrie, bei der Herstellung von Bodenbeschichtungen und der Entwicklung moderner Bautenfarben. Das Interesse der Möbellackindustrie ist nicht überraschend, IKEA hat mehrere Ziele formuliert, die zu einer nachhaltigeren Produktion führen sollen. Die Zulieferindustrie ist bestrebt, diese Vorgaben zu erfüllen, wodurch die gesamte Lieferkette intensiv an biobasierten Lösungen forscht.

Auch in den Bereichen OEM-Lacke, Textilbeschichtungen und Druckfarben wird intensiv an nachhaltigen Lösungen gearbeitet. Weitere Marktsegmente, die an nachhaltigen Lösungen interessiert sind, sind die Bauchemie und die Papierindustrie.

Biobasierte Bausteine auf dem Markt

Seit Jahren arbeitet die Automobilindustrie mit sehr stabilen Methacrylaten wie Isobornylmethacrylat. Die Langlebigkeit, die Wetterbeständigkeit und die Glanzhaltung sind nur einige positive Eigenschaften des Monomers. Seine Besonderheit: es wird aus Isoborneol, also aus einem nativen Stoff biobasierten Ursprungs gewonnen. Obwohl es seit Jahren auf dem Markt ist, finden die Anwender neue Verwendungszwecke, speziell wenn die Biobasierbarkeit gefragt ist. Großes Interesse auf dem Markt weckt das 2-Octylacrylat. Das biobasierte Monomer hat das Potenzial, das petrobasierte 2-Ethylhexylacrylat zu ersetzen. Es bleibt festzuhalten: Wenn es gewünscht wird, kann man mittels Emulsionspolymerisation schon heute Bindemittel herstellen, die überwiegend auf Biorohstoffen basieren. Die Anwendungstechnik zeigt, dass keine Nachteile im Vergleich zu den petrobasierten Polymeren entstehen müssen.

Auch biobasierte Stoffe dürfen keine Funktionsmängel aufweisen

Die Acrylat- bzw. Methacrylatsäurester sind nur zu maximal 72 Prozent biobasiert. Das liegt daran, dass die zur Herstellung der genannten Monomere benutzten Acryl- bzw. Methacrylsäure auf den petrobasierten Chemikalien basieren. Wichtig zu betonen ist, dass es vielversprechende Anstrengungen gibt, die als Ziel die Herstellung der beiden Säuren aus Biomaterialien haben. Es ist nur die Frage der Zeit, bis ein betriebswirtschaftlich-ökonomischer Prozess verfügbar ist. Ein weiterer Baustein ist Bernsteinsäure, die durch Fermentation aus Kohlenhydraten, insbesondere aus Stärke und verschiedenen Oligosacchariden, hergestellt werden kann. Dabei wird das natürliche Vorkommen von Bernsteinsäure im Stoffwechsel genutzt, um gezielt Mikroorganismen einzusetzen, die sie produzieren können. Es gibt mittlerweile Anlagen, die für technische Anwendungen in der biotechnologischen Bernsteinsäureproduktion eingesetzt werden.

BASF bietet 1,4-Butandiol (BDO) aus nachwachsenden Rohstoffen an. Die Bioproduktion basiert auf einem patentierten Verfahren des Unternehmens Genomatica mit Sitz in Kalifornien. Dabei wird die nachwachsende Dextrose in einem Fermentationsprozess in ein Stoffgemisch umgewandelt, aus dem das 1,4-Butandiol isoliert wird.

Das innovative und neue Pentamethylen-Diisocyanat (PDI) von Covestro besteht zu 70 Prozent aus Kohlenstoff, der aus Biomasse gewonnen wird, ohne dass es in direkter Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion steht. PDI bietet Herstellern eine Härterkomponente auf Basis nachwachsender Rohstoffe und eine verbesserte Kohlenstoffbilanz, was ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal darstellt. – wird fortgesetzt –

 

 

Weitere Informationen

  • Jahr: 2024
  • Autoren: Anton Solich

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