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Mittwoch, 21 Februar 2024 11:17

Die "Ewigkeitschemikalien" vom Typ PFAS

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Geschätzte Lesezeit: 9 - 17 Minuten
PFAS-Verbindung sind Bestandteil zahlreicher Anwendungen des täglichen Gebrauchs, wie etwa Feuerlöschschaum. Galvanotechnik-Autor Prof. Wolfgang Hasenpusch warnt: „Diese Verbindungsklassen haben ein unübersehbares Unheil auf der ganzen Welt angerichtet“. PFAS-Verbindung sind Bestandteil zahlreicher Anwendungen des täglichen Gebrauchs, wie etwa Feuerlöschschaum. Galvanotechnik-Autor Prof. Wolfgang Hasenpusch warnt: „Diese Verbindungsklassen haben ein unübersehbares Unheil auf der ganzen Welt angerichtet“. (Foto: stock.adobe.com/benjaminnolte)

Umweltbewusste Politiker wollen den Einsatz von PFAS-Chemikalien auf das notwendigste beschränken, Hersteller warnen zugleich vor einem umfassenden Verbot. Das in der EU diskutierte Verbot von Per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS) wäre für Hightech-Industrien wie die Medizin- oder Halbleitertechnik eine enorme Bedrohung, mahnten mehrere Verbände. Fakt ist: PFAS sind Stoffe, die sich bereits auf dem gesamten Globus bis zur Antarktis in bedrohlichem Maße angereichert haben. Ein genauer Blick auf die Ewigkeitschemikalien ist daher angezeigt.

Bei PFAS handelt es sich um aliphatische organische Stoffe, bei denen an mindestens einem Kohlenstoffatom alle Wasserstoff-Atome vollständig durch Fluoratome ersetzt sind. Da sie und ihre Abbauprodukte in der Umwelt sehr persistent sind, heißen sie auch „Ewigkeits-Chemikalien“ [1]. Zu der Chemikaliengruppe der PFAS zählen geschätzt über 10.000 einzelne Substanzen, die in Alltagsprodukten wie Anoraks, Pfannen oder Kosmetik verarbeitet sind (Abb. 1). In der Industrie werden sie u. a. in Dichtungen, Isolierungen oder Kabeln eingesetzt. Auch Lithium-Ionen-Batterien zum Beispiel für E-Autos sind auf PFAS angewiesen. Welcher Art sind diese Verbindungen? Betrachten wir sie genauer!

Abb. 1: Beispiele für die breite Anwendungs-Palette von PFAS (Grafiken: Wolfgang Hasenpusch)

Gesundheitliche Schäden durch PFAS

Einige PFAS stehen im Verdacht, krebserregend zu sein. Die jährlichen gesundheitsbezogenen Gesamtkosten im Zusammenhang mit der Exposition gegenüber PFAS wurden 2019 für die Länder des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) auf mindestens 52 bis 84 Milliarden Euro [2], für die Vereinigten Staaten im Jahr 2018 auf 6 bis 62 Milliarden US-Dollar geschätzt [3]. Die jährlichen Gesamtkosten für Umweltscreening, Kontaminationsüberwachung, Wasseraufbereitung, Bodensanierung und Gesundheitsbewertung belaufen sich im EWR plus der Schweiz auf 821 Millionen bis 170 Milliarden Euro [2]. Die American Water Works Association schätzt, dass es 370 Milliarden US-Dollar kosten würde, die PFAS aus dem US-Trinkwasser zu entfernen [4]. Unter Berücksichtigung der externalisierten gesellschaftlichen Kosten lägen die Kilogrammkosten für PFAS bei rd. 18.700 Euro, während der tatsächliche durchschnittliche Marktpreis von PFAS bei rund 19 Euro pro Kilogramm liegt [5].

Menschen können PFAS vor allem über Trinkwasser und Lebensmittel aufnehmen. PFAS werden auf unterschiedliche Weise in unsere Lebensmittel eingetragen: Sie sind in Böden, Trinkwasser, Futtermitteln und in Bedarfsgegenständen, wie beispielsweise Verpackungen nachweisbar.

Laut aktueller Kenntnisse der europäischen Lebensmittelbehörde EFSA sind vor allem tierische Lebensmittel mit PFAS belastet. Die EFSA empfahl im Jahr 2020, eine gruppenbezogene tolerierbare wöchentliche Aufnahme (TWI) von 4,4 Nanogramm pro Kilogramm Körpergewicht für die Summe der vier im menschlichen Blut überwiegenden PFAS nicht zu überschreiten. Diese sind Perfluoroktansäure (PFOA), Perfluoroktansulfonsäure (PFOS), Perfluornonansäure (PFNA) und Perfluorhexansulfonsäure (PFHxS).

Grundlage der Empfehlung sind beobachtete Wirkungen auf das Immunsystem von Säuglingen. Seit dem 1. Januar 2023 gelten EU-weit rechtsverbindliche Höchstgehalte für die vier PFAS der EFSA-Stellungnahme – jeweils einzeln und als Summe – in Fisch und Fischerei-Erzeugnissen, Krebstieren und Muscheln, Fleisch und Wild, Eiern und daraus hergestellten Erzeugnissen [6]. Zusätzlich empfiehlt die europäische Kommission, eine Vielzahl häufig verzehrter Lebensmittel wie zum Beispiel Obst, Gemüse, Getreide und Beikost für Säuglinge und Kleinkinder hinsichtlich PFAS zu überwachen [7]. Die laufenden Überwachungen der Trinkwasserbelastungen fallen in die Zuständigkeit des Bundesministeriums der Gesundheit [8].

Abb. 2: Umwelt-Einwirkungen von PFASAbb. 2: Umwelt-Einwirkungen von PFAS

Eine grafische Darstellung, wie PFAS in unseren Körper gelangt, zeigt die Abbildung 2. Dabei ist die weltweite Verteilung über den Luft- und Wasser-Pfad sowie die Aufnahme bei Kleinkindern besonders besorgniserregend [9]. In welchem Umfang die Inkorporation von PFAS Schäden bei Frauen, Männern, vor allem aber bei Kindern im Mutterleib nach sich ziehen kann, stellt Abbildung 3 bildlich dar.

PFAS-Stoffe in Deutschland

Bei der Deutschen Umweltstudie zur Gesundheit (GerES) wurde eine verbreitete Belastung auch von Kindern und Jugendlichen festgestellt. EU-weite Untersuchungen von Jugendlichen zwischen 2016 und 2022 im Rahmen der Forschungsinitiative „HBM4EU“ zeigten, dass die Blutkonzentration, die dem EFSA TWI-Wert zugrunde liegt, im Mittel über alle Studien bei 15 %, in einzelnen Studien bei über 20 % der Teilnehmenden überschritten war.

Abb. 3: Gesundheitliche Auswirkungen der Exposition gegenüber PFASAbb. 3: Gesundheitliche Auswirkungen der Exposition gegenüber PFAS

Das Bundesumweltministerium verfügt über keinerlei Finanzmittel zur Unterstützung bei der Beseitigung von PFAS-Belastungen, da die Zuständigkeit für den Vollzug der Altlastensanierung bei den Ländern liegt. Dennoch geht das Ministerium das Problem PFAS gemeinsam mit den Ländern an, z. B. durch Vollzugshilfen zur Bewertung und Sanierung sowie bei der Bewertung verhältnismäßiger, pragmatischer Sanierungsoptionen:

  • Arbeitshilfe zum Thema „Sanierungs-Management für lokale und flächenhafte PFC-Kontaminationen“
  • PFAS-Leitfaden zum Thema „Empfehlungen zur Bewertung von Boden- und Gewässerverunreinigungen sowie für die Entsorgung PFC-haltiger Materialien“ [10].

Weiterhin fördert das Bundesumweltministerium über sein Ressortforschungsprogramm verschiedene PFAS-Vorhaben. Unter anderem, um die Festsetzung von Prüf- und Maßnahmenwerten im Bodenschutzrecht voranzubringen und Rechtssicherheit für die Vollzugsbehörden zu gewährleisten. Dazu ist die Verbesserung der Datenlage und der Bewertungsgrundlagen in Zusammenarbeit mit den Bundesländern sowie im europäischen Austausch zu stärken [8].

Es gibt bislang keine amtliche Darstellung bundesweiter Schadensfälle. Die Stadtwerke Rastatt, die von einem der größten PFAS-Schadensfälle in Deutschland betroffen sind, haben über Abfragen und Online-Recherchen eine Übersicht zur Darstellung von Schadensfällen in Deutschland erstellt. Diese ist auf der Webseite der Stadtwerke einsehbar. Es handelt sich um eine nicht- amtliche Liste, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Richtigkeit erhebt [11].

In und um die Produktionsstandorte herum besteht wohl die größte Gefahr, dass die Umwelt massiv verseucht ist. Diese Fabriken stehen in Bad Wimpfen, in Frankfurt/M., in Leverkusen und im bayerischen Chemiepark Gendorf bei Burgkirchen an der Alz, wo sich gleich drei PFAS-Produzenten niedergelassen haben [12].

Bislang wird in der Öffentlichkeit vor allem über einige wenige PFAS-Hotspots diskutiert. Über Felder in Rastatt in Baden-Württemberg etwa, auf denen mutmaßlich belasteter Papierschlamm verteilt wurde. Oder über den Düsseldorfer Flughafen, wo bei einem Großbrand am 11.04.1996 PFAS-haltiger Löschschaum in Boden und Grundwasser floss.

Derzeit werden noch vielfach PFAS in Feuerlöschschäumen eingesetzt. Das Umweltbundesamt (UBA) empfiehlt, ­aufgrund ihrer Besorgnis erregenden Eigenschaften, fluorfreie Alternativen einzusetzen [13]. Fluorhaltige Löschmittel sollten nur bei Bränden ihren Einsatz finden, für die derzeit noch keine ausreichend wirksamen Alternativen verfügbar sind, wie etwa im Luftverkehr.

Verbote von PFAS

Noch vor Inkrafttreten der EU-REACh-Verordnung im Jahre 2006 wurde ein EU-weites Verbot für Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) beschlossen [14], das kurz darauf in die EU-POP-Verordnung (POP = persistent organic pollutants) übernommen wurde. Daher erfolgte dann auch die Streichung des PFOS-REACh-Eintrags. Im Jahr 2019 wurde das PFOS-Verbot nach dem Stockholmer Übereinkommen noch einmal geprüft und alle in der EU bis dahin gewährten Ausnahmen gestrichen, mit Ausnahme der Verwendung von PFOS als Mittel zur Sprühnebel-Unterdrückung für nicht dekoratives Hartverchromen mit krebserregendem Chrom(VI) in geschlossenen Kreislaufsystemen.

Die besonders relevante Perfluoroctansäure (PFOA) ist auf Initiative der deutschen Behörden in Zusammenarbeit mit den norwegischen Behörden zunächst EU-weit reguliert worden, und zwar einschließlich seiner Salze und Vorläuferverbindungen.

Parallel wurde die Aufnahme von PFOA in die weltweit gültige Verbotsliste der Stockholm-Konvention für persistente organische Schadstoffe vorangetrieben und 2019 beschlossen.

Die Regelung in der EU-POP-Verordnung ist seit Dezember 2020 mit verschiedenen Fristen bis spätestens Dezember 2036 für verschiedene Ausnahmen in Kraft, um den Wechsel zu geeigneten Alternativen zu ermöglichen. Die Ausnahmen enthalten Verwendungen für implantierbare Medizinprodukte, Feuerlöschschäume, fotografische Beschichtungen und für fotolithografische Verfahren, öl- und wasserabweisenden Textilien und industrielle Polymere für spezifische Membranen oder Dichtmassen, da hier bisher keine geeigneten Alternativen verfügbar sind. Darüber hinaus wurde 2022 Perfluorhexansulfonsäure (PFHxS) in das Stockholmer Übereinkommen als weiteres POP aufgenommen.

Ab Februar 2023 sind zudem das Inverkehrbringen, die Herstellung und die Verwendung von perfluorierten Carbonsäuren mit neun bis vierzehn Kohlenstoffatomen (PFNA, PFDA, PFUnDA, PFDoDA, PFTrDA, PFTeDA) beschränkt. Derzeit wird zudem von der EU-Kommission ein Vorschlag zur Regulierung von Perfluorhexansäure (PFHxA) erarbeitet. Ein ergänzender Vorschlag zur Regulierung von fluorhaltigen Feuerlöschschäumen wird derzeit von den wissenschaftlichen Ausschüssen bei der Europäischen Chemikalienagentur ECHA bewertet. Mit einer Entscheidung ist vermutlich in 2024 zu rechnen.

Verschiedene weitere PFAS wie etwa Perfluorbutansulfonsäure und „GenX“ (Ammonium-2,3,3,3-tetrafluor-2-pro­panoat) sind bereits als besonders besorgniserregende Stoffe (Substances of Very High Concern, SVHC) unter REACh identifiziert und in die entsprechende SVHC-Liste aufgenommen worden, um auch diese zu substituieren [8].

Ausgewählte PFAS-Stoffklassen

Abb. 4: Bei Seitenkettenfluorierten Polymeren können Fluortelomere durch Hydrolyse vom Polymerrückgrat abgelöst und zu Perfluorcarbonsäuren umgewandelt werdenAbb. 4: Bei Seitenkettenfluorierten Polymeren können Fluortelomere durch Hydrolyse vom Polymerrückgrat abgelöst und zu Perfluorcarbonsäuren umgewandelt werdenPFAS sind unter Umweltbedingungen nicht bzw. nur über sehr lange Zeiträume vollständig abbaubar. Gewisse Gruppen von PFAS werden durch Umweltprozesse, wie Hydrolyse, Oxidation, Decarboxylierung, Reduktion und Hydroxylierung in stabile PFAS umgewandelt (Abb. 4). So werden nicht vollständig fluorierte Verbindungen wie z. B. Fluortelomere inklusive Fluortelomeralkohole oder Perfluoralkylsulfonamide (wie Perfluoroctansulfonamid) in Perfluorcarbonsäure bzw. Perfluorsulfonsäuren umgewandelt, die eine extrem hohe Persistenz aufweisen [15]. Laut OECD gibt es mindestens 4730 verschiedene PFAS mit mindestens drei perfluorierten Kohlenstoffen. Das CompTox Chemic als Schaltzentrale der US Environmental Protection Agency (EPA) enthält 14735, PubChem sogar rund sechs Millionen PFAS. Über 1400 PFAS konnten mehr als 200 verschiedenen Anwendungen zugeordnet werden. Einige Typen fluorierter Polymere sind:

Fluorpolymere

  • Polytetrafluorethylen (PTFE) = Teflon
  • Polyvinylidenfluorid (PVDF)
  • Fluoriertes Ethylenpropylen
  • Perfluoralkoxypolymer (PFA)

Seitenkettenfluorierte Polymere

  • Fluorierte Methylacrylpolymere (Fluortelomeracrylat (FTA))
  • Fluorierte Urethanpolymere
  • Fluorierte Oxetanpolymere

Weitere Polymere

Perfluorpolyether (PFPE)

Struktur und Eigenschaften der vier häufigsten Verbindungen Perfluoroktansäure (PFOA), Perfluor­oktansulfonsäure (PFOS), Perfluornonansäure (PFNA) und Perfluorhexansulfonsäure (PFHxS) werden im Folgenden näher betrachtet:

Perfluoroktansäure, PFOA

PFOA wird als „Ewigkeitschemikalie“ bezeichnet, weil sie sich in der Umwelt nie abbaut (Abb. 5). Aufgrund seiner Einstufung als CMR-Stoff (C steht für krebserregend, M für mutagen und R für reproduktionstoxisch) und PBT-Stoff (P steht hier für persistent, B für bioakkumulierend und T für toxisch) ist – von wenigen Ausnahmen abgesehen – die Herstellung und das Inverkehrbringen von PFOA und Vorläuferverbindungen in der EU seit 2020, in der Schweiz seit 2021 verboten [16].

Abb. 5: Struktur und Eigenschaften von PerfluoroctancarbonsäureAbb. 5: Struktur und Eigenschaften von Perfluoroctancarbonsäure

PFOA hat öl- und wasserabstoßende Eigenschaften. Die hohe Stabilität und Widerstandsfähigkeit der Perfluor­octansäure bei unterschiedlichsten Bedingungen begründen ihre Eignung für diverse Anwendungen. Perfluoroctansäure ist ein inzwischen in der Umwelt weit verbreiteter Stoff, da sie sowohl persistent als auch bioakkumulativ ist. In Wasser kann die Verbindung mit Hilfe eines Bornitrid-Titandioxid-Verbundstoffs unter Sonnenlicht abgebaut werden.

Abb. 6: Strukturformel und Eigenschaften von ADONAAbb. 6: Strukturformel und Eigenschaften von ADONA

Perfluoroctansäure wurde in Form von Ammoniumperfluoroctanoat vor allem als Emulgator für die Herstellung von Polymeren wie Teflon (Chemours), Polytetrafluorethylen, gebraucht. In diesen Prozessen kommen inzwischen Ersatzstoffe, wie Ammonium-2,2,3-­trifluor-3-[1,1,2,2,3,3-hexafluor-3-(trifluormethoxy)-propoxy]propionat (Abb. 6) zum Einsatz.

Perfluoroktansulfonsäure, PFOS

Üblicherweise kam die Verbindung als Kalium-, Lithium-, Ammonium-, Diethanolammonium- oder Tetraethylammoniumsalz in den Handel. PFOS wurde 2009 als Schadstoff in den Anhang B des Stockholmer Übereinkommens aufgenommen (Abb. 7).

Abb. 7: Struktur und Eigenschaften von PerfluoroctansulfonsäureAbb. 7: Struktur und Eigenschaften von Perfluoroctansulfonsäure

1953 entdeckte die Chemikerin Patsy O’Connell Sherman (1930-2008) bei 3M zufällig die Reinigungswirkung eines Fluorpolymeres. Sie und Samuel Smith (1927-2005) brachten bis 1956 Perfluoroctansulfonat zur Produktreife [17]. 1989 wurde Sherman als erste Frau in die Minnesota Hall of Fame aufgenommen und 2001 zusammen mit Samuel Smith in die National Inventors Hall of Fame.

Die PFOS-Exposition wird allein in den USA für den Zeitraum von 1999 bis 2015 mit jährlich rund 382.000 Todesfällen bei erwachsenen US-Bürgern in Verbindung gebracht. Für den Zeitraum von 2015 bis 2018 sank die Anzahl auf etwa 69.000 pro Jahr. Primäre Todesursachen waren Herzkrankheiten und Krebs [18].

Perfluornonansäure, PFNA

Perfluornonansäure ist ein brennbarer, schwer entzündbarer, kristalliner, beige-farbiger Feststoff, der praktisch unlöslich in Wasser ist (Abb. 8). Von PFNA gibt es theoretisch 89 Skelettisomere. Langkettige Perfluoralkancarbonsäuren (wie Perfluornonansäure) und ihre Salze sind oberflächenaktive Chemikalien (Tenside), die die Oberflächenspannung von Wasser, wässrigen Lösungen und organischer Flüssigkeiten bereits in geringen Konzentrationen stark herabsetzen. Diese Säuren (C6-C12) und ihre Derivate werden als Netz-, Dispergier-, Emulgier- und Schaummittel eingesetzt.

Abb. 8: Struktur und Eigenschaften von Perfluornonansäure, PFNAAbb. 8: Struktur und Eigenschaften von Perfluornonansäure, PFNA

Perfluornonansäure wurde von der ECHA in Helsinki aufgrund ihrer reprotoxischen sowie PBT-Eigenschaften auf die Kandidatenliste der besonders besorgniserregenden Stoffe gesetzt. Unter der Leitung der deutschen und schwedischen Behörden wurde eine Verbotsregelung der Perfluorcarbonsäuren mit den Kettenlängen C9 bis C14 erarbeitet. Die entsprechende EU-Verordnung trat 2021 in Kraft. Das Verbot für die Herstellung, das Inverkehrbringen und die Verwendung gilt seit Februar 2023, wobei für gewisse Verwendungen längere Übergangsfristen bestehen. In der Schweiz trat ein analoges Verbot bereits 2022 in Kraft [19].

Perfluorhexansulfonsäure, PFHxS

PFHxS wurde durch elektrochemische Fluorierung hergestellt. Dabei entsteht zu rund 95 % das lineare Isomer. Theoretisch gibt es von PFHxS 17 Skelettisomere (Abb. 9).

Abb. 9: Struktur und Eigenschaften von PerfluorhexansulfonsäureAbb. 9: Struktur und Eigenschaften von Perfluorhexansulfonsäure

PFHxS wurde in Schaumlöschmitteln (AFFF = Aqueous Film Forming Foam), als Antischleiermittel in der Verchromung, in Imprägnierungsmitteln für Textilien, Leder und Polstermöbeln (z. B. in „Scotchgard“), in Polier-, Reinigungs- und Waschmitteln, in Beschichtungen und bei der Herstellung von Halbleitern verwendet [20]. PFHxS wurde 2017 für die Aufnahme in das Stockholmer Übereinkommen nominiert und 2022 in seinen Anhang A aufgenommen. Unter das Verbot fallen mehrere hundert Salze und Vorläufer von PFHxS. In der Schweiz sind Herstellung, Inverkehrbringen und die Verwendung seit Oktober 2022 verboten [21].

Tabelle 1: Perfluoralkansäuren – rot: interpolierte Daten 

Säuren

M

Smp [°C]

Sdp. [°C]

Dichte

H-Sätze

PF-propionsäure

164,03

-35

97

1,576

314

PF-butansäure

214,04

-18

120

1,645

314

PF-pentansäure

264,05

0

140

1,713

318-361d

PF-hexansäure

314,05

14

157

1,759

314

PF-heptansäure

364,06

30

175

1,79

360D-372

PF-octansäure

414,07

54

192

1,8

302+332-314-351-360D-362-372

PF-nonansäure

464,08

62

218

1,8

302-332-318-351-360Df-362-372

PF-decansäure

514,08

81

230

1,8

301-351-360Df-362

PF-undecansäure

564,09

101

245

1,8

314

PF-tetradecansäure

714,12

132

300

1,8

314

Sowohl bei den Polyfluoralkansäuren als auch bei den analogen Vertretern der Polyfluoralkansulfonsäuren liegen keine vollständigen Datensätze vor. Bei den durchfluorierten Alkancarbonsäuren lässt sich anhand der vorhandenen Daten für Schmelz- und Siedepunkte sowie der Dichten zumindest graphisch eine Interpolation auf fehlende Daten vornehmen und die Lücken (rot markiert) in Tabelle 1 füllen. Gleiches gilt für die Dichten, die zum Teil nur aus Abschätzungen resultieren. Aufgrund der entsprechend fehlenden Parameter sieht das bei den Polyfluoralkansulfonsäuren noch schlechter aus. Die wenigen verfügbaren Werte erlauben nur eine grobe Abschätzung.

Orientierungs- und Grenzwerte

Angesichts der Vielzahl der Verbindungen können zur zuverlässigen qualitativen und quantitativen Bestimmung der Stoffe nach umfangreicher Proben-Vorbereitung nur sehr leistungsfähige Trennverfahren, wie beispielsweise die HPLC (Hochleistungsflüssigkeitschromatographie) in Kopplung mit Massenspektrometern zum Einsatz kommen.

Obwohl die Gefährdung durch PFAS bereits seit Jahren bekannt ist, gibt es bis dato keinerlei Verpflichtung für Wasserversorger, das von ihnen bereitgestellte Trinkwasser entsprechend zu untersuchen. Dies führt dazu, dass es keine zuverlässigen flächendeckenden Datensätze bezüglich möglicher PFAS-Belastung im täglich von uns verbrauchten Wasser gibt. Die deutsche Trinkwasserverordnung enthält für die Gruppe der PFAS (PFOA, PFOS u. a.) keine spezifischen Grenzwerte. Das Umweltbundesamt empfahl 2006 folgende Höchstwerte [1]:

  • 100 ng/L: „Gesundheitlicher Orientierungswert“ – Zielwert für das Trinkwasser bei lebenslanger Exposition
  • 300 ng/L: „Lebenslang gesundheitlich duldbarer Leitwert für alle Bevölkerungsgruppen“
  • 500 ng/L: „Vorsorglicher Maßnahmenwert für Säuglinge und Schwangere“
  • 5 μg/L: „Maßnahmenwert für Erwachsene“ – Als Trinkwasser „nicht mehr verwendbar“. Werte von 1,5 bis 5 μg/L sind nur bis zu 1 Jahr tolerierbar.

Ab 2026 bzw. 2028 sollen folgende Grenzwerte gelten:

  • 100 ng/L: Summe PFAS (Perfluorcarbonsäuren und Perfluorsulfonsäuren mit Kohlenstoffkettenlängen von 4 bis 13)
  • 20 ng/L: Summe PFAS-4 (PFOA, PFNA, PFHxS, PFOS)

In der Neufassung der Europäischen Trinkwasserrichtlinie, der Richtlinie (EU) 2020/2184 vom 16. Dezember 2020, ist die Anwendung summarischer Ansätze gefordert und seit dem 12. Januar 2024 legt die Kommission technische Leitlinien bezüglich der Analyseverfahren zur Überwachung
von PFAS im Rahmen der Parameter PFAS gesamt und Summe der PFAS fest, einschließlich Nachweisgrenzen, Parameterwerten und Häufigkeit der Probenahmen. Die Mindestanforderungen lauten:

  • 500 ng/L: PFAS gesamt (Summe aller PFAS)
  • 100 ng/L: Summe der PFAS (Summe von 20 PFAS – Perfluorcarbonsäuren und Perfluorsulfonsäuren mit Kohlenstoffkettenlängen von 4 bis 13)

Der Wissenschaftliche Ausschuss für Gesundheit, Umwelt- und neu aufkommende Risiken (SCHEER) stufte die Mindestanforderung von 0,5 μg/L für die Summe aller PFAS als deutlich zu hoch ein. Für den Schutz vor gesundheitsschädlichen Auswirkungen beim Verzehr von mit PFOS belasteten Fischen wurde die Umweltqualitätsnorm für PFOS in Binnenoberflächengewässern durch die Wasserrahmen-Richtlinie auf 0,65 ng/L im Jahresmittel festgelegt.

Wenn in der EU folgende Richtwerte in Nahrungsmitteln überschritten werden, soll eine Untersuchung der Ursachen der Kontamination durchgeführt werden:

  • 10 ng/kg für PFOS, 10 ng/kg für PFOA, 5 ng/kg für PFNA und 15 ng/kg für PFHxS in Obst, Gemüse sowie stärkehaltigen Wurzeln und Knollen
  • 1,5 μg/kg für PFOS, 10 ng/kg für PFOA, 5 ng/kg für PFNA und 15 ng/kg für PFHxS in Wildpilzen
  • 20 ng/kg für PFOS, 10 ng/kg für PFOA, 50 ng/kg für PFNA und 60 ng/kg für PFHxS in Milch
  • je 50 ng/kg für PFOS, PFOA, PFNA und PFHxS in Beikost

Zusammenfassung und Kommentar

Heute stellt sich heraus, dass es unverantwortlich war, die fluorierten Chemikalien herzustellen und damit unweigerlich in die Umwelt zu entlassen, sowohl bei der Herstellung als auch während und nach der Verwendung.

Diese Verbindungsklassen haben ein unübersehbares Unheil auf der ganzen Welt angerichtet: Viele Menschen leiden an den Folgen und sterben unverschuldet eines frühen Todes. Ganze Landstriche liegen kontaminiert brach, um ihr grausames Erbe noch auf Millionen Erdenbürger zu übertragen. Verteilt in Boden, Wasser und Luft lauern die unvergänglichen, unglücksbringenden Fluor-Chemikalien, um noch vielen Generationen – mittlerweile auch über die Nahrung – zu schaden. Aber mehr als Überwachung und Festlegung von Grenzen in Umweltschutzregelwerken fallen den Gesetzgebern nicht ein. Der Schutz des Menschen vor weiteren Schäden erfordert mehr: Verbote von Ausnahmen, Alternativ-Methoden, Dekontaminierungsverfahren!

Statt ihr skandalöses Treiben einzustellen, Schadensbegrenzung zu betreiben und alles daranzusetzen, ihre verseuchten Quellen zu dekontaminieren, gehen die herstellenden Unternehmen noch auf die Barrikaden und beeinflussen Politiker, keine Verbote zu erlassen, unverantwortliche Ausnahmen zu genehmigen und ja keine Produzenten in Regress zu nehmen.

Schon bei Asbest, Dioxinen, Kampfstoffen, Quecksilber- emissionen, Verschmutzung der Meere, Weichmachern in Kunststoffen, Mikroplastik und FCKW, um nur einige Schattenseiten der Chemie zu nennen, hatten sich Hersteller weitgehend ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft entzogen.

Warum bezahlen nicht die Hersteller und Verursacher die speziellen Wasser-Filtrationen, Dekontaminationen der Feuerwehr-Übungsplätze und Fabrikations-Zonen? Warum werden staatliche Genehmigungen bei derartig gefährlichen Stoffen nicht mit langzeitlichen Haftungserlassen erteilt? Warum bleibt das PFAS-Debakel so lange im Graubereich?

 

Literatur

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Per-_und_polyfluorierte_Alkylverbindungen
[2] Nordic Council of Ministers: THE COST OF INACTION: A socioeconomic analysis of environmental and health impacts linked to exposure to PFAS, TemaNord 2019:516.
[3] Obsekov, V., L. G. Kahn, L. Trasande: „Leveraging Systematic Reviews to Explore Disease Burden and Costs of Per- and Polyfluoroalkyl Substance Exposures in the United States”, Exposure and Health, 26. Juli 2022
[4] https://www.politico.com/news/2022/09/13/the-battle-over-who-pays-to-clean-up-chemicals-00056136
[5] https://amp-theguardian-com.cdn.ampproject.org/c/s/amp.theguardian.com/environment/2023/may/12/pfas-forever-chemicals-societal-cost-new-report
[6] EU-Verordnung: EU 2022/2388
[7] EU-Empfehlung: EU 2022/1431
[8] https://www.bmuv.de/faqs/per-und-polyfluorierte-chemikalien-pfas
[9] Sunderland et al., Journal of Exposure Science & Environment, Epidemiology 29/2 (2019)
[10] https://www.bmuv.de/themen/bodenschutz/boeden-und-ihre-belastung/belastung-von-boeden-durch-pfas-und-pfc#c54994
[11] https://www.stadtwerke-rastatt.de/pfc-schadensfalluebersicht
[12] https://www.sueddeutsche.de (23.02.2023)
[13] https://www.umweltbundesamt.de/themen/chemikalien/chemikalien-reach/stoffgruppen/per-polyfluorierte-chemikalien-pfc/pfc-in-feuerloeschmitteln
[14] EG-Richtlinie 2006/122
[15] Evich, M. et al.: „Per- and polyfluoroalkyl substances in the Environment”, Science 375 (2022) Nr. 2
[16] https://de.wikipedia.org/wiki/Perfluoroctansaeure
[17] https://de.wikipedia.org/wiki/Perfluoroctansulfonsaeure
[18] Wen, X., M. Wang, X. Xu, T. Li: „Exposure to Per- and Polyfluoroalkyl Substances and Mortality in U.S. Adults: A Population-Based Cohort Study”, Environmantal Health Perspectives, 130/6 (2022) 067007
[19] https://de.wikipedia.org/wiki/Perfluornonansaeure
[20] https://de.wikipedia.org/wiki/Perfluorhexansulfonsaeure
[21] Schweizer Verordnung zur Reduktion von Risiken beim mit bestimmten besonders gefährlichen Stoffen, Zubereitungen und Gegenständen (Chemikalien-Risikoreduktions-Verordnung, ChemRRV) – Anhang 1.16. (10.10.2022)

Grafiken: Wolfgang Hasenpusch

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 2
  • Jahr: 2024
  • Autoren: Prof. Wolfgang Hasenpusch

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