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Freitag, 06 Oktober 2023 11:59

Paul Eislers Leben mit der Leiterplatte

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Geschätzte Lesezeit: 3 - 6 Minuten
‚Vorwärts‘-Verlagsgebäude in Wien (1912). Hier erlernte Paul Eisler in den 1930er Jahren erstmals Drucktechniken für ein Radiojournal, das er zusammen mit anderen Technikern herausgab ‚Vorwärts‘-Verlagsgebäude in Wien (1912). Hier erlernte Paul Eisler in den 1930er Jahren erstmals Drucktechniken für ein Radiojournal, das er zusammen mit anderen Technikern herausgab Bild: Wiener Bauindustrie-Zeitung, XXIX. Jg., 1912, Plan 58

Das bewegte Leben des Erfinders der modernen Leiterplatte wäre eigentlich einen Roman wert. Anlässlich des 80-jährigen Jubiläums seines wegweisenden Patents sollen zumindest einige Stationen seiner Geschichte genannt werden.

Geboren wurde Eisler 1907 in Wien als Sohn der slowakisch-tschechischen Eheleute Wilhelm und Caecilie Eisler. Er ergriff früh die Ingenieurslaufbahn und erwarb 1930 im Alter von 23 Jahren sein Diplom an der Technischen Universität Wien – in einer Zeit, die von den Vorwehen des Nationalsozialismus geprägt war. Als Jude hatte der talentierte Eisler keine Perspektive: Berufsangebote für junge Ingenieure gingen ausschließlich an Mitglieder der strikt antisemitischen deutschen NS-Studentenorganisationen. Eisler verstand sich zwar nicht als religiöser, aber stolzer Jude. Das Jobangebot des Plattenlabels HMV führte zu einer ersten kurzen Anstellung in Belgrad. Nach seiner Rückkehrarbeitete er mit anderen Technikern an einem Radiojournal. Dabei erlernte er auch Drucktechniken – was sein späteres Leben entscheidend prägen sollte. Das Journal wurde bald von demsozialdemokratischen ‚Vorwärts'-Verlag übernommen,1933 spitzte sich die Lage zu, als der christlich-soziale Bundeskanzler Engelbert Dollfuß Österreichde de facto in eine Diktatur verwandelte (‚Austrofaschismus'). Das Verlagsgebäude im 5. Wiener Gemeindebezirk 97 wurde polizeilich besetzt, die Feindseligkeiten gegen die jüdische Bevölkerung wuchsen. Eisler versuchte Österreich zu verlassen, erhielt jedoch lange kein Visum. Erst 1936 konnte er in das Vereinigte Königreich emigrieren, auch dank einer Jobaussicht bei der ‚The Marconi-Wireless Telegraph Company'. Dort interessierte man sich für sein Patent einer Reduktion der Frequenzmodulationsbandbreite und erwarb es für 250 £.

Laut Eisler produzierte die Telekommunikationsindustrie schon vor dem 1. Weltkrieg massenhaft elektrische Schaltungen, ebenso die Radioindustrie. Schaltungen wurden zunehmend komplizierter. Eisler erkannte, wie wichtig eine Automatisierung war, statt Schaltungen in Handarbeit herzustellen. Die Möglichkeit, exakte Kopien im Druckverfahren in großer Stückzahl herzustellen, würde der Elektronik riesige Möglichkeiten eröffnen – zumal längst Material, Expertise und Maschinen existierten, um gedruckte Schaltungen bezahlbar produzieren zu können.

Für sein erstes Modell benutzte Eisler eine Bakelitplatte und ersetzte nach Recherchen im British Museum die Verbindungsdrähte durch im Druckverfahren erzeugte Leitungen. Als Testobjekt fertigte er ein funktionstüchtiges Radio und stellte es Radioproduzenten vor. Doch Eislers Konzept wurde nicht verstanden, man hielt gedruckte Schaltungen für zu fragil und fürchtete hohe Entwicklungskosten.

Um sich finanziell über Wasser zu halten, ging er auf ein Angebot von Oscar Deutsch, dem Gründer und Vorsitzenden der bekannten Kinogruppe ‚Odeon Theatres', ein. Nun blieb ihm wenig Zeit für gedruckte Schaltungen. Eisler gelang es, im Kinosaal die Geräusche des Publikums durch ein ‚sound level control device' zu reduzieren. Auch entwickelte er einen tigerfellähnlichen Bezug von Kinositzen, auf denen man im Halblicht nicht die Eiscreme- und Schokoladeflecken unachtsamer Besucher erkennen konnte.

In Wien nahmen die Repressalien und Gewaltakte gegen Juden zu. 1938 war es zum halb erzwungenen, halb erwarteten ‚Anschluss' Österreichs an das faschistische Deutschland gekommen. Eisler bemühte sich für seine Verwandtschaft um Asyl im Vereinigten Königreich. Sein Vater war schwer erkrankt, seine Schwester beging noch vor Kriegsausbruch Selbstmord. Eisler selbst schlug in der Emigration Feindseligkeit entgegen. In Wien hatte man ihn als Juden diffamiert – im Vereinigten Königreich wurde er als Deutscher und damit als ‚potentieller Feind' angesehen und für einige Zeit interniert. Er verließ Odeon, da er keine Unterstützung verspürte – er spricht von der „absence of civil courage of my Odeon colleagues“.

Nachdem Eisler aus der Internierung in das von Bombardements heimgesuchte London zurückkehrte, hatte er ein klares Ziel vor Augen: Er wollte dazu beitragen, Nazideutschland zu besiegen. Seiner Meinung nach war die ‚Luftschlacht um England' nur mithilfe des Radars zu gewinnen. Hierfür war die Elektronik entscheidend – jedoch waren im Krieg Arbeitskräfte und Maschinen rar. Die Erfindung gedruckter Schaltungen schien der entscheidende Schlüssel für die Massenproduktion elektronischer Geräte. Erneut wurde Eisler jedoch von Elektrofirmen abgewimmelt. Erst 1941 stellte ihn ‚Henderson & Spalding' ein, eine traditionsreiche Firma für Lithographie und Notendrucke. Im Jahr 1941 räumte er der Firma das Recht an seinen Patenten ein. Doch im Königreich blieb die Erfindung weiterhin verkannt.

Das sah in den USA anders aus. Hier wandelte das ‚National Bureau of Standards' in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen ‚Globe Union' Eislers Verfahren abund druckte mitgröberer Technik Silberfarbe auf Keramikplatten. Sie kamen in Radarsystemen zum Einsatz und trugen entscheidend dazu bei, die ca. 4.000 V1-Raketen abzuwehren, die in London Verwüstungen anrichteten. Auch bei der Luftverteidigung Antwerpens halfen Näherungszünder (‚proximity fuzes'), die dank der massenhaften Produktion von Leiterplatten schnell verfügbar waren.

Paul Eisler profitierte aufgrund der Rechteabtretung wenig vom Erfolg der Leiterplatte. Privat fand er hingegen sein Glück: Er verliebte sich in die Psychologin Frieda Goldman, auch sie eine jüdische Emigrantin aus Österreich. 1950 heiratete er Frieda – die ebenfalls Maßstäbe setzte: 1970 erhielt sie eine Professur am University College London und leitete die Abteilung für Phonetik und Linguistik. Ihre soziolinguistischen Arbeiten gelten als wegweisend.

Nach dem Krieg hatte sich von Henderson & Spalding die Firma ‚Technograph Printed Circuits Limited' abgespalten und eine erste Leiterplattenfabrik eröffnet. Für Technograph versuchte Eisler vergeblich seine Patente in den Niederlanden und in Deutschland durchzusetzen. Allerdings konnte er später in Hannover einen Vortrag vor deutschen Ingenieuren halten. Dort zeigte er Filmaufnahmen, wie die englische Luftverteidigung über London deutsche Flugzeuge und V1-Marschflugkörper (Hitlers ‚Vergeltungswaffe') abschoss – dank ‚seiner' Annäherungszünder. So verdeutlichte er, was seine wichtigste Intention bei der Erfindung der Leiterplatte gewesen war. Laut Eisler applaudierten nach dem Vortrag nur zwei Zuhörer im ganzen Saal. Er hatte in Hannover einen Nerv getroffen.

Auch nach der Trennung von Technograph 1957 blieb Eisler passionierter Erfinder. So forschte er intensiv über elektronische Gliedmaßen für gelähmte Parkinsonerkrankte. Dies blieb zwar Zukunftsmusik. Anders sah es mit seiner Entwicklung einer Aluminiumfolie (‚flexible heating film') aus, mit der sich Konservendosen erhitzen oder gefrorener Fisch blitzartig auftauen ließ – für die Herstellung von Fischstäbchen.

Paul Eisler wurde erst spät Würdigung zuteil. Frankreich zeichnete ihn mit dem Pour le Mérite aus, in Italien wurde er zum ‚Academico Corrispondente' der römischen ‚Accademia Tiberina' erhoben. Er starb am 26. Oktober 1992 in London. Noch am Morgen hatte er einem Freund von einer neuen Idee erzählt, die ihm gekommen war: ein mikroskopisch kleiner elektrischer Motor.

Quellen

Paul Eisler: ‚My life with the Printed Circuit', Lehigh University Press, Bethlehem (Pennsylvania, USA), 1989 in der kommentierten Edition von Mari E. Williams, London und Toronto, 1991
Jean Medawar; David Pyke: Hitler’s Gift. The True story of the Scientists expelled by the Nazi regime, Arcade Publishing, New York, 2012
Utz Maas: Frieda Eisler (Artikel), Verfolgung und Auswanderung deutscher Sprachforscher 1933–1945, Frieda Eisler – Verfolgte deutschsprachige Sprachforscher (zflprojekte.de) (Abruf: 07.09.2023)

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 9
  • Jahr: 2023
  • Autoren: Markolf Hoffmann

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