Eugen G. Leuze Verlag KG
×
 x 

Warenkorb leer.
Warenkorb - Warenkorb leer.
Montag, 05 Februar 2024 10:59

Interview: „Es gibt zu wenig Frauen im Elektrotechnikstudium“

von
Geschätzte Lesezeit: 4 - 8 Minuten
Kieler Universitätshochhaus (links) und Auditorium Maximum Kieler Universitätshochhaus (links) und Auditorium Maximum Bild: Jürgen Haacks / Uni Kiel

Lucie Bangert studiert Elektrotechnik im Master an der Universität Kiel. Ihr Weg zum Elektrotechnikstudium ist ungewöhnlich. Ihr Ziel ist es, später im Bereich Forschung und Entwicklung zu arbeiten.

Lucie Bangert

PLUS: Warum hast du dich genau für den Studiengang Elektrotechnik und Informationstechnik entschieden?

Lucie Bangert: Ich weiß nicht genau, wie es dazu kam. Für mich war sehr wichtig, nach Kiel zu gehen und etwas im Ingenieursbereich zu machen. Lange konnte ich mich nicht für einen Studiengang entscheiden – also habe ich mich einfach am letzten Tag, als es noch möglich war, auf der Uniwebsite für den ersten Ingenieursstudiengang eingeschrieben. Elektrotechnik und Informationstechnik war alphabetisch ganz vorne, also habe ich es einfach genommen.

„Elektrotechnik war alphabetisch ganz vorne.“

Wow, aber das ist ja cool, wenn es dann so gut zu dir gepasst hat, dass du den Bachelor fertig gemacht hast und nun einen Master im gleichen Fach machen wirst. Klingt so, als hättest du ein bisschen ‚Studiengangsroulette' mit dem Schicksal gespielt. Seit wann wusstest du, dass du Ingenieurin werden willst?

Ich hatte in meiner Kindheit eigentlich nie viel Bezug zu etwas Technischem. In meiner Schule war ich im Kunstprofil. Als es aufgelöst wurde, haben meine Freunde mich überredet, ins Physikprofil zu wechseln. Ich war zu dem Zeitpunkt nicht mal gut in Physik, aber die Lehrerin war sehr motiviert. Mit ihr sind wir zu Summer Science Schools, XLabs und Projekten für Frauen im Ingenieurswesen gegangen. Das fand ich schon ganz cool und habe erkannt: ich möchte Ingenieurin werden. Aber erst während des Studiums, vielleicht ab dem dritten Semester, habe ich verstanden: Das ist also Elektrotechnik, das will ich wirklich machen.

Du machst jetzt nach deinem Bachelor den Master in Elektrotechnik und Informationstechnik. Was möchtest du später nach der akademischen Ausbildung beruflich machen?

Ich will auf jeden Fall in der Forschung und Entwicklung bleiben. Entweder möchte ich zu einem Fraunhofer-Institut, an die Uni oder in einem anderen großen Institut forschen.

Wann hast du das für dich entschieden?

Ich war vier Monate lang für ein Praktikumssemester an einer polnischen Uni. Dort war ich in der Forschung und habe mich danach an unserer Hochschule in zwei HiWi-Jobs an der Forschung beteiligt – aber auch in der Lehre. Deshalb will ich Forschung, Entwicklung und Lehre später machen.

Also kannst du dir vorstellen, später die nächsten Generationen in diesem Feld zu unterrichten?

Ja genau, als Lehrerin an der Berufsschule oder als Dozentin an einer Uni.

Du hast bestimmt viele Möglichkeiten, vor allem als Frau, die ja seltener im Bereich der Elektrotechnik zu finden sind.

Das habe ich erst während des Studiums mitbekommen, dass so dringend Leute gesucht werden.

Wie erlebst du bislang die universitäre Ausbildung bezüglich Stoffmenge, Komplexität und Wissensvermittlung?

Da ich den Großteil meines Studiums während der Coronazeit gemacht habe, weiß ich nicht so genau, wie repräsentativ meine Erfahrung ist. Ich fand das Studium umfangreich, aber durchaus machbar. Die Grundlagen sind sehr schulbelastet, und wenn man in der Schule in Physik gut aufgepasst hat und vor allem gute Lehrer hatte, ist das Grundstudium sehr machbar. Und danach wird’s dann viel spaßiger, wenn man wählen kann, was einen interessiert, und wenn man sieht, wofür man so viel Mathe gelernt hat. Ich muss sagen: Kiel war einfach zu 100% die richtige Wahl für mich. Es ist eine kleine Uni, weshalb man sehr nah an den Professoren dran ist. Die Lehrenden sind unfassbar darauf bedacht, die Studierenden, die sie haben, auch zu behalten. Es wird viel Wert auf die Praxis gelegt. Ich kann alles in allem sagen, dass ich sehr zufrieden mit der Lehrvermittlung bei uns bin.

Wie viele Frauen gibt es in deinem Studiengang?

Prozentual sind es 9 %. Aber in absoluten Zahlen kann ich es dir auch sagen: es ist genau eine Frau – und das bin ich.[*]

War das von Anfang an so?

Ich studiere in Kiel reine Elektro- und Informationstechnik. Wir waren am Anfang 42 Leute, darunter drei oder vier Frauen. Jetzt haben wir zu zehnt den Studiengang beendet. Von diesen zehn bin ich halt die einzige Frau. Bei den Wirtschaftsingenieuren sind wir mit 80 Leuten gestartet. Etwa die Hälfte machte den Abschluss, darunter fünf oder sechs Frauen. Es gab also wenigstens noch ein paar Frauen in den Vorlesungen, aber ich war sehr oft allein.

Wie war das für dich als oft einzige Frau im Raum?

Ich fand es ehrlich gesagt ziemlich kacke. Als ich am ersten Tag in die Vorlesung gekommen bin – und, wie gesagt, wusste ich ja noch gar nicht, was ich da studiere – habe ich mich umgesehen … es gab nur Männer. Da wollte ich am liebsten gleich wieder aufhören. Aber dann kam meine Professorin und hat eine unfassbar gute Vorlesung gehalten. Da habe ich mir gedacht: O.K., anscheinend gibt’s ja doch Frauen, die das gut können – dann kann ich es auch.

Schon krass, dass trotz der Bemühungen der Hochschule so viele abgebrochen haben. Was glaubst du, woran das liegt?

Bei vielen war der Grund Corona – online studieren war nichts für sie. Ein paar fanden, dass es zu wenig Frauen gibt und sie keine Freunde im Studiengang finden. Und vielen war das Studium zu komplex: zu viel Mathe. Das hatten sie sich anders vorgestellt.

Was müsste sich deiner Meinung nach in der universitären Ausbildung im Bereich Elektronik verbessern?

Bei uns ist es schon sehr gut an der Uni, dass wir viele Projektarbeiten haben. Durch Hausarbeiten und Projektarbeiten lernt man langfristig mehr.

Nochmal zum Thema Abbrecher: Liegt es daran, dass nicht klar gezeigt wird, was das Elektrotechnikstudium beinhaltet, oder liegt es an der schlechten Vorbereitung auf die Studieninhalte?

Naja, ich habe mich auch nicht vorbereitet ...

Du warst bereit, dich überraschen zu lassen. So geht es aber den wenigsten: Die meisten haben, wenn es um das Studienfach geht, klare Vorstellungen. Glaubst du, es wird schlecht kommuniziert, was im Studium stattfindet?

Es liegt schon an der Kommunikation. Dabei ist Elektrotechnik unfassbar vielfältig. Der Lehrstuhl, an dem ich meine Bachelorarbeit geschrieben habe, macht Sensoren, die verschiedene Krankheiten von Pferden detektieren können. Und ich bin Pferdemädchen! Mich hätte allein das komplett davon überzeugt, dass Elektrotechnik ein cooles Feld ist. Windkrafträder sind auch Elektrotechnik. Sie steckt in fast allem, aber das vergisst man immer. Würde man schon in der Schule da herangeführt, würden sich mehr Schüler dafür interessieren. Ich wundere mich ja selbst, warum ich das alles nicht wusste, obwohl ich an Summer Schools teilnahm, neben einem Fraunhofer-Institut wohne und als Kind an den Angeboten teilnahm.

Wenn ich an Ingenieure denke, habe ich sofort Maschinenbauer, Informatiker und Bauingenieure vor Augen. Elektrotechnik fällt da ein bisschen hinten runter.

Bei Elektroingenieuren denkt man gefühlt an den weißen Mann im Karo-Hemd, der irgendwas in seinem Hobbykeller lötet. Dieses Vorurteil zu überwinden, ist halt extrem schwierig – und dann eben auch, junge Leute für eine Ausbildung oder ein Studium in diesem Feld zu motivieren. Auch in Bezug auf mehr Frauen. An der Uni Kiel wurden aber extra Stellen geschaffen für Frauen, die an Schulen gehen und die nächsten Generationen darüber informieren, was Elektrotechnik ist und alles ermöglicht.

Wird das von den Schülern so gut angenommen?

Wenn man in Schulen geht, um eine Präsentation oder Vortrag zu halten, freuen sich die Schüler meist nur, dass Unterricht wegfällt. Aber aktiv zuhören und sich damit auseinandersetzen – das passiert selten.

Ja, stimmt … da ging es mir nicht anders in der Schule.

Im Nachhinein finde ich es schade, dass ich da nicht immer aufgepasst habe und früher erkennen konnte, dass ich Elektrotechnik studieren sollte.

Aber das Alphabet hat dich dann ja trotzdem zur Elektrotechnik gebracht. Was für Erfahrungen hast du in deinem Praxissemester in der Türkei gemacht? Gibt es dort auch einen Fachkräftemangel in der Elektrotechnik wie bei uns?

Die Arbeitsbedingungen sind anders als bei uns. Deshalb wollen viele Studenten nach Deutschland. Ich kann mir vorstellen, dass es viele Elektrotechniker aus anderen Ländern gibt, die bei uns arbeiten wollen, es aber nicht können oder dürfen. Ich finde es absurd: Überall schreit man in Deutschland, es gebe einen Fachkräftemangel. Aber Fachkräfte, die kommen wollen, haben Probleme mit dem aufwendigen Prozess für ein Visum, den auch nicht alle Firmen durchlaufen wollen.

„In absoluten Zahlen gibt es in meinem Studiengang genau eine Frau – und das bin ich.“

Was sind deiner Meinung nach die Hauptgründe für den Fachkräftemangel in der Elektronikindustrie und -forschung?

Die Elektroindustrie ist für ausländische Fachkräfte an sich ja nicht unattraktiv, sondern wird durch zu aufwendige Bürokratie unattraktiv gemacht. Und auch das Studienfach ist ja nicht unbekannt, sondern die Inhalte, die vermittelt werden, vielseitig der Studiengang eigentlich ist und was Elektroingenieure eigentlich genau machen.

Anmerkung

[*] Frau Bangert stellte nach dem Interview klar, dass sich im Masterstudium das Geschlecherverhältnis leicht verbessert hat: Inzwischen studiert sie mit drei Kommilitoninnen.

Thema FachkräftemangelIm Zuge unserer Recherche zum Thema Fachkräftemangel befragen wir Auszubildende und Studierende der Elektrotechnik, Schülerinnen und Schüler sowie andere Akteure und kommende Hoffnungskräfte. Unser Ziel ist es, ein Stimmungsbild der Branche zu ermitteln – und Strategien zu entwickeln, wie man dieser zentralen Herausforderung begegnen kann.

Weitere Informationen

Onlineartikel Suche

Volltext

Autoren

Ausgabe

Jahr

Kategorie

Newsletter

Auf dem Laufenden bleiben? Jetzt unsere Newsletter auswählen und alle 14 Tage die neuesten Nachrichten in Ihrem E-Mail Postfach erhalten:

Der Leuze Verlag ist die Quelle für fundierte Fachinformationen.
Geschrieben von Fachleuten für Fachleute. Fachzeitschriften und Fachbücher
rund um Galvano- und Oberflächentechnik sowie Aufbau- und Verbindungstechnik in der Elektronik –
seit 120 Jahren professionelle Informationen und Fachwissen aus erster Hand.

UNTERNEHMEN

ZAHLARTEN

Paypal Alternative2Invoice
MaestroMastercard Alternate
American ExpressVisa

Zahlarten z.T. in Vorbereitung.

KONTAKT

Eugen G. Leuze Verlag
GmbH & Co. KG
Karlstraße 4
88348 Bad Saulgau

Tel.: 07581 4801-0
Fax: 07581 4801-10

E-Mail: [email protected] oder
E-Mail: [email protected]