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Donnerstag, 29 Juni 2023 09:12

Schallplatten: Von Vätern, Müttern und Söhnen

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Geschätzte Lesezeit: 5 - 10 Minuten
Das Endprodukt: Die Pressmatrize, der so genannte Vater Das Endprodukt: Die Pressmatrize, der so genannte Vater

Als sich anfangs der 1990er Jahre die CD endgültig im Markt etabliert hatte, sagte man Tonträger aus Vinyl tot. In der Tat brachen damals die Verkäufe der schwarzen Scheiben innerhalb weniger Jahre auf unter ein Prozent des Gesamtmarktes zusammen. Ein paar Aufrechte allerdings hielten analogen Singles und LPs die Stange. Einer von ihnen ist Björn Bieber, der sich auf die Galvanoformung von Pressmatrizen spezialisiert hat – und als Ein-Mann-Unternehmen Aufträge aus der ganzen Welt bearbeitet.

Vinylplatten sind wie Oldtimerautos: Sie sind anfällig, unpraktisch, haben Macken und darüber hinaus sind sie noch schwierig herzustellen. Aber Liebhaber schwören auf den warmen Klang, das dezente Knistern im Klangteppich und das sinnliche Gefühl, wenn man die schwarz-glänzenden Scheiben aus ihrer Hülle schält.

Absatz von Tonträgern der vergangenen Jahre (Quelle: Deutsches Musikinformationszentrum/Musikindustrie in Zahlen)

Deshalb – oder trotzdem? – war die analoge Schallplatte in den 1990er Jahren quasi tot. 1994 wurden in Deutschland insgesamt 166,2 Millionen CDs aber nur 0,7 Millionen Platten verkauft. Das waren gerade mal 0,4 Prozent des Gesamtmarktes (weitere Zahlen in der Tabelle).

„Schallplatten sind wirklich unpraktisch“, gesteht Björn Bieber

„Schallplatten sind wirklich unpraktisch“, gesteht Björn Bieber, der seinen Lebensunterhalt doch mit der Herstellung von Vinylplatten verdient. „Mit einer CD hatte man es von Anfang an nicht nur leichter, man hatte auch (klang-) technisch viel mehr Möglichkeiten.“

Vorbehandlung: Entfetten, Aktivieren, Versilbern

Zwischenschritt: Spülen der versilberten SchneidfolieZwischenschritt: Spülen der versilberten Schneidfolie

Mit seinen 46 Jahren ist Bieber eigentlich eher im digitalen Zeitalter verortet, aber seit seinem Studium der Betriebswirtschaft hat er sich voll und ganz dem analogen Vinyl verschrieben. Bieber arbeitete zunächst beim Freiburger Label flight 13 records, bevor ihm die Idee kam, die Platten, die man dort verkaufte, auch selber herzustellen. So kam Bieber zur Plattenproduktion und bald presste er Schallplatten nicht nur für flight 13 records, sondern nahm auch Fremdaufträge an. Während der ersten Jahre bot seine neue Firma flight 13 duplication alle Produktionsschritte zur Herstellung einer Platte an – außer der Galvanik. Die kaufte man sich von einem französischen Unternehmen zu. Seit Beginn dieses Jahres ist es nun umgekehrt. Alle Produktionsvorgänge, die vor und nach der galvanischen Herstellung einer Pressmatrize angesiedelt sind, hat Bieber abgegeben und macht nur noch Galvanoformung. „Ich war nahe am Burnout“, erklärt er seinen Schritt. „Wir haben teilweise 20 Stunden am Stück Platten gepresst, dann vier Stunden auf Feldbetten neben den Maschinen geschlafen und anschließend weiter gemacht.“ Heute betreibt er sein Business entspannter. „Bis zu zehn Pressmatrizen kann ich an einem Tag herstellen, das sind fünf Platten, jeweils natürlich mit A- und B-Seite.

ZUR INFO

16 Schritte zur fertigen Schallplatte

Vorarbeiten in Studios

  • Aufnahme eines Musikstücks in einem Tonstudio
  • Umwandlung des elektrischen Signals in mechanische Signale.
    So entsteht die Schnittfolie

In der Galvanik

  • Vorbehandlung der Schnittfolie: entfetten, aktivieren, versilbern
  • Vorgalvanik: Auf der Schnittfolie entsteht eine feine Nickelschicht
  • Hauptgalvanik: In einem Nickelsulfonamatbad entsteht der Vater
  • Sicherungskopie: Vom Vater wird sofort ein genaues Ebenbild der Schnittfolie angefertigt, die sogenannte Mutter
  • Pressmatrizen: Von der Mutter können beliebig viele
    Pressmatrizen, die Söhne, gezogen werden
  • Nachbehandlung: Polieren der Rückseite, Stanzen des Mittellochs
  • Umformung von Rand und Mittelloch

Im Presswerk

  • Herstellung des Presskuchens aus PVC in einem Extruder
  • Väter oder Söhne von A- (unten) und B-Seite (oben) werden in die Pressmaschine gespannt (deshalb die Bördelung)
  • Die Labels werden dazu gegeben
  • Pressung der Platte mit 200 bar bei 180 °C
  • Abschneiden des Quetschrandes
  • 24-stündiges Auskühlen der fertigen Platte
  • Verpackung in Inlay und Cover

Durch Galvanoformung entsteht aus der Schneidfolie der so genannte Vater

Am Anfang einer jeden Tonträgerproduktion steht die Aufnahme eines Musikstücks in einem Studio. Dort werden die Töne, die ein Sänger oder eine Kapelle erzeugt, elektrisch erfasst. Heute digital, früher analog, zum Beispiel auf einem Tonband.

Hauptgalvanik: Eine zwei Millimeter dicke Nickelplatte entstehtHauptgalvanik: Eine zwei Millimeter dicke Nickelplatte entsteht

Trennen: Die Nickelplatte (Vater) wird von der Schneidfolie getrenntTrennen: Die Nickelplatte (Vater) wird von der Schneidfolie getrennt

Ob digital oder analog – dieser Tonträger aus dem Studio geht dann an das Schnittstudio. Bieber: „Das ist wohl der entscheidendste Schritt für die spätere Qualität einer Platte.“ Technisch gesehen wandelt eine Schneidemaschine die elektrischen Signale der Uraufnahme in mechanische Signale um. Ein feiner Diamantschneider schneidet die Töne in eine Aluminiumplatte, deren Oberfläche mit einem Nitrocelluloselack vergütet ist. So entsteht die eigentliche Urschallplatte, ein Unikat, das so schon auf einem Plattenspieler abspielbar wäre. Der Fachmann spricht von einer Schneidfolie.

Ein feiner Diamantschneider schneidet die Töne in eine Aluminiumplatte

Diese Schneidfolie ist das Zwischenprodukt, das schließlich bei flight 13 duplication landet. Björn Bieber entfettet die Schneidfolie, bevor er sie mit Zink II Chlorid aktiviert. In einem dritten Arbeitsschritt wird die Scheibe versilbert. Das heißt, eine Maschine besprüht sie aus zwei Düsen mit einer Silbernitratlösung und einer Reduzierlösung. Beide Strahlen treffen sich in der Luft und schließlich gemeinsam auf die gebeizte Schneidfolie. Dort bildet sich so die leitfähige Silberschicht.

Säubern: Ein sanfter Druckluftstrahl entfernt VerunreinigungenSäubern: Ein sanfter Druckluftstrahl entfernt Verunreinigungen

Schutzfolie: Eine Schutzfolie ist ein nicht üblicher ServiceSchutzfolie: Eine Schutzfolie ist ein nicht üblicher Service

Anschließend geht es in die Vorgalvanik. Bieber bringt in etwa 15 Minuten bei 35 °C Badtemperatur eine feine Nickelschicht auf. In der Hauptgalvanik schließlich entsteht eine etwa 0,2 Millimeter starke, flache Nickelplatte, die rund 200 Gramm wiegt. Abgeschieden wird diese Platte aus einem Nickelsulfonamatbad bei geringer Spannung (11 V) und 150 A. Die Dauer des Abscheidevorgangs liegt bei diesen Energiewerten bei etwa einer Stunde und 15 Minuten. Die so entstehende Platte ist ein Negativ der Schneidfolie, somit nicht abspielbar. Experten nennen dieses Zwischenprodukt den Vater.

Der Vater ist ein nicht abspielbares Negativ der Schneidfolie

Eine eiserne Regel bei der Schallplattenherstellung lautet, dass man aus einer Schneidfolie keine weiteren Väter fertigen soll. Vom entstandenen Vater wird deshalb sofort eine metallische Kopie der Schneidfolie gezogen. Die sogenannte Mutter ist entstanden. Würde man keine Mutter anfertigen und der Vater würde im weiteren Produktionsprozess beschädigt oder ginge beim Transport verloren, müsste man nochmal ganz von vorne mit der aufwändigen Produktion einer Schneidfolie beginnen. Die Mutter wird deshalb in den allermeisten Fällen archiviert.

Händisches Trocknen und Säubern der Rückseite des VatersHändisches Trocknen und Säubern der Rückseite des Vaters

Polieren: Eine selbst konstruierte Maschine poliert die RückseitePolieren: Eine selbst konstruierte Maschine poliert die Rückseite

Um den Prozess noch einmal anders zusammenzufassen: Die Schneidfolie ist quasi eine abspielbare (Ur-) Version einer Platte mit eingravierten Rillen. Der daraus entstehende Vater ist eine nicht abspielbare Version, ein Negativ, mit Erhebungen statt Rillen. Der spätere Abzug, die Mutter, ist ein Positiv. Deshalb wiederum abspielbar, weil sie ja Rillen aufweist. Von dieser Mutter kann man dann beliebig viele Negative, so genannte Söhne, anfertigen.

Von einem Vater (bzw. einem Sohn) kann man max. 2000 Schallplatten pressen

Zwei, drei oder … n Söhne zu machen, erspart man sich bei kleinen Plattenproduktionen. Hohe Auflagen aber, die oft auf mehreren Pressmaschinen laufen, erfordern eine hohe Anzahl von Söhnen. Je nach Qualität kann man von einem Vater (bzw. einem Sohn) maximal 2000 Schallplatten pressen, bevor er ausgewechselt werden muss.

Eine fertige LP misst exakt 30 Zentimeter im Durchmesser

Björn Biebers Hauptarbeit ist nach der Entstehung des Vaters abgeschlossen. Es folgen aber mehrere Nachschritte, die man keinesfalls vernachlässigen sollte. Denn auch die tragen zur späteren Qualität einer Schallplatte bei. Nachdem der Vater von der Schneidfolie abgelöst wurde, wird dessen Rückseite sorgfältig poliert. Später gilt es dann, den Mittelpunkt der Scheibe exakt zu bestimmen. Das ist deshalb wichtig, weil bei einem ungenau eingestanzten Mittelloch die Schallplatte eiern würde. Das Mittelloch wird anhand einer speziellen Maschine samt Mikroskop bestimmt. Behilflich dabei ist die Auslaufrille der Platte. Das Mittelloch der Pressmatrize ist dann exakt ein Zoll groß.Der letzte Vorgang schließlich ist die Umformung von Plattenrand und Mittelloch. Eine fertige LP misst exakt 30 Zentimeter im Durchmesser. Nach der Galvanik ist sie jedoch um einige Zentimeter größer. Zunächst wird deshalb einiges vom Rand abgeschnitten und der Rest wird gebördelt. Das muss sein, damit die Pressmatrize später ins Presswerk eingespannt werden kann.

Zentrieren: Finden des Mittelpunkts per MikroskoptechnikZentrieren: Finden des Mittelpunkts per Mikroskoptechnik

Vorletzter Schritt: Abschneiden des RandsVorletzter Schritt: Abschneiden des Rands

Im Presswerk kommen schließlich Vater oder Söhne an. Die Mitarbeiter im Presswerk haben aus Kunststoffgranulaten in einem Extruder schon den Presskuchen extruiert. Es handelt sich um das Material, das dem Vinyl seinen Namen gab: Ein spezielles Hart-PVC (wobei PVC für Polyvinylchlorid steht). Die umgangssprachlich einfach Vinyl genannte analoge Platte ist also nichts anderes, als eine Verkürzung der Kunststoffart PVC auf das V in der Mitte.

Bleibt nachzutragen, dass beim Pressvorgang das Plattenetikett (Label) und das Mittelloch direkt mit auf- bzw. eingebracht werden. Die A-Seite befindet sich beim Pressen unten, die B-Seite oben. Durch 200 bar Druck und 180 °C Verarbeitungstemperatur bildet das Vinyl einen Quetschrand aus, der wird später abgeschnitten. Nach einem Tag Ruhe wird die fertige Platte schließlich verpackt – zuerst in das Inlay, später ins Cover.

ZUR INFO

Geschichte und Märkte

Emil Berliner stellte erstmals eine Platte durch Galvanoformung herEmil Berliner stellte erstmals eine Platte durch Galvanoformung herAb 1857

Vorläufer der Schallplatte als Walze oder als Wachsplatte

1887

Emil Berliner stellt erstmals eine moderne Schallplatte durch Galvanoformung her

Ab 1888

Man experimentiert mit verschiedenen Materialien: Schallplatten werden aus Zelluloid, später aus Hartgummi hergestellt. Auch mit Mischungen aus Phenol, Formaldehyd, Sägemehl und Klarlack wurde experimentiert. Schließlich setzt sich Schellack, ein Abscheideprodukt der Lackschildlaus, durch.

Ab 1930

Das teure Naturprodukt Schellack wird durch PVC ersetzt – die Vinylplatte war geboren. Ab diesem Jahr ist auch der Durchmesser einer Platte (LP) auf 30 cm festgelegt und die Abspielgeschwindigkeit auf 33 1/3 Umdrehungen pro Minute. Die so genannte Single wurde erst 1949 genormt: Durchmesser 17,5 cm bei 45 U/min Abspielgeschwindigkeit

Heute

Zur Schallplatte war in den 1970er Jahren noch die Musikkassette als Tonträger getreten, vor allem ab Mitte der 1980er Jahre die CD. Das Erscheinen der praktischeren CD ließ die Verkaufszahlen der analogen Tonträger, vor allem der LPs, ins Bodenlose fallen. Im Jahr 2002 wurden knapp 130 Millionen CDs, jedoch nur noch 600 000 Schallplatten abgesetzt. Der Tiefpunkt war im Jahr 2006 erreicht. Nur noch 300 000 LPs gingen über die Ladentheke. Doch das war gleichzeitig die Trendwende. Was keiner erwartet hätte, trat ein: Schritt für Schritt erholten sich die Absatzzahlen von Vinylplatten: Schon 2012 verkaufte man wieder eine Million analoger Platten, 2015 knackte man die Zwei-Millionen-Grenze, 2016 waren es schon wieder 3,1 Millionen Schallplatten und heute (letzte verfügbare Zahl 2021) sind es gar wieder 4,5 Millionen.

Ausblick

Trotz dieser Entwicklung sinkt der Markt der physischen Tonträger deutlich jedes Jahr. Mag es der Schallplatte auch gelingen, innerhalb dieses Segments Marktanteile zurück zu gewinnen, die Zukunft gehört langfristig den Streamingdiensten. Der Musikabsatz außerhalb des Streaming-Segments entwickelt sich stark rückläufig. Während die sinkenden Absatzzahlen von physischen Tonträgern bis zu Beginn der 2010er Jahre noch durch den Digitalmarkt ausgeglichen werden konnten, verzeichnete in den letzten Jahren auch der Absatz von digitalen Musikprodukten deutliche Rückgänge. Im Jahr 2021 standen einem Absatz von 18,5 Millionen digitalen Singles nur rund 400 000 physische Singles gegenüber. Longplays verkaufen sich hingegen vor allem physisch: 29,6 Millionen verkauften Musikalben auf CD, Schallplatte, Kassette und DVD-Audio/SACD standen 3,5 Millionen digitale Alben gegenüber.

(Quelle: Deutsches Musikinformationszentrum/Musikindustrie in Zahlen)

Alle Fotos: Heinz Käsinger

 

 

 

 

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 6
  • Jahr: 2023
  • Autoren: Heinz Käsinger

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