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Dienstag, 05 April 2022 12:00

Chip Act weckt Erwartungen

von Heiko Weckbrodt
Geschätzte Lesezeit: 9 - 17 Minuten
Die EU-Kommission will mit dem europäischen Chip-Gesetz die Mikroelektronik stärken Die EU-Kommission will mit dem europäischen Chip-Gesetz die Mikroelektronik stärken Christophe Licoppe für die EU-Kommission

Lang erwartete Nachrichten aus Brüssel schüren die Hoffnungen auf einen stabilen Aufschwung in der sächsischen und in der gesamten deutschen Elektronikindustrie.

Dirk Röhrborn, Silicon SaxonyDirk Röhrborn, Silicon SaxonyEU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat dieser Tage den bereits vor Monaten angekündigten Entwurf für ein eigenes europäisches Chipgesetz vorgestellt. Dieser ‚EU Chip Act' lehnt sich an seinen Namensvetter aus den USA an. Wie dieser soll er die Wettbewerbsfähigkeit, Marktstärke und Resilienz der heimischen – in diesem Fall also in der EU ansässigen – Halbleiterindustrie deutlich verbessern. Dafür verspricht er milliardenschwere Hilfen.

Von der Leyern gibt vor allem ein großes Ziel vor: Bis 2030 soll der Anteil der europäischen Mikroelektronik am Weltmarkt auf 20 % steigen. Schon 2013 hatte die damalige Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes genau dasselbe Ziel für 2020 ausgerufen. Tatsächlich aber war nach Ablauf dieser Zeit Europas Anteil nicht gestiegen, sondern laut unabhängigen Marktbeobachtern von 10 % auf 6 bis 7 % gesunken. Um das neue Etappenziel zu erreichen, hat von der Leyen unter anderem bis 2030 rund 45 Mrd. € Investitionen versprochen. Allerdings handelt es sich dabei nur teilweise um zusätzliche Subventionen. Einen wesentlichen Teil der Summe soll die Industrie selbst bezahlen. Generell will die Kommissionspräsidentin zudem die Subvention neuartiger Chipfabriken sowie den Aufbau stärker verzweigter Lieferketten besser unterstützen.

In ersten Reaktionen begrüßten Politiker und Branchenvertreter den Gesetzentwurf aus Brüssel. Gerade in Sachsen, größter deutscher Mikroelektronik-Standort, ist man froh, dass die EU mitten in der Chip-Zulieferkrise der Halbleiterbranche endlich Top-Priorität einräumt. Allerdings wurde auch mehr Tempo bei der Realisierung früherer Versprechen gefordert.

„Der Chip Act ist eine sehr gute Basis, wirtschaftliches Engagement der Chipindustrie in Europa und im Silicon Saxony zu halten und neue Investitionen zu ermöglichen, wie sie zum Beispiel Intel oder TSMC für Europa in Aussicht gestellt haben“, erklärte derweil Dirk Röhrborn, Vorstandsvorsitzender des sächsischen Hochtechnologie-Wirtschaftsverbands ‚Silicon Saxony'. Allerdings sei mehr Tempo „dringend geboten (...), um im weltweiten Wettbewerb um Investitionen in neue Produktionskapazitäten nicht noch stärker ins Hintertreffen zu geraten“.

Röhrborn verwies etwa darauf, dass die Halbleiterbranche immer noch auf eine „rechtsverbindliche Zusage“ für die vor über einem Jahr avisierten Sonder-Milliarden für ,Wichtige Projekte von gemeinsamem europäischen Interesse' (IPCEI) warte. Mit Blick auf das neue Chipgesetz müsse „die neue Bundesregierung bis März einen Haushalt vorlegen, dessen Budget den formulierten Ambitionen gerecht wird“, forderte der Verbandsvorsitzende.

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sieht im EU Chip Act eine wichtige Entscheidung „und eine große Chance für Sachsen als bedeutendster Mikroelektronik-Standort in Europa“. Denn das Chipgesetz sehe vor, „bis zum Jahr 2030 rund 45 Milliarden Euro für das europäische Mikroelektronik-Ökosystem zur Verfügung zu stellen. Davon sollen Forschung und Pilotprojekte genauso profitieren wie Start-ups.“ Und mit Blick auf erhoffte Investitionsentscheidungen von Intel, TSMC oder Samsung für den Bau großer Halbleiterfabriken in oder bei Dresden hob Kretschmer hervor: „Auch der Bau sogenannter ‚Megafabs' für die Produktion von Mikrochips soll unterstützt werden.“ Zur Erinnerung: Vor allem die Bundesländer Sachsen-Anhalt, Bayern und Sachsen machen sich große Hoffnungen darauf, dass diese Vorhaben der Branchenriesen aus den USA, Taiwan oder Südkorea demnächst in oder bei Dresden, München oder Magdeburg entstehen. Und das wird definitiv nur geschehen, wenn EU und Bund beziehungsweise das jeweilige Bundesland mindestens 30 % der Investitionen subventionieren.

Roboter in der Fertigungsumgebung Roboter in der Fertigungsumgebung

Die Dresdner Softwareschmiede Dualis fördert Frauen in IT und Industrie 4.0. Hier diskutieren Sophie Apelmeier (l.) Heike Wilson und Evelin Dietrich (r.) eine Visualisierung Die Dresdner Softwareschmiede Dualis fördert Frauen in IT und Industrie 4.0. Hier diskutieren Sophie Apelmeier (l.) Heike Wilson und Evelin Dietrich (r.) eine Visualisierung Neben dem EU Chip Act und den Hoffnungen auf Großinvestitionen befeuern zudem gut gefüllte Auftragsbücher die Stimmung in Sachsens Hightech-Wirtschaft: Viele Marktforscher und Schlüsselunternehmen aus der Branche wie Infineon und Bosch gehen davon aus, dass der aktuelle Halbleiter-Engpass im Automobilbau und weiteren Industriezweigen mindestens bis Ende 2022 anhalten wird. Das mag schlecht für die deutsche Volkswirtschaft im Ganzen sein, sorgt aber für lange Zeit eben auch für volle Auftragsbücher in der Mikroelektronik sowie in den elektronischen wie auch elektrotechnischen Fertigungsbetrieben.

Die werden den Nachfragestau allerdings nur richtig nutzen können, wenn sie eigene Kapazitätsprobleme aus dem Weg räumen können. Und ganz oben steht da mit auf der Liste der anhaltende Fachkräftemangel. Allein in der sächsischen Software-Branche fehlen in den nächsten Jahren rund 1000 Absolventen pro Jahr, und auch in der Halbleiterbranche selbst sind die einstigen Fachkräfte-Reserven aus DDR-Zeiten längst aufgebraucht.

Viele Unternehmen reagieren deshalb aktuell mit forcierter Nachautomatisierung: Sie versuchen, immer mehr Arbeitsschritte Robotern zu übertragen, autonome Transportsysteme einzusetzen und auf anderen technologischen Pfaden Lösungen für Tätigkeiten zu finden, für die sich einfach nicht genug Bewerber finden.

Mehr Frauen in MINT-Berufen

Ein Ansatz ist auch, mehr Frauen für Elektronik und Informationstechnologie zu begeistern. Dieses Bemühen über Jahre hinweg trägt Früchte, das Interesse von Frauen an MINT-Karrieren wächst – wenn auch langsam. Allerdings sind sie in vielen einschlägigen Studienfächern weiterhin stark unterrepräsentiert: An der TU Dresden beispielsweise liegt der Frauenanteil in den ingenieurwissenschaflichen Studiengängen immer noch unter 20 %. An der TU Chemnitz liegt der Studentinnen-Anteil in diesem Sektor ähnlich niedrig. Die Aufwärtsentwickling ist indes unübersehbar: Lag die Frauenquote unter den Studierenden an der Chemnitzer Fakultät für Elektrotechnik, Elektronik und IT im Wintersemester 2008/09 erst bei 7,8 %, lag er zehn Jahre später bei 18,6 %.

Vielversprechende Initiativen mit gleicher Zielrichtung gibt es auch in der Wirtschaft. Sie hat großes Interesse daran, angesichts der demografischen Entwicklung in Sachsen dieses Fachkräftepotenzial zu erschließen. Unternehmerin Viola Klein gilt als eine Vorreiterin dieses Trends: Noch während der politischen Wende in Ostdeutschland gründete sie im Frühjahr 1990 in Dresden das Saxonia-Bildungsinstitut, aus dem binnen weniger Jahre mit ,Saxonia Systems' eine leistungsstarke Softwareschmiede erwuchs. Seither rührt sie auch die Werbetrommel für Frauen in der Hochtechnologie-Wirtschaft, hat gar einen eigenen Preis für begabte Nachwuchsakademikerinnen in diesen Branchen ausgelobt.

„Die zunehmende Digitalisierung bringt einen erhöhten Bedarf an hochqualifizierten Fachkräften mit sich und bietet für alle Beteiligten eine große Chance, Menschen aller Geschlechter entsprechend zu fördern“, argumentiert auch Heike Wilson, die Geschäftsführerin des Dresdner Software-Unternehmens ,Dualis GmbH IT Solution'. „Gerade der Wandel in Richtung Arbeitsmodelle, die von Mobilität und Flexibilität geprägt sind, ermöglichen zum Beispiel eine hohe Vereinbarkeit von Familie und Beruf.“ Der Frauenanteil im Team liege mittlerweile bei 33 % – und damit fast doppelt so hoch wie in der gesamten IT-Branche in Deutschland (18 %). Um mehr Frauen zu gewinnen, setzt Wilson laut eigenem Bekunden unter anderem auf eine offene Führungskultur und flache Hierarchien im Unternehmen. Auch sei es wichtig, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Freiräume einzuräumen und Kreativität zu fördern.

Allerdings seien noch viele Hürden zu überwinden, bevor die Branche weitere Fachkräfte-Potenziale erschließen könne, betont Heike Wilson: „Insbesondere in der IT-Branche gibt es nach wie vor zu viele veraltete Rollenbilder“, schätzt sie ein. „Um höhere Diversität zu erreichen, braucht es mehr ‚Role Models' und Aufklärung.“

Erfolgreiche IT-Unternehmerinnen als Vorbilder

Keyvisual des Projekts NeurOSmartKeyvisual des Projekts NeurOSmartSolche Rollenvorbilder lassen sich gerade in der Hightech-Gründerszene in Sachsen einige finden: Erst jüngst beispielsweise erhielt die junge Nanotech-Firma Smartnanotubes Technologies, die in Freital bei Dresden an einer ,künstlichen Nase' auf der Basis eines Nanoröhrchen-Multigassensors arbeitet, eine Millionen-Kapitalspritze vom Cottonwood Technology Fund und weiteren Risikoinvestoren. Eine der Gründerinnen dieses Erfolgs-Start-ups war Dr. Birte Sönnichsen von der TU Dresden.

Ein anderes Beispiel ist Packwise: Das sächsische IoT-Unternehmen ist auf die digitale Echtzeit-Verfolgung von Verpackungsbehältern spezialisiert und wurde für seine Lösungen mehrfach ausgezeichnet. Verantwortlich zeichnet auch hier eine Frau: Gründerin und Geschäftsführerin Gesche Weger hat das Unternehmen auf Wachstumskurs gebracht.

Weiblich geleitet wird auch das Dresdner KI-Unternehmen Novum engineerING. Geschäftsführerin Mandy Schipke verkündete vor wenigen Tagen erst eine neues, prestigeträchtiges Vorhaben: Die Künstliche Intelligenz (KI) von Novum wird Batterien bei der Jungheinrich-Tochter JT Energy Systems tiefenanalysieren, um deren Lebensdauer zu verlängern.

Menschliches Gehirn als Vorbild

RISC-V Prozessor IP-Core EMSA5RISC-V Prozessor IP-Core EMSA5Auf Künstlicher Intelligenz basiert übrigens auch das Fraunhofer-Leitprojekt NeurOSmart, das auf analoge neuromorphe Beschleuniger für bessere Sensoren zielt. Als Vorbild dient dabei das menschliche Gehirn, das trotz seiner enormen Rechenleistung sehr energiesparend Entscheidungen treffen kann. Letztlich sollen die NeurOSmart-Technologien intelligente Maschinen in die Lage versetzen, sich in Echtzeit mit einer komplexen Umgebung zurecht zu finden, beispielsweise in einer von Menschen und Robotern bevölkerten Fabrik. Beteiligt sind hier insgesamt fünf Forschungseinrichtungen, darunter das Fraunhofer-Institut für Photonische Mikrosysteme in Dresden. Das IPMS wird unter anderem den Schaltkreis für den neuromorphen Beschleuniger auf der Basis eines RISC-V-Prozessorkerns vom Typ EMSA5 entwickeln. Außerdem trainiert das Dresdner Photonikinstitut den Beschleuniger darauf, möglichst effizient Daten von Lidar-Sensoren auszuwerten.

Ein weiteres Thema, mit dem sich sächsische Fraunhofer-Institute im Silicon Saxony derzeit beschäftigen, ist die Endverdrahtung von Leistungshalbleitern – passend zur Forderung im eingangs genannten Chip Act aus Brüssel, wieder mehr Backend-Prozessschritte in Europa zu realisieren. Hintergrund ist unter anderem die steigende Nachfrage nach Leistungselektronik: Schaltkreise und Bauelemente, die auch starke Ströme und hohe Spannungen vertragen, werden für Elektroautos genauso benötigt wie für Solar- und Windenergieanlagen oder auch für schnellladende Smartphone-Netzteile. Gerade in diesem Leistungs-Segment werden viele Bauelemente und Schaltkreise zwar in Europa hergestellt und später auch verbaut, doch für die Endmontage und Kontaktierung machen sie in vielen Fällen einen ,Abstecher' nach Asien.

ENAS bondet Leistungshalbleiter mit induzierten Wirbelströmen

Teams vom Fraunhofer-Institut für Elektronische Nanosysteme (ENAS) in Chemnitz und von der TU Chemnitz (TUC) haben nun gemeinsam mit dem japanischen Elektronikunternehmen Shinko eine neue Methode entwickelt, um Leistungselektronik-Chips weit schneller als bisher zu komplexen Baugruppen zu ,verdrahten'. Dabei bonden sie die Leistungshalbleiter mit Wirbelströmen, die sie mit speziellen kleinen Induktionsspulen erzeugen. „Vor allem für Hersteller von Baugruppen der Leistungselektronik ist dieses Verfahren revolutionär, da die Dauer von Fügeprozessen deutlich verringert und die thermische Beeinflussung aller Fügekomponenten reduziert wird“, sind die Enas-Spezialisten überzeugt.

Denn das neuentwickelte System kann die Materialien, die Chips mit Leiterplatten oder untereinander verbinden, sehr schnell und punktgenau erhitzen, ohne die umliegenden Bauteile mit zu erwärmen und zu beschädigen. Dafür stecken Maschinen die Chips auf ‚Direct bonded copper' (DBC) genannte Basisplatten und platzieren silberhaltige Pasten an die Kontaktstellen der Schaltkreise. Dann induzieren die Spulen Wirbelströme in das Silber. Binnen fünf Sekunden können sie das Material auf 300 °C erhitzen. Nach dem Erkalten sind dadurch die Chips dauerhaft in der gewünschten Schaltung elektrisch verbunden (siehe auch F&T-Teil in kommender Ausgabe 4 der PLUS).

Mikrolabore doppelt so schnell in die Großserie überführen

Im Projekt SIMPLE-IVD werden Designregeln entwickelt und getestet, mit denen es möglich ist, In-Vitro-Diagnostik-Kartuschen funktional gleichwertig über verschiedene Herstellungsverfahren zu produzieren Im Projekt SIMPLE-IVD werden Designregeln entwickelt und getestet, mit denen es möglich ist, In-Vitro-Diagnostik-Kartuschen funktional gleichwertig über verschiedene Herstellungsverfahren zu produzieren Um weitere Wertschöpfungsschritte der Elektronik und verwandter Technologiebranchen aus Asien nach Europa zurückzuholen, wird wohl auch ein flexibler und schnellerer Transfer von Innovationen aus hiesigen Forschungseinrichtungen in eine wirtschaftliche Verwertung nötig sein. Dies exerziert derzeit das Fraunhofer-Institut für Werkstoff- und Strahltechnik (IWS) in Dresden anhand einer Prozesskette durch, die während der Corona-Pandemie besondere Bedeutung erlangt hat. Die Rede ist von sogenannten ‚Lab on Chip'-Diagnosesystemen, die bei Blutanalysen sowie Blutzucker- und Schwangerschaftstests bereits im Alltag angekommen sind. Künftig sollen solche Mikrolabore doppelt so schnell in die Massenproduktion überführbar sein wie bisher. Dabei helfen neue Designregeln, die das IWS gemeinsam mit Partnern aus der ostdeutschen Wirtschaft entwickelt hat. Mit diesem neuen Regelwerk ist es möglich, mit Prototypen-Technologien wie etwa per 3D-Druck im Labor entwickelte Mini-Diagnosesysteme rasch auf die Massenproduktion in Spritzgießmaschinen und ähnlichen Industrieanlagen umzustellen.

Die Teams aus Forschung und Wirtschaft haben sich dabei auf Systeme konzentriert, mit denen sich kleine Blut- oder Speichelproben von möglicherweise erkrankten Menschen gleich vor Ort auswerten lassen. Sie bestehen in der Regel aus einem Kunststoff-Träger, in den Kanäle für die Körperflüssigkeiten eingraviert und die stark miniaturisierte Auswerte-Labortechnik integriert sind. Sie sind nicht nur für Antigen-Schnelltests geeignet, sondern auch für viele andere Schnellanalysen in Arztpraxen, Pflegeheimen und daheim: „Gerade in der personalisierten Medizin werden sie in Zukunft eine bedeutende Rolle spielen“, ist Biosystemtechnik-Experte Dr. Frank Sonntag vom IWS überzeugt. Denn wofür früher viel Zeit und große, teure Labortechnik nötig war, das lässt sich nun in Chiplaboren mit winzigen Patientenproben automatisch und oft binnen weniger Minuten analysieren.

Florian Schmieder vom Fraunhofer IWS überprüft den Prototyp einer komplexen In-Vitro-Diagnostik-Kartusche zur Blutseparation. Das Fraunhofer IWS entwickelt im Projekt SIMPLE-IVD mit Industriepartnern neue Methoden zur kosteneffizienten Produktion solcher KartuschenFlorian Schmieder vom Fraunhofer IWS überprüft den Prototyp einer komplexen In-Vitro-Diagnostik-Kartusche zur Blutseparation. Das Fraunhofer IWS entwickelt im Projekt SIMPLE-IVD mit Industriepartnern neue Methoden zur kosteneffizienten Produktion solcher KartuschenZwar haben in den vergangenen Jahren viele Forschungsinstitute und Unternehmen derartige Labore in Chipgröße entwickelt – doch nur wenige davon erreichten die Marktreife. Als großes Problem erwies sich nämlich immer wieder der Sprung von der Manufakturfertigung im Labor hin zur Massenproduktion in Industriebetrieben mit ihrem typischen Anlagenpark – eben zum Beispiel Spritzgießmaschinen statt 3D-Drucker oder Rolle-zu-Rolle-Laminiermaschinen statt händischer Polymerfolien-Schichtung. „Bisher mussten Hersteller für die Skalierung in ein anderes Verfahren noch einmal ganz von vorn beginnen“, betonte Florian Schmieder vom IWS, der das Projekt ,Skalierbare Mikrofertigung polymerer In-Vitro-Diagnostik-Systeme' (Simple-IVD) koordiniert hat.

Um dies zu ändern, entwarfen die Projektpartner ein computergestütztes Regelwerk für neue Schnelltests und anderer Lab-on-Chip-Systeme. Diese Regeln sorgen dafür, dass schon während der Entwicklung der spätere Umstieg auf Massenproduktionsverfahren berücksichtigt wird. Auch wird es dadurch umgekehrt leichter, bei sinkender Nachfrage wieder auf Kleinserien-Technologien zurück zu gehen. Diese neuen Designregeln lassen bisher bereits den Umstieg zwischen Verfahren wie Spritz- und Vakuumguss, Multilagen-Lamination, Tiefziehen und mehreren additiven Verfahren wie beispielsweise mit Kunststoff-3D-Druckern zu. „Künftig werden wir die Palette stetig erweitern“, kündigte Schmieder an.

OpenRAN zielt auf 5G-Campusnetze

Daneben bestimmen auch weiter viele Vorhaben rings um das ,Industrielle Internet der Dinge' (IIoT) und Industrie 4.0 die Aktivitäten im Mikroelektronik-Dreieck Dresden-Freiberg-Chemnitz. So entwickeln derzeit Funktechnik-Spezialisten aus Dresden gemeinsam mit weiteren Partnern besondere deutsch-französische Campusnetze, die auf dem Mobilfunk der 5. Generation (5G) und herstellerunabhängigen Netzwerkarchitekturen nach dem OpenRAN-Prinzip basieren. Es geht laut Bundeswirtschaftsministerium um „offene und/oder virtualisierte Hardware- und Softwarelösungen auf der Grundlage einer offenen Architektur“. An diesem ,5G-Opera'-Projekt beteiligt sind unter anderem die TU Dresden, der Smart Systems Hub Dresden und das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (IIS) aus Erlangen.

Der Kobot im IoT-Labor lässt sich per Tablet anlernen und steuernDer Kobot im IoT-Labor lässt sich per Tablet anlernen und steuern

Dahinter steht die Idee, nach außen abgeschottete Privatfunknetze für hochautomatisierte Industrie 4.0-Fabriken, für Kommunen, Krankenhäuser und andere Akteure in Europa zu schaffen und sich dabei unabhängiger von Spezialtechnik-Zulieferungen aus China und Skandinavien zu machen.

Die sächsischen Projektpartner sind unter anderem an Bord, weil die TU Dresden und ihr ‚5G Lab Germany' seinerzeit den Mobilfunk der 5. Generation mitentwickelt hatten. Die Uni-Ausgründung ,Campusgenius' wiederum ist auf schnell aufbaubare 5G-Campusnetze spezialisiert. Und der ‚Smart Systems Hub' betreibt vernetzt zahlreiche Akteure aus diesem Technologiesektor.

Smart Systems Hub baut IoT-Experimentallabor aus

Timon Hitz von Wandelbots lernt im IoT-Labor vom Smart Systems Hub einen Roboter an, Teiglinge auf ein Blech zu sortierenTimon Hitz von Wandelbots lernt im IoT-Labor vom Smart Systems Hub einen Roboter an, Teiglinge auf ein Blech zu sortierenEben dieser Smart Systems Hub hat gerade mit Blick auf das wachsende Interesse der Wirtschaft am Zusammenspiel von Industrie 4.0-Lösungen, IIoT, 5G-Campusnetzen und Hyperautomatisierung sein ‚IoT-Lab’'in Dresden ausgebaut. In dem 50 Quadratmeter großen Labor können nun Unternehmen und Institute beispielsweise Roboter durch Clouds mithilfe des Mobilfunks der 5. Generation (5G) fernsteuern. Zur Verfügung stehen dort auch modular umbaubare Sensorknoten für Maschinen, Roboter und andere Geräte. Außerdem gibt es für die wechselnden Labornutzer verschiedene Gateways zwischen lokaler Sensorik und der Rechentechnik am Netzwerkrand (Edge Clouds) oder weiter entfernten Hochleistungs-Rechenzentren. Vernetzen lassen sich hier die ,Dinge' im Internet der Dinge über Mobilfunk, WLAN und andere Technologien. Besonders interessant: Im IoT-Lab ist ein eigenes, nach außen abgeschottetes 5G-Campusnetz aufgespannt – also ein Netz, in das sich nur die Menschen, Maschinen, Roboter und Mobilgeräte des jeweiligen Labornutzers einwählen können.

„Mit unserem IoT-Lab schaffen wir für unsere Partner und Kunden ein Experimentierfeld, in dem sie eigene neue Produkte und Dienstleistungen praktisch testen können“, erklärt Hub-Chef Michael Kaiser. Ein besonderer Fokus liege auf industriellen Anwendungen und der 5G-Vernetzung. „Zahlreiche Akteure stehen in den Startlöchern und möchten diese neuen Technologien für ihre Geschäftsentwicklung nutzen. Doch viele fürchten hohe Einstiegsinvestitionen und sind sich unsicher, ob ihre Produktideen in der Praxis auch funktionieren und sich amortisieren. Im IoT-Lab können sie das erproben und unterschiedliche Vernetzungstechniken, Cloud-Anbindungen, Schnittstellen sowie moderne Robotiklösungen kombinieren.“

Zu den ersten Labornutzern gehört das Dresdner Unternehmen Deltec electronics GmbH: „Wir entwickeln derzeit ein IoT-Starterkit, das unseren Kunden den Einstieg ins Internet der Dinge erleichtern soll“, berichtet Geschäftsführer Uwe Wagner. „Diesen Koffer wollen wir hier beim Smart Systems Hub praktisch testen.“ Und auch ganz neue digitale Geschäftsmodelle möchten Unternehmen in dem IoT-Labor testen, darunter Branchengrößen wie SAP, Infineon oder Globalfoundries ebenso wie agile Start-ups. Dabei machen Kürzel wie RaaS (Robot as a Service) und HaaS (Hardware as a Service) die Runde. Die Idee dahinter: In Zukunft werden mehr und mehr Unternehmen ihre Anlagen nicht mehr kaufen, sondern nur die Nutzungszeit der digital verwalteten Dienstleistung bezahlen – ähnlich wie bei den Nutzentgelt-Modellen in der Softwarebranche oder in der Shared Economy. „Das ist ein prosperierender Markt, den wir zusammen mit dem Smart Systems Hub und weiteren Partnern, wie zum Beispiel Objective Partner, entwickeln wollen“, meint Mirko Paul vom Software-Unternehmen SAP. „Im IoT-Lab erstellen wir die dafür notwendige, wiederverwendbare Umgebung, also eine Art Architektur-Blaupause.“

,Spielwiese' für neue Geschäftsmodelle wie Mietnutz-Robotik

Ein denkbares Szenario dafür sind zum Beispiel Fabriken, die ihre Roboter nicht rund um die Uhr selbst auslasten können. Diese Unternehmen könnten diese Roboter dann in ,Totzeiten' an kleine oder mittelständische Betriebe für Auftragsarbeiten – beispielsweise einen Montageauftrag – verleihen und die Nutzung stundenweise abrechnen. Vorteile hätte dieses RaaS-Konzept für beide Seiten: Der Mittelständler spart sich den Kauf eines Roboters, denn er später doch nur ab und zu mal braucht. Und die Roboterfabrik oder der Roboterbesitzer wiederum können ihre Maschinenparks besser auslasten.

Dieses RaaS-Geschäftsmodell funktioniert allerdings nur, wenn der Roboter auch rasch für ständig wechselnde Aufgabe angelernt werden kann. Deshalb ist in vielen dieser Projekte die Dresdner TU-Ausgründung Wandelbots involviert, die sich auf eben solch eine preiswerte und rasche No-Code-Robotik spezialisiert hat. Die Dienste dieses innovativen Unternehmens haben sich inzwischen herumgesprochen: Im Januar bekam Wandelbots eine kräftige Risikokapital-Spritze im Umfang von 84 Mio. €. Mit dem Geld sollen die Ingenieurinnen und Ingenieure ihre Technologie an weitere Robotertypen anpassen. „Ihre beeindruckenden Partnerschaften und ihr herausragendes Technologie-Know-how haben Wandelbots zu einem führenden Unternehmen in der Robotik gemacht“, begründete Philine Huizing von Insight Partners das Engagement der Amerikaner in Dresden. „Die langfristige Vision von Wandelbots ist es, mit einer universellen Software das heute so fragmentierte Ökosystem der Robotik zu vereinen.“

Ein eigenes KI-Sprach-modell für Europa

Und noch ein weiterer technologischer Wettlauf treibt Forscher und Ingenieure im Silicon Saxony und darüber hinaus um: Der große Vorsprung von Nordamerika und Asien in den KI- und Cloud-Technologien. Die sächsische Hightech-Szene beteiligt sich daher an einer Antwort Europas auf sprachbegabte KI aus den USA und China. Gemeinsam mit Partnern aus ganz Deutschland wollen die Sachsen ein eigenes europäisches KI-Sprachmodell namens ‚Open GPT-X' entwickeln. Solche Modelle versetzen KIs beispielsweise in die Lage, komplexe Texte zu verstehen, sich als Roboter-Journalist zu verdingen oder Unternehmens-Kunden zu betreuen. Im Fokus stehen bei Open GPT-X spezielle KIs, die europäische Sprachen und den EU-Datenschutz beherrschen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck fördert dieses Vorhaben mit knapp 15 Mio. € aus dem GaiaX-Programm.

Die TU Dresden steuert für dieses Großprojekt über ihr Zentrum für Informationsdienste und Hochleistungsrechnen (ZIH) unter anderem die Dresdner Supercomputer-Kapazitäten bei. Gemeinsam mit dem sächsischen KI-Forschungszentrum Scads.AI wollen die ZIH-Experten beispielsweise „die Performance der Sprachmodelle untersuchen“, kündigte Scads.AI-Chef Dr. René Jäkel an. „Neben der Güte der Vorhersagen solcher Modelle werden zunehmend Aspekte wie parallele Effizienz und Energieverbrauch beim Training der Modelle wichtig. Insbesondere bei den im Projekt angestrebten großen Sprachmodellen ergeben sich hohe Einsparpotenziale.“

Zur Person

Thumb Plus 2022 03 0001Heiko Weckbrodt ist freier Journalist und Wirtschaftshistoriker in Dresden. In seinem Nachrichtenportal oiger.de sowie als Gastautor für verschiedene Medien berichtet er tagtäglich über die Wirtschaft und Wissenschaft in Sachsen.

Quellen:

EU-Kommission, Sächsische Staatskanzlei, Bitkom, Silicon Saxony, Oiger.de, TU Dresden, TU Chemnitz, Fraunhofer Enas, Fraunhofer IPMS, Fraunhofer IWS, BWMi, Smart Systems Hub, SAP, Wandelbots, Novum, Packwise, Deltec electronics, Dualis, Smartnanotubes Technologies, Scads.AI

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 3
  • Jahr: 2022
  • Autoren: Heiko Weckbrodt

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