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Mittwoch, 31 Januar 2024 12:00

Drei fragen an ... Dr. Malte M. Zimmer

von
Geschätzte Lesezeit: 2 - 4 Minuten

Dr. Malte M. Zimmer, ZVO-Ressortleiter Umwelt- & Chemikalienpolitik und Präsident des europäischen Oberflächenverbands CETS; Interview: Robert Piterek

Dr. Zimmer, bei einem Treffen in Brüssel forderte die Branche: „Gebt uns Regularien, denen wir folgen können“. Was ist genau passiert?

Ursache dieser Forderung ist, dass man seit der Ära von der Leyen von einem regelrechten Regulierungstsunami sprechen kann. Die Regulationen beeinträchtigen sich gegenseitig, widersprechen sich teilweise und haben eine kurze Halbwertszeit. Treten Probleme bei der Umsetzung auf, sind Anpassungen schnell bei der Hand. Die Regulierungen beeinträchtigen die Planungssicherheit für Unternehmen bei Investitionen, denn sie sind einerseits zu weit gefasst, z. B. der PFAS-Beschränkungsvorschlag, andererseits greifen sie tief in Details der Anwendungen, wie bei den Autorisierungen von Chromtrioxid, ein. So kommt es zu einem regelrechten Mikromanagement. Darüber hinaus wird, falls nicht sofort verboten, mit Übergangsfristen gearbeitet, die vollkommen willkürlich festgelegt sind. Zu guter Letzt kommt noch die allzeit bekannte Schwäche des Systems hinzu: die Bürokratie. Unzählige Berichtspflichten, zahllose Rückfragen, Online-Meetings, öffentliche Konsultationen, unklare Zuständigkeiten, endlose Netze von Gremien. Die schiere Größe des bürokratischen Apparates überfordert die Kapazitäten der Unternehmen, besonders der KMUs.

»EU-Substitutionsdogma ist in seiner Absolutheit weltweit einmalig«

Was läuft im Einzelnen falsch?

ParacelsusParacelsusEs fängt damit an, dass in der Chemikalienregulierung ein völlig falscher Ansatz etabliert wurde – der gefahrenbasierte Ansatz. Substanzen mit gefährlichen Eigenschaften müssen gebannt und ersetzt werden. Das ist ein europäisches Substitutionsdogma, das in dieser Absolutheit weltweit einmalig ist. Wobei einmalig eher negativ zu bewerten ist. Denn bereits Paracelsus wusste, dass nicht die reine Existenz, sondern die Dosis über die Wirkung entscheidet. Dazu kommt, dass Regulierungen nebeneinander laufen, wie die europäische Arbeitsplatzgesetzgebung, die Autorisierung und die angedachte Restriktion von Chromtrioxid und der parallele BREF-Prozess zur Ermittlung der besten verfügbaren Technologien. Alle verwenden unterschiedliche Ansätze, eine enorme Bürokratie und enden in verschiedenen Vorgaben – auch Grenzwerten – für gleiche Verwendungen. Und dann soll noch der „essential use“ Ansatz gewählt werden – d. h. irgendwer entscheidet, was für die Gesellschaft und damit jeden Einzelnen notwendig ist. Das könnte eine sehr willkürliche, undemokratische Angelegenheit werden. Letzteres erscheint umso bedrohlicher, wenn man weiss, dass viele EU-Bearbeiter wenig bis nichts von der jeweiligen Technologie und den Marktgegebenheiten wissen. Auch genannt werden muss die hauptsächlich verwendete Sprache in der EU. Englisch scheint als Weltsprache eine gute Wahl zu sein. Doch nur noch ca. 5 von 450 Mio EU-Bürgern sind darin Muttersprachler – da sind Fehlentwicklungen und Missverständnisse vorprogrammiert. Zuletzt ein Hinweis: Die EU ist daran interessiert, über diverse „call for evidence“ und „public consultations“ ihre Daten zu Regulierungsansätzen und deren mögliche Folgen, Vor- und Nachteile zu vervollständigen. Kleine Unternehmen und normale Arbeiter haben weniger Möglichkeiten als Großunternehmen, Behörden, Umwelt-NGOs und -aktivisten. So sind Verzerrungen und unzweckmäßige Entscheidungen unvermeidbar.

Was ist 2024 zu erwarten?

Das weiß wohl nur die EU selbst. Haupthemen für die Branche werden BREF und die Vorbereitung der Beschränkung von Chromtrioxid sein. Das Autorisierungsverfahren läuft unverändert parallel. Damit dürften wieder viele Beiträge abgefordert werden. Die Europawahl wird möglicherweise vieles ändern – wieder einmal. Es gibt jedoch eine Tendenz, die in vielen Meetings von Seiten der Industrie zu hören ist. Der Gang vor Gericht wird zunehmend als letzter Ausweg gegen EU-Entscheidungen gesehen. Das Beispiel Titandioxid macht dies ebenso deutlich wie das Acrylamid­urteil und die Annullierung der positiven Autorisierungs­entscheidung für das CTAC-Konsortium durch das EUGh. Bei letzterem hatte das Parlament geklagt. In allen Fällen bemängelte das Gericht fehlerhafte wissenschaftliche Qualität und unzureichende Auslegung der Gesetzeslage.

 

INFO

Dr. Malte Zimmer (siehe Foto) auf den Oberflächentagen 2023 in Berlin, wo er die Sprechstunde „Regulatorische Entwicklungen in der europäischen und nationalen Umwelt- und Chemikalienpolitik“ leitete. Im weiteren Verlauf des Gesprächs mit der Galvanotechnik verriet Dr. Zimmer, dass er statt dem im Interview genannten gefahrenbasierten Regulationsansatz einen risikobasierten favorisiert, der nicht vorbeugend Gefahren reguliert, sondern Risiken priorisiert – was z. B. den bürokratischen Aufwand deutlich verringern würde. Risikogrenz­werte ersetzen dann den Blick auf den Einzelfall, wie bei den Arbeitsschutzgrenzwerten. Für eine sinnvolle Folgenanalyse setzt Dr. Zimmer auf mehr Informationen bei den Entscheidungsträgern, die zu mehr Verständnis über die Zusammenhänge führen. Die aktuellen Behördenprozesse fördern einen solchen Erfahrungsaufbau ihm zufolge allerdings nicht.

 

Weitere Informationen

  • Jahr: 2024
  • Autoren: Robert Piterek

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