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Donnerstag, 03 August 2023 14:59

Auf den Punkt gebracht: Zukunft kann man nicht kaufen – Chip Produktion in Europa: Ohne weitere Schlüsselprozesse ist Wertschöpfungskette ein Fragment

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Geschätzte Lesezeit: 4 - 7 Minuten

Kennen Sie die Wertschöpfungskette von Nordsee-Krabben, bevor sie auf dem Krabbenbrötchen landen? Nach dem Fangen und Kochen auf dem Fangkutter, gehen unsere Krabben auf eine Flugreise nach Marokko. Dort erfolgt das händische Pulen aus der Schale durch günstige Arbeitskräfte, bevor sie dann den Rückflug nach Deutschland antreten.

Warum ich Ihnen das erzähle? Weil bei aller europäischen Chipeuphorie mit dem Bau von mit Multimilliarden Euro subventionierten Chipfabriken, um Deutschland und Europa unabhängiger zu machen, die weiteren Prozesse der Wertschöpfungskette vergessen werden.

Die USA denken bei PCB und Substraten weiter

Die US-Regierung hat ein Gesetz über staatliche Förderung in Höhe von 3 Mrd. $ zur Wiederbelebung der Leiterplattenproduktion vorgelegt.

Der überparteiliche ‚Protecting Circuit Boards and Substrates Act of 2023' zielt darauf ab, die mit dem CHIPS Act begonnene Aktivierung der amerikanischen Halbleiterindustrie entlang der Wertschöpfungskette zu vervollständigen. Damit werden Anreize für Investitionen in die heimische Leiterplattenindustrie geschaffen.

Die Leiterplattenproduktion in den USA ist in den letzten 20 Jahren von 30 % auf unter 5 % des Weltmarktanteils geschrumpft. Neunzig Prozent des Weltangebots kommen heute aus Asien, davon allein 56 % aus Produktionsstätten die in China liegen (Abb. 1).

Abb. 1: Leiterplattenproduktion 2022 weltweit nach FirmensitzAbb. 1: Leiterplattenproduktion 2022 weltweit nach Firmensitz

Zu den wichtigsten Bestimmungen des Gesetzentwurfs gehören 3 Mrd. $ zur Finanzierung von Leiterplattenfabrikneubauten, zur Ausbildung von Fachkräften und zur Forschung und Entwicklung. Darüber hinaus gibt es eine Steuergutschrift von 25 % für Käufer von in Amerika hergestellten Leiterplatten und Substraten.

Re-Industrialisierung anstatt europäischer De-Industrialisierung

Der ‚Protecting Circuit Boards and Substrates Act' bietet Anreize für US-Unternehmen gedruckte Schaltungen im Land zu produzieren. Dadurch wird auch die Versorgung von sensiblen militärischen Elektronikbauteilen wiederhergestellt und Systeme für die nationale Sicherheit wie z. B. Luft- und Raumfahrt von Importen unabhängig gemacht. Die amerikanische Regierung möchte neben den Halbleitern das gesamte Ökosystem der Mikroelektronik wieder aufbauen, um die Abhängigkeit von China zu verringern.

Der Halbleiter Markt soll sich
2024 erholen

Mit rund 600 Mrd. $ erreichte der Halbleitermarkt 2021 einen neuen Rekord Umsatz. Ab Mitte 2022 knickte das Wachstum ein, so dass im Gesamtjahr auch 600 Mrd. $ erzielt wurden. Für das laufende Jahr rechnet Gartner mit einem Rückgang von -11,2% auf 532 Mrd. $. 2024 wird ein Wachstum von 18,5% prognostiziert auf einen Jahresumsatz von 631 Mrd. $.

Dabei sind die Wachstumsraten zu Beginn von 2023 sehr inhomogen. Während Taiwan und die USA ein Wachstum von 42% bzw. 50% erzielen, schrumpfen China und der Rest der Welt um -23% bzw. -18% (Tab. 1).

Tab. 1: Halbleiter Umsatz nach Land 1. Q 2023 versus 1. Q 2022Tab. 1: Halbleiter Umsatz nach Land 1. Q 2023 versus 1. Q 2022

Der Markt für Halbleiter-Packaging-Materialien soll bis 2027 auf
29,8 Mrd. $ wachsen

Angetrieben durch die starke Nachfrage nach neuen Elektronikinnovationen wird der globale Markt für Halbleiter-Packaging-Materialien bis 2027 voraussichtlich 29,8 Mrd. $ erreichen (Abb. 2). Dies entspricht einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate (CAGR) von 2,7 % gegenüber dem Umsatz von 26,1 Mrd. $ im Jahr 2022, wie SEMI , TECHCET, der Critical Materials Council und TechSearch International in ihrem neuen Bericht Global Semiconductor Packaging Materials Outlook bekannt gaben.

Hochleistungsrechner, 5G, Künstliche Intelligenz (AI) und die Einführung heterogener Integrationstechnologien und System-in-Package-Technologien (SiP) erhöhen die Nachfrage nach fortschrittlichen Gehäuselösungen (Advanced Packaging). Die Entwicklung neuer Materialien und Prozesse, die Halbleiter mit höherer Transistordichte und größerer Zuverlässigkeit ermöglichen, tragen ebenfalls zum Marktwachstum bei.

Abb. 2: Packaging Material Markt 2022Abb. 2: Packaging Material Markt 2022

TSMC investiert in Backend

Abb. 3: TSMC Fab 6, das im Juni 2023 eröffnete Werk für Advanced Packaging und TestingAbb. 3: TSMC Fab 6, das im Juni 2023 eröffnete Werk für Advanced Packaging und TestingTSMC, die weltgrößte Chip Foundry mit 54% Weltmarktanteil hat im Juni 2023 die ‚Advanced Backend Fab 6' in Hsinchu, Taiwan eröffnet. Es handelt sich um die erste automatisierte Advanced Packaging- und Testfabrik des Unternehmens mit 3D FabricTM-Integration von Front-End- und Back-End-Prozessen und Testdienstleistungen. Die Fabrik ist auf die Massenproduktion von SoIC (System on Integrated Chips) Prozess-Technologie vorbereitet. Es geht dabei um ‚3DFabric Advanced Packaging' und Silicium-Stacking-Technologien, wie SoIC, InFO, CoWoS sowie fortschrittliche Testverfahren.

Der Bau der ‚Advanced Backend Fab 6' begann im Jahr 2020 mit dem Ziel die nächste Generation von High Perfomance Computer (HPC), Künstliche Intelligenz, mobile Anwendungen und andere Produkte zu unterstützen. Die Fabrik soll eine Kapazität von mehr als 1 Mio. 12-Zoll-Wafer äquivalenter 3DFabric-Prozesstechnologie pro Jahr haben und mehr als 10 Mio. Stunden an Testdienstleistungen pro Jahr.

Zur angebotenen Schlüsseltechnologie zählt auch Chiplet-Stacking zur Verbesserung der Chipleistung und Kosteneffizienz.

Macht uns eine Chipfabrik für Subventionen in Höhe von 9,9 Mrd. € zum Selbstversorger?

Die Verträge sind unterschrieben, das Grundstück gekauft und bis 2027 oder 2028 sollen die Chip-Produktion anlaufen. Aber trotz der Rekord Subvention von 9,9 Milliarden € scheint noch nicht klar zu sein, welche Strukturbreiten für welche Applikationen hier produziert werden sollen. ‚Investments advance world-class semiconductor ecosystem' heißt es offiziell von Intel.

State of the Art ist derzeit die Massenproduktion von 3 nm-Nodes (Technologieknoten) beim Technologieführer TSMC mit dem Plan ab 2025 auf 2 nm (N2) zu reduzieren.

Intel versucht aufzuholen und hat bekannt gegeben, 2028 1,4 nm-Nodes produzieren zu wollen.

Aber für Deutschland und Europa geht das an der Sache vorbei. Weder produzieren wir Hochleistungsrechner noch das ‚IPhone 15' in dem in diesem Jahr die ersten 3 nm-Chips verbaut werden sollen. Subventionieren wir also eine Chipfabrik, die in Europa nicht benötigte Halbleitertypen herstellt?

Diese hochsubventionierte Investition bedeutet nicht automatisch die vorzugsweise Belieferung der deutschen oder europäischen Industrie. Vielmehr gelten hier für Intel die globalen Marktverhältnisse.

Entscheidend wird aber die Verfügbarkeit der gesamten Wertschöpfungskette vom Front End bis zum Backend sein. Die Fertigung im Front-End gliedert sich in der Halbleiterbranche in drei Abschnitte:

Front End of Line: Im FEOL beginnt die Fertigung mit dem blanken Wafer und endet mit dem vollständig aufgebauten Transistor, dem Herzstück eines jeden Mikroprozessors und Speicherchips.

Middle of Line: Das MOL bildet die Schnittstelle zwischen FEoL und BEoL. Hier werden so genannte Stresslayer aufgebracht, sowie die Isolierung der Transistoren zur ersten Verdrahtungsebene und die Kontaktierung der Source- und Draingebiete hergestellt.

Back End of Line: Das BEOL umfasst die Metallisierung zur vollständigen Verdrahtung der Schaltkreise sowie die abschließende Passivierung.

Nach dem Front-End erfolgt die Kontaktierung der fertigen Chips und die Chipvereinzelung im Back-End. Hierzu gehört auch der Testing-Prozess und die Chip-Endmontage (Packaging), welche nach wie vor in Asien erfolgen.

Auf den Punkt gebracht

  1. Die US-Regierung fördert mit dem 3 Mrd. $ ‚Protecting Circuit Boards and Substrates Act of 2023' ihre Leiterplatten und Substrate Industrie. Damit soll entlang der Wertschöpfungskette vom Wafer über den verpackten Chip bis zur funktionsfähigen Baugruppe Zugriff auf alle Prozess-Schritte im Land verfügbar sein.
  2. Auch wenn nach Firmensitz nur 31 % aller Leiterplatten von chinesischen Herstellern produziert werden, so ist doch der chinesische Einfluss ungleich größer. Von den 32 % die taiwanesische Firmen am Leiterplatten Weltmarkt nach Firmensitz halten, liegt die Mehrheit der Produktion im Mainland China und unterliegt damit jederzeit dem Zugriff des chinesischen Staates.
  3. Die großen Anstrengungen der USA eine schlagkräftige Halbleiterindustrie im Land bzw. außerhalb Chinas aufzubauen, erkennt man auch am 50%igen Wachstum der Chipumsätze 1. Q 2023 versus 1. Q 2022.
  4. TSMC hat soeben die Fab 6 in Hsinchu, Taiwan eröffnet. Dieses Werk erweitert die hauseigenen Kapazitäten für das Advanced Packaging und das Testing erheblich. Man entwickelt vom Auftragsfertiger (Foundry) Richtung Integrated Device Manufacturer (IDM) wie Intel.

Die gesamte Wertschöpfungskette beim Chip beginnt mit der grundlegenden Chip Architektur Entwicklung, die z. B. ARM erstellt. Fabless Manufacturer wie Qualcomm, Apple, NVIDIA entwickeln dann das fertige Prozessoren-Design. Foundries wie der Weltmarktführer Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC) produzieren den Chip und übernehmen teilweise das Testing und Packaging. Dazu kommen Substrate-Hersteller wie AT+S, ebenso wie Hersteller von ABF (Anjinomoto Buildup Film) für die mSAP Technologie sowie andere additive und semi-additive Verfahren! Last but not Least Equipment Hersteller wie die holländische ASML als Marktführer von EUV Lithographie Systemen …

Womit wir bei der mit 9,9 Mrd. € subventionierten geplanten Chip-Produktion von Intel in Magdeburg wären. Vielleicht wird es ein Leuchtturmprojekt, aber es bleibt allenfalls ein sehr teurer kleiner Schritt, um mit einer Chip-Produktion Selbstversorger zu werden.

Abb. 4: Modell der Intel Chipfabrik in Magdeburg Produktion Ramp-up 2027/2028Abb. 4: Modell der Intel Chipfabrik in Magdeburg Produktion Ramp-up 2027/2028

Die Investition in die deutsche Infrastruktur, Digitalisierung, Bildung etc., um Deutschland wieder attraktiver für Investitionen zu machen, wäre sinnvoller gewesen.

Zukunft kann man nicht kaufen, schon gar nicht mit Planwirtschaft!

Mit sommerlichen Grüßen
Ihr
Hans-Joachim Friedrichkeit

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  • Ausgabe: 7
  • Jahr: 2023
  • Autoren: H. J. Friedrichkeit

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