Triumphe feierte der Reduktionismus in jüngster Zeit in der Molekularbiologie, in deren Schatten Fakultäten anfingen, ihre Abteilungen für Botanik und Zoologie zu schließen, um alles molekularbiologisch – das Leben durch seine Bausteine – erklären zu können. Bald verkündeten die Wissenschaften mit der Molekularmedizin dem Krebs und anderen Störungen von Körperfunktionen auf den tiefsten Grund gehen zu können. Dabei verwandelten sie die Gesundheit in eine technische Größe, die mit chemischen Mitteln – sprich: Medikamenten – zu optimieren sein müsste. Doch wer sich heute im ärztlichen Milieu umhört, stellt fest, dass das „Molekular“ durch andere Vorsilben ersetzt worden ist und man vermehrt „Systemische Medizin“ treibt. Wer den Blick in die Wissenschaft allgemein schweifen lässt, sieht, dass der Reduktionismus nun durch sein Gegenteil abgelöst wird, der Emergenz. Inzwischen kann man Sätze lesen wie „In der Wissenschaft ergibt nichts einen Sinn ohne die Emergenz“. Neurophilosophen glaubten übrigens schon länger, das Bewusstsein lasse sich nur als emergente Eigenschaft des Gehirns begreifen. Inzwischen scheint tatsächlich alles auf Emergenz zu beruhen, denn bekanntlich ist das Molekül H2O nicht nass, dafür aber das Wasser, das aus ihm besteht. Allgemein scheint es, dass die Wechselwirkungen vieler Einzelteile dank des Auftretens emergenter Eigenschaften etwas völlig anderes ergeben können, als der Reduktionismus beim Zerlegen des ursprünglich Ganzen ausfindig machen konnte. So sehr man sich über die neue Blickrichtung der Wissenschaft freuen kann, so aufregend könnte die Antwort auf die Frage werden, ob auch Maschinenteile zur Emergenz neigen. Man baut einen Computer, um den Schachweltmeister zu schlagen. Was ist, wenn der Apparat nach seinem Erfolg feiern will und um Urlaub bittet? Traut sich jemand, ihm das abzuschlagen?